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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

die ekelhaften Schmarotzereien der leitenden demokratischen Politiker und Blätter, welche ihn jetzt als einen der Ihrigen zu reclamiren suchen, wie die kaum weniger widerlichen Kriechereien der republikanischen Maulpatrioten harmlos an sich abgleiten und weicht beiden Kategorien so viel wie möglich aus. Vor wenigen Tagen noch war ich im Theater in New-York Zeuge, mit welchem Jubel er, sobald er in der Prosceniumsloge erschien, vom ganzen Publicum begrüßt wurde. Er dankte mit einer Verbeugung, zog sich jedoch, als diese stürmische Begrüßung kein Ende nehmen wollte, in den Hintergrund der Loge zurück, so daß er nicht mehr gesehen wurde. Das Schauspielhaus verließ er durch eine Hintertür, um der ihm auf dem Broadway vor dem Hause zugedachtem Ovation zu entgehen.

Grant, in Charakter wie in Physiognomie und Benehmen ganz Amerikaner, ist in Körpergröße hinter der gewöhnlichen amerikanischen Masse zurückgeblieben. Er hat gewiß nicht mehr als fünf Fuß sechs Zoll. Sein Körperbau, obwohl muskulös, ist nicht stark. Die Schultern trägt er leicht vorgebeugt, die Hände, nach amerikanischer Sitte, in den beiden weit vorn angebrachten Hosentaschen. Sein Gesicht hat eine frische, gesunde Farbe. Die Augen sind hellblau, und sie sind es besonders, die in ihrer langsamen, fast maschinenmäßigen, stieren und lauernden Bewegung sofort den Amerikaner erkennen lassen. Die Stirn ist hoch und hübsch gewölbt bis zu dem dichten, kastanienfarbigen Haar. Auch die Bewegungen des Generals sind nichts weniger als leicht, schnell oder lebhaft, und offenbar dem ruhigen Arbeiten, einer wohlabgewägten, auf einem strammen Nervensysteme beruhenden Geisteskraft entsprechend, ohne je auch nur den Schein von Prätension anzudeuten. Der Gesammteindruck der Persönlichkeit ist ein wohlthuender, beruhigender und in hohem Grade Vertrauen erweckender.

Schuyler Colfax, der erwählte Vice-Präsident, ist in vielen Beziehungen der Gegensatz von Grant. Seine Nervosität wird auf den ersten Blick in den ewig und schnell wechselnden Zügen sichtbar. Die unter einer hohen Stirne tiefeingesenkten Augen sind in unaufhörlicher Bewegung. Seine Unterhaltung ist sehr lebhaft, voll Witz, und eine gute Bemerkung ist sicher, von ihm mit beifälligem, herzlichem Lachen belohnt zu werden. Seine Bewegungen im gewöhnlichen Leben wie auf dem Sprecher- (Präsidenten-) Sitze des Repräsentantenhauses sind quecksilbern und leicht. Seine Geistesthätigkeit, mit der es ihm möglich geworden, durch vier Congreßperioden einer solch unruhigen, leidenschaftlichen, selbstwilligen, regellosen und fast von keiner Schranke umgebenen Versammlung vorzusitzen, ist wahrhaft wunderbar. Seine Kenntniß des schwierigsten aller Gesetzbücher, des über die parlamentarischen Regeln zusammengestellten Compendiums von Barclay, und die Gewandtheit und Sicherheit seiner Entscheidungen ist in hohem Grade merkwürdig. Sein Auge beherrscht vollkommen die weite Halle, in welcher ein fortgesetztes Herumwandeln der Repräsentanten, das Ab- und Zurennen einiger zwanzig, ziemlich ungezogener Jungen, euphemistisch Pagen genannt, die Privatunterhaltung der Repräsentanten, das Ein- und Ausgehen von Senatoren oder anderer zum Eintritte berechtigter Personen das krampfhafte Schreien der Redner auf den Tribünen kaum verständlich sein läßt. Kaum hebt sich des Sprechers Hammer langsam, um nach Ablauf der gewährten Minutenzahl, welche eine große seinem Stuhle gegenüber befindliche Uhr genau anzeigt, den unversiechbaren Redestrom wie Atropos’ Scheere abzuschneiden, so springen auch schon je nach der Sache ein halbes oder ein ganzes Dutzend neue Kämpen auf die Füße, und suchen mit dem lauten Rufe „Herr Sprecher!“ und mit den gewaltsamsten Arm- und Körperbewegungen dessen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und für sich das Vorrecht des Wortes in Anspruch zu nehmen. Während Herr Colfax sich mit einem Repräsentanten oder Senator ganz lustig nach beiden Seiten hin unterhielt, zugleich den vor und unter ihm auf der weißmarmornen Tribüne sitzenden Schriftführern eine Anfrage beantwortete, hat er genau bemerkt, wer von den sich zur Rede Meldenden der erste war, aber zugleich auch wahrgenommen, daß ein Secretair des Senates oder des Präsidenten mit einer Mittheilung oder Botschaft eingetreten; wieder fällt der Hammer und die Worte: „A message from the President“ (eine Botschaft vom Präsidenten) bringen eine momentane Ruhe hervor, der aber nach Verlesung das alte, durch die Stauung womöglich verstärkte Getöse folgt. Die stärkste Prüfung, welcher ich den ewig gleichmäßig heiteren Humor von Colfax unterworfen sah, war einige Male bei einer durch ihn vorzunehmenden Abzählung der Stimmen Für und Wider, wo ihm zugemuthet würde, nicht nur den nicht so schwierigen Schluß zu machen, daß ein hinter einem Pulte sich erhebender Arm zu einem dahinter liegenden Volksvertreter gehöre, sondern sogar, daß ein hinter einem solchen Pulte geisterhaft anzeigender chinesischer Fächer das Ja oder Nein eines Repräsentanten zu bedeuten habe.

Obwohl ein eifriger, gewissenhafter Republikaner, der auch als Sprecher nie versäumt bei Principienfragen seine Stimme für die Sache der Freiheit und des Rechtes abzugeben, und von der republikanischen Partei im Congreß, dessen Mitglied er bereits seit vierzehn Jahren ist, zum Sprecher erwählt, war seine Verwaltung dieses schwierigen Amtes doch so gerecht und unparteiisch, daß ihm auch während der Rebellion, als die politische Verbissenheit häufig während der Berathungen zu den hitzigsten Scenen führte, doch mehrmals am Schlusse der Sitzungen der einstimmige Dank der Vertreter aller Parteischattirungen votirt wurde.

Vom Jahre 1860 an war Colfax’ Einfluß auf die Regierung durch seine hohe Stellung, besonders aber durch das große Vertrauen und die innige Freundschaft, welche Präsident Lincoln zu ihm hegte, ein sehr bedeutender, wenn auch mit strengster Discretion geübter. Man kann wohl behaupten, daß er gegenwärtig der populärste Mann in den Vereinigten Staaten ist, im Volke, in den Beamtenkreisen und bei den Mitgliedern des Congresses, und besonders ist es der Arbeiterstand, der auf ihn, als einen der Seinigen, mit berechtigtem Stolze blickt.

Herr Colfax wurde am 23. März 1823, kurz nach seines Vaters Tode, in der Stadt New-York geboren. Als Sohn einer armen Wittwe trat er sehr frühe in ein kaufmännisches Geschäft ein, zog 1836 mit seiner Mutter nach St. Joseph County, Indiana, wo ihm ein kleines County-Amt, als Assistent, übertragen wurde und wo er sich durch eifriges Selbststudium die Gesetze des Staates vollkommen zu eigen machte. Eine von ihm 1845 gegründete Zeitung, deren einziger Eigentümer und Redacteur er war, und bei der er überdies häufig auch am Setzen, Corrigiren, Drucken etc. teilnehmen mußte, erwarb sich einen so ausgedehnten Leserkreis, daß sie ihm bald einen erheblichen materiellen Gewinn abwarf.

Obwohl erst fünfundzwanzig Jahre alt, erwählten ihn seine Mitbürger zum Delegaten für die Convention, welche General Taylor zum Präsidentschafts-Candidaten vorschlug, und zwei Jahre später wurde er zur Convention berufen, um eine Verfassung für den Staat zu entwerfen. In dieser widersetzte er sich mit aller Entschiedenheit, wenn auch erfolglos, dem Verbote gegen die Niederlassung von freien Farbigen. Zur Strafe dafür unterlag er im nächsten Jahre in einer Wahl zum Congresse seinem demokratischen, negerfeindlichen Gegner. Allein schon im Jahre 1854 sandten ihn seine Mitbürger in die Hallen der nationalen Repräsentation, wo er gegen die nichtswürdige Politik des Präsidenten Pierce, welche Kansas zu einem Sclavenstaate machen wollte, seine Jungfer-Rede hielt, die in mindestens einer halben Million Exemplaren gedruckt und über das Land verbreitet wurde, eine Auszeichnung, die kaum je einer anderen Rede zu Theil geworden ist.

Colfax war einer der Ersten, welche die ganze Bedeutung der zwischen dem Mississippi und dem Stillen Ocean gelegenen, unter seiner Beihülfe vom Fluche der Sclaverei bewahrten Territorien und einer Eisenbahnverbindung des Ostens und Westens für die Größe und Dauer der Vereinigten Staaten erkannten. Um sich über diesen Punkt die möglichst genaue Information an Ort und Stelle zu verschaffen, unternahm er 1860 eine Reise durch jene Territorien, von deren Bevölkerung ihm ein fortgesetzter Triumphzug bereitet wurde und welche ihm nach seiner Rückkehr Veranlassung gab, in allen bedeutenderen Städten der Union in einem höchst interessanten und lehrreichen Vortrage die öffentliche Aufmerksamkeit auf jene ausgedehnten Gefilde zu lenken.

Seit dem Bestehen der nordamerikanischen Republik hat noch keine Wahl stattgefunden, bei welcher die Erwählten so sehr nicht nur die Auserkorenen ihrer politischen Partei, sondern auch die Repräsentanten der socialen und ethischen Anschauungen des besseren Theiles der Nation gewesen wären. In Grant sieht und schätzt die Nation den opfermuthigen, anspruchslosen und tüchtigen Vaterlandsvertheidiger, die Verkörperung derjenigen nationalen Kraft, welche das Land aus der entsetzlichen Feuertaufe des vierjährigen Bürgerkrieges nur stärker hat hervorgehen lassen, – sie setzt einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_039.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2017)