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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

das jedoch an der Börse hauptsächlich durch ein jüngeres Mitglied der Familie vertreten wird. Zu dieser Börsen-Aristokratie zählt ferner der Inhaber der Firma Robert Warschauer, dessen Geschäft einen so großartigen Umsatz macht, daß einer seiner beiden Procuristen, der allerdings mit einer bedeutenden Tantième betheiligt ist, im letzten Jahre die Summe von 90,000 Thalern bezogen haben soll.

Das reichste Haus Berlins jedoch ist das der Gebrüder Schickler, dessen Chef aber in Paris lebt. Der Vertreter der Firma am hiesigen Platz ist der Geheime Commercienrath Zwicker, ein alter, würdiger Herr, der jedoch nur äußerst selten an der Börse erscheint. Durch Heirath ist die Familie Schickler mit der höchsten französischen Aristokratie verwandt. Dagegen stand der Sohn des Hauses vor einigen Jahren in Begriff sich mit einer bekannten hiesigen Tänzerin zu verbinden. Noch in der elften Stunde wurde aber das Verhältniß aufgelöst, worauf die schöne Künstlerin, mit einer reichen Mitgift dotirt, sich anderweitig verheiratet hat.

Dort der blonde Herr mit dem behaglichen Gesicht ist der erste Geschäftsinhaber der Disconto-Gesellschaft, Adolf Hansemann, der Sohn des bekannten David Hansemann, von dem die geflügelten Worte herrühren: daß in Geldsachen die Gemüthlichkeit aufhört. Von seinem berühmten Vater hat er die irdischen Glücksgüter, vor Allen dessen überaus lucrative Stellung geerbt, aber die eigentliche Seele bei Handhabung des Börsengeschäftes ist der intelligente, etwas melancholisch dreinschauende Herr Goldschmidt, dessen kaufmännisches Talent von allen Seiten die höchste Anerkennung findet. In der Nähe dieser Finanzgrößen sitzen auch die Inhaber der „Berliner Handelsgesellschaft“, Herr Gelpke, Vater und Sohn, Letzterer ein angehender Vierziger mit freundlich klugem Gesicht, das der rund geschnittene Bart einrahmt. Er unterhält sich angelegentlich mit seinem geachteten Compagnon Herrn Conrad, der zu den Aeltesten der Kaufmannschaft zählt. Den Eindruck eines vollkommenen Gentlemans macht Herr Joseph Jaques mit seiner stattlichen Figur und dem grauen würdigen Kopf. Auch dieses Haus zeichnet sich durch feine Bildung und höhere Geselligkeit aus. An der Börse wird die Firma meist durch den Sohn und Compagnon, einen noch jungen liebenswürdigen Mann, vertreten. Sein Freund, ein ebenfalls noch junger, etwas starker Herr mit blühendem Gesicht, ist der Baron Victor von Magnus, Neffe des berühmten Portrait-Malers, Schwiegersohn des ausgezeichneten Physikers und Universitäts-Professors Magnus und Bruder des früheren preußischen Gesandten in Mexico. Durch Verwandtschaft und anderweitige Verbindungen gehört derselbe mehr noch den aristokratischen und diplomatischen Kreisen als der Börse an. Nebenbei besitzt er ein dramatisches darstellendes Talent und huldigt deshalb bald im Stillen, bald öffentlich den Musen, besonders bei den Aufführungen des Adels zu verschiedenen wohltätigen Zwecken. Die Geschäfte des Hauses besorgt hauptsächlich Herr Schüler, langjähriger Disponent der Firma und bekannt durch seine Tüchtigkeit und sarkastisches Wesen. Diese ganze Gruppe nimmt gewissermaßen eine eximirte Stellung an der Börse ein und vertritt gleichsam die classische Richtung, indem die Mehrzahl dieser Herren die Grundsätze der alten soliden Schule befolgt, die sich mit einem sicheren Provisionsgewinn begnügt und von allen gewagten Speculationen sich mehr oder minder fern hält, so weit sie sich nicht gezwungen finden, der Richtung der Zeit Rechnung zu tragen. Auch äußerlich zeichnet sich diese Aristokratie des Geldes durch ihre etwas reservirte Haltung aus; in ihrer Umgebung herrscht eine verhältnismäßige Ruhe, eine fast befremdende Stille, die sich dadurch erklärt, daß die Chefs sich meist durch ihre Procuristen vertreten lassen und nur bei außerordentlichen Gelegenheiten sich an den Geschäften betheiligen.

Um so lebhafter geht es an der sogenannten „Speculations“- oder „Lombarden-Ecke“ zu, wo sich das eigentliche Leben und Treiben der Börse concentrirt. Hier wird oft ein schwerer Kampf gekämpft, das Geschick des Tages entschieden, das Bülletin der Siege oder Niederlagen decretirt. Hier sitzen die Feldherren, welche über Millionen commandiren, umgeben von ihrem Stabe, von ihren Adjutanten, von geschäftigen Maklern und Agenten, die auf ihren Wink hier- und dorthin fliegen. Mit der größten Spannung lauscht die ganze Börse an solchen Schlachttagen auf die Stimmung, welche von dieser entscheidenden Ecke ausgeht. Eifrig studirt man die Physiognomieen der maßgebenden Führer und deutet ihre Blicke, ihre Mienen, ihr Lächeln oder ihr Stirnrunzeln. Wenn sie finster sehen, so verbreitet sich eine allgemeine Panique, wenn sie heiter blicken, strahlt die goldene Ducaten-Sonne der Hausse, lächelt die rosige Morgenröte am papierenen Actien-Himmel. Zwei bekannte große Firmen, deren Repräsentanten sich zufällig gegenübersitzen, sind die Hauptleiter der Speculation. Der Eine von Beiden, Herr Güterbock, der Aelteste von seinen Brüdern und Mitbegründer des „Berliner Cassenvereins“, gilt für eine respectable Capacität an der Börse. Sein Visavis, jener schwarzhaarige Herr mit den scharf marquirten Zügen, ist Herr Gerson Bleichröder, der außer seinem eigenen großen Geschäft noch die der verschiedenen Rothschild’schen Häuser hier versieht und darum doppelt in’s Gewicht fallen muß. Da er außerdem der Banquier des Grafen Bismarck ist, der es nicht verschmäht, die ausgezeichneten Diners des Herrn Bleichröder mit seiner Gegenwart zu beehren, so genießen die finanziellen Operationen eine Art von halbofficiösem Ruf, obgleich die Eingeweihten wissen wollen, daß Herr Bleichröder noch weit mehr auf Rothschild schwört, als auf den Kanzler des Norddeutschen Bundes. An seiner Seite befindet sich Herr Schwabach, der durch Fleiß und Talent sich vom einfachen Commis bis zum einflußreichen Theilhaber der Firma Bleichröder und Compagnie emporgeschwungen hat und wegen seiner Bonhomie allgemein beliebt ist. Zu derselben Kategorie gehört auch Herr Plaut, einer der durch Thätigkeit und Solidität rasch emporgekommenen Banquiers, der von Zeit zu Zeit die Börse durch irgend ein ingeniöses Manöver überrascht und zuweilen in eine keineswegs angenehme Aufregung versetzt.

Zu den besonders glücklichen Speculanten zählt ferner jener junge elegante Mann in kurzem Jaquet, mit bunt gestreiftem Vorhemdchen und lose geschlungener Binde, dessen Physiognomie eine seltsame Mischung von genialer Keckheit und berechnender Schlauheit, von liebenswürdigem Leichtsinn und durchdringendem Scharfblick, von selbstgenügender Sicherheit und natürlicher Befähigung verräth. Herr Hugo Pringsheim ist das enfant gâté der Berliner Börse, das Schooßkind Fortuna’s, ein Parvenu wie manche Größe der Neuzeit, aber gegenwärtig ein angehender Millionär und folglich höchst respectabel. Auf demselben Felde finden wir den Herrn Gustav Schultze, einen eben so gewandten als glücklichen Speculanten, sowie eine der beliebtesten Persönlichkeiten der Börse, einen Mann, der in den schwierigsten Zeiten sich immer als Ehrenmann bewiesen und neben seiner Liebhaberei für Gemälde sich noch durch seinen großen Wohlthätigkeitssinn auszeichnet. Auffallend still und ruhig, aber darum vielleicht um so solider erscheint Herr Neumann, der sein großes, in kurzer Zeit erworbenes Vermögen seinem Vertrauen zu den Amerikanern zu verdanken hat, ebenso wie Herr Magnus Hermann, der erst in letzter Zeit eine hervorragende Stellung unter den vom Glück begünstigten Speculanten einnimmt. An dieselben reiht sich noch eine jetzt seltene Börsenfigur an, Herr Goldberger, der Erfinder der Rheumatismus-Ketten und ähnlicher populärer Heilmittel, die, wie er selbst meint, wenn auch nicht immer seinen Patienten, doch ihm wenigstens sicher geholfen haben.

Es würde hier zu weit führen, wollten wir mit namentlicher Aufführung großer Firmen fortfahren. Es giebt noch viele hier, die einen alten, langbewährten Ruf genießen, andere, die, wenn auch jüngeren Ursprungs, doch rasch zu größerer Bedeutung gekommen sind. Zu ersteren gehören Veit und Comp., ein Haus, welches zum Theil Rothschild aus Paris an der hiesigen Börse vertritt und außerdem noch durch seine Familienbeziehungen merkwürdig ist, indem der Ahnherr der Gatte jener Dorothea Veit war, welche später sich von ihrem Manne scheiden ließ, um den bekannten Schriftsteller Friedrich von Schlegel zu heirathen. Aus ihrer ersten Ehe stammten die beiden berühmten Maler Veit; auch der hochgeachtete Buchhändler und Mitglied des Frankfurter Parlaments, Dr. Moritz Veit, gehörte dieser Familie an, welche eine höchst ausgezeichnete Stellung weit länger als ein halbes Jahrhundert behauptet hat. Zu letzteren gehören unter vielen anderen F. W. Krause und Comp., Bein und Comp., S. Abel jun., welcher kürzlich einen der elegantesten Paläste erbaut hat, eine Sehenswürdigkeit Berlins, und dem kürzlich die Ehre zu Theil wurde, daß Se. Majestät der König nebst hohem Gefolge Haus und Einrichtung in Augenschein nahmen und Sich höchst befriedigt darüber äußerten.

Während an der Lombardenecke und in deren Nähe das sogenannte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_014.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)