Seite:Die Gartenlaube (1869) 040.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


gewissen, dem Yankeecharakter so ganz eigenen Stolz darein, nicht nur, daß auch sie einen so großen General aufzuweisen hat, wie die berühmtesten der Geschichte und insbesondere der europäischen Monarchien, sondern daß ihre Institutionen und dadurch erzeugten Anschauungen ihr gestatten, dem glücklichsten Feldherrn der Neuzeit ohne Gefahr für das Gemeinwesen die höchste bürgerliche Gewalt zu überantworten.

Und so wie das Volk der Vereinigten Staaten in Grant seiner Vorliebe und seinem Zutrauen zu seiner militärischen Kraft Ausdruck gab, ebenso anerkannte es in der Wahl von Colfax mit seiner entschiedensten Erklärung das Verdienst des einfachen Bürgers auf dem wenn auch weniger glänzenden, doch auch weniger blutigen Felde des Parlamentarismus, wo sich doch das eigentliche Leben der Nation abspielt.




Trost.
Von Robert Prutz.


Und sind wir auch erst halb verbunden
Und bleiben wir noch halb getheilt,
Es werden unsrer Sehnsucht Wunden
Von Einem Balsam doch geheilt:

5
Das ist das gläubige Vertrauen,

Das ist die Hoffnung stolz und kühn,
Mit der wir freudig vorwärts schauen,
Bis unsrer Einheit Ostern blühn.

Wohl kann man Land und Leute trennen,

10
Kann trennen Berg und Thal und Fluß,

Doch Herzen die in Eintracht brennen,
Die trennt nicht Krieg, nicht Friedensschluß.
Gleichwie in hunderttausend Wellen
Des Meeres Eine große Fluth,

15
So strömt aus ewig neuen Quellen

Das alte treue deutsche Blut.

Noch leuchten aus der Zeiten Ferne
Dieselben Namen stolz und hehr,
Noch wandeln hell wie Gottes Sterne

20
Dieselben Geister vor uns her;

Wir haben noch dieselben Lieder,
Dasselbe Gold noch dieses Weins,
Drum, Brüder, preßt die Thränen nieder,
Wir werden dennoch frei und eins!




Aus der Welt des Schweigens.

Das „Cornhill Magazine“, eines der gelesensten englischen Blätter, brachte vor einiger Zeit unter obigem Titel einen interessanten Aufsatz.

In einer entlegenen Gegend Londons, – heißt es darin – fern von den Clubs, Parks und der Pracht Rotten Row’s, befindet sich ein Platz, wo viele gute Werke eine Zuflucht gefunden haben. Die Miethe ist dort billig und der Platz groß, still und frei, selbst an Bäumen fehlt’s dort nicht, obgleich wir, um dorthin zu gelangen, fast eine Stunde lang durch schmutzige, armselige Straßen fahren mußten. Wir hielten endlich vor einem Hause, dessen Schild – Taubstummenanstalt – uns schon verkündete, wer seine Bewohner seien; wir verließen den Wagen und zogen die Glocke. Als wir in den geräumigen altmodischen Corridor traten, guckte uns ein kleines Mädchen aus halboffener Thür gar neugierig an. Dies war, wie wir nachträglich erfuhren, eine kleine Patientin der Anstalt; sie hatte ihren Finger verletzt und ihr war die Erlaubniß gewährt worden, anstatt mit den anderen Kindern im obern Stockwerk am Unterricht Theil zu nehmen, unten bei der Wärterin zu bleiben.

Als wir in’s obere Stockwerk gelangt waren, wurden wir in ein Hinterzimmer geführt, durch dessen Flügelthür wir in’s Schulzimmer traten, wo gerade die Kinder unterrichtet wurden. Bei unserm Eintreten kam uns der junge Lehrer entgegen und bewillkommnete uns auf die freundlichste Weise. Die Kinder alle, Knaben und Mädchen, guckten mit fröhlichen Gesichtcher von ihren Bänken verstohlen zu uns herüber und lachten uns gar freundlich an. Im Zimmer befand sich der gewöhnliche Schulapparat – das Stückchen Kreide, die große Tafel für den Lehrer, die kleineren für die Schüler, die hölzernen Tische und Bänke, so wie die Bilder an den Wänden. Was mich besonders rührte, war, daß in den entfernteren Winkeln und selbst in des Lehrers Nähe die gewöhnlichen kleinen Possen und Schelmereien getrieben wurden. Der Lehrer schien es für seine Pflicht zu halten, dergleichen eher zu befördern als zu unterdrücken, und ich glaube, daß eben in dem Vertrauen der Kinder auf seine Güte und Theilnahme eine Hauptbedingung ihrer Erziehung und Heilung liegt. Er klopfte in die Hände, alsbald versammelte sich eine kleine Schaar um die große Tafel – ein großes und ein kleines Mädchen und zwei kleine Knaben. „Achtung!“ sagte der Lehrer und begann verschiedene Gegenstände, wie z. B. Fisch, Brod, Gemse u. a. m. zu nennen. Die Kinder lasen diese Worte aus der Bewegung seiner Lippen. Bei jedem seiner Worte leuchteten ihre Augen auf, sie deuteten es, eilten zu den an der Wand hängenden Bildern, suchten den von ihm genannten Gegenstand auf und brachten ihn in vollem Triumph herbei. Aber Zeichen werden in jener Anstalt nicht geduldet, und das Ziel, nach dem gestrebt wird, ist das, die Kinder zum Sprechen zu bringen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß dies Asyl so zu sagen noch im Entstehen ist und die Zöglinge noch zu den Anfängern gerechnet werden müssen. Ein noch ganz kleines Kind, welches erst vor Kurzem der Anstalt übergeben worden war, hatte an dem Tage zum ersten Male seine Stimme hören lassen, und nun rief das kleine Wesen immerfort: „ah, ah, ah!“ Es war über diese neu erlangte Fähigkeit so entzückt, daß nichts es dazu bewegen konnte von dem Ausrufen seines fast klagend klingenden „Ah!“ abzulassen. Dieser Ton glich dem Blöken eines kleinen Lämmchens, denn da sie taub war, hatte sie natürlicher Weise noch nicht gelernt ihre Stimme ein wenig zu moduliren; ein größeres Mädchen mußte sie in eine entlegene Ecke bringen, dort mit ihr spielen und versuchen sie stille zu erhalten.

„Es ist etwas Herrliches für die Kinder,“ sagte der Lehrer, „wenn sie zu fühlen beginnen, daß sie durch ihre Taubheit nicht durchaus und für immer von dem Verkehr mit andern Menschen abgeschnitten sind; außerdem wird durch die Entwickelung der Sprechorgane ihre Lunge gekräftigt und ihre Gesundheit gebessert. Sogar in dem Ausdruck ihrer Gesichter läßt sich eine Aenderung wahrnehmen, sie gefallen sich darin ihr neu erworbenes Talent zu üben und reden selbst nicht mehr mit einander durch die Fingersprache.“ (?) In demselben Augenblick, als der Lehrer diese Worte an uns richtete, ertönten, gleichsam zur Bekräftigung dessen, was er sagte, eine Menge fröhlicher Ah’s aus der Ecke, wohin das kleine Mädchen mit seinen Spielsachen transportirt worden war, und alle andern Kinder lachten.

Ein kleiner Bursche mit reizend ausdrucksvollem Gesicht und herrlichen braunen Augen trat vor, er rechnete, las uns vor und zeigte uns sein Schreibheft. Der Klang seiner Stimme war etwas melancholisch, aber durchaus melodisch, und zu meinem Erstaunen redete er mich bei meinem Namen an, einem langen Namen mit vielen Buchstaben. Der Lehrer hatte ihm denselben mit den Lippen gesagt, denn er brauchte natürlich nicht laut zu sprechen, da sein Bewegen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_040.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2020)