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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 2.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Reichsgräfin Gisela.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung)


„Die Nacht ist keines Menschen Freund, heißt’s,“ unterbrach sich der alte Soldat, herb auflachend; „die Spitzbuben haben keinen besseren Freund! Möchte wissen, ob die Frau Gräfin auch alleinige Erbin geworden wär’, wenn die helle Sonne in‘s Sterbezimmer geschienen – glaub‘s nicht! … Wie der Prinz den letzten Seufzer ausgestoßen hatte, da stand sie auf – sie sah aus wie ein Geist, aber nicht eine Spur von Mitleid, oder gar eine Thräne war auf dem hochmütigen, weißen Gesicht zu sehen – also, sie stand auf und schlug mir die Thüre vor der Nase zu. Ueber eine halbe Stunde lang hat sie drin in einem fort gesprochen, was, das weiß ich nicht – ich hörte nur die Todesangst in ihrer Stimme. Nachher kamen die beiden Herren heraus und zeigten den Schloßleuten den Tod des Prinzen an. Mein Major ging an mir vorbei, als sei ich auf einmal ein Mauerstein oder so was geworden – er sah mich nicht an … Herr, ich sagte vorhin, daß in der Nacht die ganze wilde Jagd über den Thüringer Wald hingetobt sei – nu ja, die Gräfin kam als Frau Venus mitgeritten, und wer der Tannhäuser war, das weiß ich – mein Herr war seitdem ein verlorener Mann, die Gräfin aber die reichste Frau weit und breit. Das Testament, das sich vorfand, fiel in die Zeit, wo die Feindschaft mit dem Hofe zu A. am schlimmsten und die Macht der Gräfin am höchsten gewesen war – es soll förmlich niet- und nagelfest gewesen sein, und kein Gerichtshof hat dran rütteln können. Was da war, gehörte der Erbschleichern, nicht einmal die Armen im Lande kriegten einen Groschen“

„Verwünscht, daß der Fürst zu spät kam!“ stieß der Student hervor und schlug mit der Hand auf den Tisch.

„Zu spät?“ wiederholte Sievert. „Er kam gar nicht. Gegen Morgen fingen Bauern in der Nähe von A. ein herrenloses Pferd ein, und der Baron Fleury wurde im Chausseegraben gefunden. Er war im Hinreiten nach der Stadt mit dem Pferde gestürzt und hatte sich die Gliedmaßen dergestalt verstaucht, daß er nicht von der Stelle konnte. … Hei, der sah aus, wie er auf der Trage eingebracht wurde! Die Kleider zerrissen und voll Chausseeschlamm, und die Haare, die der Pomadenheld alle Tage so schön kräuseln und ringeln ließ, hingen wie bei einem Zigeuner über das Gesicht! … Nu, er hat sein Schmerzensgeld vollauf gekriegt. Es ist ihm nicht vergessen worden, daß er sein Leben in die Schanze geschlagen hat, um dem Fürstenhause die Erbschaft zuzuwenden, und drum ist er auch schließlich – Minister geworden.“

„Und Herr von Eschebach?“ frug der Student.

„Ja so, Herr von Eschebach!“ wiederholte Sievert, indem er sich die Stirn rieb. „Um seinetwegen hab' ich ja eigentlich die Schandgeschichte erzählt. Je nun, der verging so zu sagen seit der Nacht. Zuerst war er noch ziemlich lustig und guter Dinge – er ritt viel nach Greinsfeld; das hörte aber schon nach ein paar Tagen ganz auf. Er zog nach A., und just an dem Tage, wo in Greinsfeld große Hochzeit war – die junge Gräfin heiratete den Grafen Sturm – da ging er auf und davon. … Nu, der konnte freilich so mir nichts, dir nichts in die weite Welt gehen, er hatte ja nicht Weib und Kind, wie mein Major –“

Der Hüttenmeister war während der letzten Mittheilung des Alten an eines der Fenster getreten und hatte die Vorhänge auseinander geschlagen – ein berauschender Blumenduft strömte sofort in das Zimmer. Auf dem Fenstersims blühten in Töpfen Veilchen, Maiblumen und Tazetten. Der junge Mann schnitt erbarmungslos die schönsten Blüthen ab und schob sie vorsichtig in eine weiße Papierdüte. Bei Sievert’s letzten Worten bog er den Kopf in’s Zimmer zurück, ein rascher Seitenblick streifte die gespannten Gesichtszüge seines Bruders, wobei ihm eine helle Röthe über Stirn und Wangen flog.

„Aber nun lassen Sie die alten Geschichten ruhen, Sievert!“ rief er, die Rede des alten Soldaten rasch abschneidend, hinüber. „Sie selbst machen ja Vieles gut, was Andere verschuldet haben. Sie sind der getreue Eckardt –“

„Wider Willen, ganz wider meinen Willen, Hüttenmeister!“ fuhr Sievert grimmig auf, indem er sich erhob und hastig seine Sachen zusammenpackte. „Hat Einer seinen Herrn lieb gehabt, so bin ich's gewesen; ich wär’ für ihn durch’s Feuer gelaufen in der Zeit, wo er noch gut und strenge und ein rechter Cavalier war. Aber nachher wurde er der Gräfin ihr Narr, er spielte und trank mit dem Baron Fleury und dergleichen Gelichter die Nächte durch und machte alle ihre ,noblen Nichtsnutzigkeiten‘ mit; er mißhandelte seine Frau – die Frau, die ihr Herzblut tropfenweise für ihn hingegeben hätte – und da kam mir der Grimm, ich hab’ ihn gehaßt und verachtet, und es war sein und mein Glück, daß er mich fortschickte. … Ja, ja, da heißt’s: ,er ist auf dem Felde der Ehre gestorben!‘ Das klingt gar gewaltig und löscht alle Sünden aus; wenn aber Einer Bankerott macht und geht in der Verzweiflung sich selbst an's Leben, da ist er verurteilt für alle Zeiten. Herr, es war Alles fort und verjubelt bis auf die elende Barake, das Waldhaus, die Frau Gräfin wollte mit dem Bettler

auch nichts mehr zu schaffen haben, und da ging der letzte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_017.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2020)