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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


gelangen, um von dort mit Blitzesschnelligkeit nach allen Weltgegenden auf dem elektrischen Draht weiter zu fliegen.

Hervorgehoben muß noch werden, daß während schon jetzt die Berliner Börse vielleicht die bedeutendste in ganz Europa, der Umfang noch in stetem Zunehmen begriffen ist, da selten eine Woche vergeht, wo nicht neue Etablirungen von Bankgeschäften stattfinden.

Es dürfte kaum möglich sein, den Umsatz an der Berliner Börse auch nur annähernd zu bezeichnen. Wir glauben aber eher zu niedrig als zu hoch zu greifen, wenn wir denselben für alle Umsätze in Papieren, Wechseln und Geldsorten auf fünfundzwanzig Millionen Thaler per Tag annehmen. Freilich hat auch die Börse, wie alle anderen Geschäfte, ihre saison morte, in den Sommermonaten, wo Alles in die Bäder geht.

Von der Fondsbörse nur durch eine schlanke Säulenreihe getrennt, befindet sich der Raum für die Productenbörse, die ebenfalls von kaum zu beschreibender Bedeutung ist. Es giebt auch hier Commissionsfirmen, die fast über den ganzen Continent verbreitete Geschäftsverbindungen haben, und wir wollen unter vielen anderen nur A. Heimann, S. und M. Simon, Gebrüder Sobernheim anführen. Für jeden Artikel, Weizen, Roggen, Mehl, Spiritus, Rüböl, Petroleum etc. giebt es besondere Makler, und auch unter diesen sind einige von großer Bedeutung; für Weizen Marx, für Roggen Commissions-Rath Henschel, Kaufmann und für Spiritus Biermann, Emil Meyer, ein sehr intelligenter Mann, der wöchentlich einen vielverbreiteten Bericht über das Productengeschäft mit guten statistischen Unterlagen und außerdem jährlich einen größeren vorzüglich ausgearbeiteten Gesammtbericht über das Productengeschäft Berlins herausgiebt.

Höchst interessant ist das daran stoßende „Kündigungszimmer“, wo die effectiven Geschäfte zum Austrag gebracht werden. Von Zeit zu Zeit hört man da ein Glöcklein klingen, das schon für manchen Speculanten zum Armensünderglöckchen geworden ist. Es ruft die verschiedenen Parteien zum Abschluß mit schrillem, markerschütterndem Klang und nicht selten läutet es Vermögen, Ruf und Ehre zu Grabe. Mit diesem Memento mori verlassen wir die Berliner Börse, da unser ihr gewidmetes Stündchen längst verflossen ist.

R. v. G.     


Blätter und Blüthen.


Aus der guten alten Zeit. Es sind in den annectirten Landestheilen der preußischen Monarchie zur Zeit nicht wenig Leute, welche die gute alte Zeit nicht allzuweit zurückverlegen. Wir wollen nicht näher untersuchen, ob diese Anschauungen irgendwie berechtigt sind, ein Hauptvorwurf in der Öffentlichen Meinung trifft bei der Erörterung dieser Frage in der Regel die Vertreter der conservativen Bureaukratie. Sei es uns erlaubt, einige auf strengster Wahrheit beruhende Mittheilungen bureaukratischer Absonderlichkeiten aus dieser neuesten „guten alten Zeit“ der Gartenlaube mitzutheilen, indem wir uns zugleich gegen die Annahme feierlichst verwahren, als tischten wir den geneigten Lesern Märchen auf.

An dem landwirthschaftlichen Institute zu N. N. war der Professor Az. lange Jahre Dirigent, gleichzeitig aber auch Regierungs-Referent für landwirthschaftliche Angelegenheiten. Diese Doppelstellung brachte den stets nach strengster Vorschrift verfahrenden alten Herrn in zahlreiche Conflicte. Alle Angelegenheiten, das genannte landwirthschaftliche Institut betreffend, referirte er treulich, mit seiner Namensunterschrift versehen, an sich selbst den Vertreter der Regierung, und ließ die darauf erfolgenden Entscheidungen und Verfügungen als Regierungsbeamter – gleichfalls wieder mit seiner Unterschrift versehen, an sich, den Director des Instituts, zurückgelangen und er, der Director, führte aus, was er, der Regierungs-Referent zu verfügen oder zu beantragen geruht hatte.

In dem sehr kleinen H.’schen Amte R. verwaltete ein Herr v. B. in einer Person den Posten eines Amtmanns, eines Rentmeisters und eines Landoberschultheißen, letzteres gleichfalls ein wunderbares Wort aus der „guten alten Zeit“.

Die Vereinigung der genannten drei Staatsämter bezweckte offenbar eine weise Sparsamkeit in der Verwaltung, welche jedenfalls auch anderwärts bestens zu empfehlen sein dürfte. Wie trefflich aber richtete sich der Herr Amtmann ein! Das alte Amthaus hatte Räumlichkeiten genug für verschiedene Abtheilungszimmer und so prangten dann vor der einen Thüre des Amtssitzes die imponirenden Worte: H.’sches Amt, vor der zweiten: H.’sche Receptur und vor der dritten H.’sche Landoberschultheißerei! Diese Einrichtung wurde nun auch streng im schriftlichen Verfahren und amtlichen Verkehr aufrecht erhalten.

Wenn das Rentamt (die Receptur) eine Zahlung an das H.’sche Amt zu leisten hatte, so erging aus dem zweiten Zimmer eine Zuschrift, mit der Unterschrift des Herrn v. B. als Rentmeister versehen, in das erste Zimmer, in dem Herr v. B. als Amtmann die Quittung ausstellte, die von da wieder in das zweite Zimmer gelangte. Hierauf begaben sich der Herr Amtmann und Rentmeister in einer Person in das dritte Zimmer, buchten die eingegangene Zahlung als Landoberschultheiß und ließen als solcher den nöthigen Bericht an die H.’sche Regierung gelangen, etwa lautend „Der H.’sche Rentmeister Herr v. B. übermittelte heute dem H.’schen Amtmann Herrn v. B. den Betrag von so und so viel, welcher unter demselben Datum an die unterzeichnete Landoberschultheißerei abgeliefert worden ist. Gehorsamst v. B., Landoberschultheiß.“ Dieser Geschäftsgang war ein wenig complicirt, aber jedenfalls streng nach Vorschrift.

Drolliger noch gestaltete sich die Sache, wenn irgend ein wenig informirter Amtsangehöriger bei der Landoberschultheißerei etwas zu bewirken hatte. Den Vertreter dieser Regierungsstelle kannte bei der geringen Ausdehnung des Bezirks freilich fast ein Jeder. Kam aber ein Uneingeweihter im Amthause durch Zufall an die erste Thür und frug nach dem Landoberschultheißen, so schickte ihn der Herr Amtmann mit einem förmlichen „Thür weiter!“ zurück. Der Unglückliche öffnet die zweite Pforte und dieselbe Persönlichkeit, der Herr Rentmeister, der sich indeß durch eine Seitenthür in jenes Gemach verfügt hatte, schmettert ihm abermals ein „Thür weiter“ entgegen, bis dann der betroffene Supplicant höchst erstaunt im dritten Zimmer endlich den Herrn Landoberschultheißen in höchsteigener Person trifft, der natürlich zu seinem Entsetzen abermals sich als derselbe gestrenge Herr darstellt. Mit den Localverhältnissen nicht vertraute Staatsbürger aus kleineren Ortschaften konnten unter solchen Umständen wohl an Teufelsspuk, mindestens aber an eine beabsichtigte Täuschung glauben.

Nun geschah es aber eines Tages – kein Wunder bei dem complicirten Geschäftsgang – daß der Herr Landoberschultheiß sich eines amtlichen Versehens gegenüber dem Rentamt (der Receptur) wenn auch ziemlich harmloser Natur, schuldig machte. Die Receptur berichtete darüber an das H.’sche Amt, und das Amt, das heißt der Herr Amtmann selbst, nahm die Landoberschultheißerei, das heißt wieder sich selbst, in eine gebührende Ordnungsstrafe von fünf Gulden. Hierauf berichtete das Amt nicht nur das Versehen der Landoberschultheißerei, sondern auch die vom Amt dictirte und an das Rentamt bereits bezahlte Ordnungsstrafe – immer wieder mit der gleichen Unterschrift versehen – an die H.’sche Regierung, welche dann allerdings die Sache mit einem Verweis an die dreifaltige Unterbehörde zurückgehen ließ.

Das vorstehend Erzählte ist buchstäblich wahr und jedenfalls auch ein charakteristisches Stückchen aus der „guten alten Zeit“!




Vautier’s Bilder. Müssen wir die beiden reizenden Bilder des Düsseldorfer Meisters Vautier noch erklären? Ein Blick darauf und die Novelette spielt sich ab vor unseren Augen. In dem ersten Rahmen die kaum erblühte Jungfrau, angekettet an den Lehrtisch des eifrig docirenden Magisters, der glücklicherweise keine Ahnung davon hat, wie drüben in dem Hause gegenüber ein junger, blondgelockter Flötenspieler die glühendsten Liebesmelodieen hervorzaubert und hinüberschickt zu dem schelmischen Mädchen, dessen Blicke sich magnetisch nach dem Fenster wenden und dessen ganzes Wesen „gar nicht bei der Sache ist“ – bei der Sache nämlich des alten Magisters. Und wie anheimelnd und rührend das zweite Bild! Flötenspieler und Jungfrau, in Liebe und durch das Wort des Priesters vereint seit vielleicht vierzig Jahren schon, aber noch immer frisch in der Treue zu sich selbst und zu der Frau Musika, die sie einst zusammengeführt – „ganz bei der Sache“, wie damals, als sie sich zuerst fanden im Geständniß ihrer Liebe und ihrer ewigen Zusammengehörigkeit! Was sollen wir erklären, was vielleicht Tausende unserer lieben Leserinnen schon selbst durchlebt und was sie jetzt stilllächelnd und stillbeglückt betrachten und dem Alten hinüber reichen über den Tisch – leise die Worte flüsternd, daß es die Kinder nicht hören: „Alterchen, weißt Du noch – ganz wie bei uns.“




Deutsche Blätter. Auf diese unsere literarisch-politische Feuilleton-Beilage, die wöchentlich zugleich mit der Gartenlaube selbstständig ausgegeben wird, glauben wir die Aufmerksamkeit unserer bereits neu eingetretenen Abonnenten lenken zu müssen. Die seit 1866 von Dr. Albert Fränkel redigirten „Deutschen Blätter“ erfüllen ihre Bestimmung, eine Ergänzung der Gartenlaube zu sein, in anerkannt tüchtigster Weise. In einer bunten Reihe von längeren oder kürzeren Artikeln und Notizen bringen sie, was die Gartenlaube bei dem dreiwöchentlichen Zeitraum, welchen der Druck jeder ihrer Nummern in Anspruch nimmt, nicht immer mit der erforderlichen Schnelligkeit und Vollständigkeit zu bieten vermöchte: ein revueartig der Geschichte der Woche und des Monats entnommenes, mit Sachkenntniß und kritischer Sorgfalt beleuchtetes Bild des laufenden Culturlebens unter vorzugsweiser Berücksichtigung der literarischen und künstlerischen, gesellschaftlichen und religiösen Bewegung unseres deutschen Vaterlandes. Durch die unterhaltende Frische ihres Inhalts und ihren zugleich eleganten und volksthümlichen Ton, durch ihre deutsche Haltung und die ausgeprägte Entschiedenheit, mit der sie für den Fortschritt der Freiheit, der Humanität und Volksbildung wider alle entgegenstehenden Bestrebungen kämpfen, haben sich die „Deutschen Blätter“ ein nicht geringes Ansehen in der Tagespresse und unter den gebildeten Lesern der Gartenlaube weit und breit einen zahlreichen Freundeskreis erworben.




H. Schauffert, dessen Portrait wir auf Seite 9 geben, ist der in Wien preisgekrönte Lustspieldichter, dessen „Schach dem König“ vor vierzehn Tagen am Burgtheater mit großem Erfolg gegeben wurde. Eine biographische Charakteristik des talentvollen Dichters lassen wir in nächster Nummer folgen.


Inhalt: Reichsgräfin Gisela. Novelle von E. Marlitt. – Meiner Mutter. Gedicht. Von H. Allmers. – Pariser und deutsche Thierliebhabereien. Aus Paris. Mit Abbildung. – Zwei Mönche einer protestantischen Hochschule. 1. Banz und der Pater Roman. Von Friedrich Hofmann. – Ein Mittag an der Berliner Börse. Von R. v. G. – Blätter und Blüthen: Aus der guten alten Zeit. – Vautier’s Bilder. – Deutsche Blätter. – H. Schauffert, der Preislustspieldichter.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_016.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)