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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Alten, daß er scheu die Augen wegwandte und den Satz unvollendet ließ. Der Student dagegen war das Bild der gespanntesten Aufmerksamkeit – er hatte beide Arme auf den Tisch gelegt, und seine Augen hingen unverwandt an den Lippen des Sprechenden.

„Na, und Bauernbrod kann ich der alten Frau auch nicht auf den Tisch bringen,“ fuhr Sievert nach einer Pause ablenkend fort; „da bin ich noch nach Arnsberg gelaufen, und der Schloßverwalter hat mir nolens volens dies Brod da herausrücken müssen. … Der weiß übrigens auch nicht, wo ihm der Kopf steht. In der Küche hantirt der Koch aus A.; ein halb Dutzend Bedienten rennt hin und her; es wird gesäubert, geheizt und beleuchtet aus Leibeskräften – Seine Excellenz, der Minister, kömmt trotz Sturm und Schneewetter heute Abend noch nach Arnsberg. In A., und ganz besonders in seinem Hause, ist der Typhus ausgebrochen, und da will er die kleine Gräfin in Person auf das einsame Arnsberg retten.“

Ein Zug tiefen Mißbehagens ging durch das schöne Gesicht des Hüttenmeisters. Er schritt rasch einigemal im Zimmer auf und ab.

„Und wissen Sie nicht, wie lange der Minister hier bleiben will?“ fragte er stehenbleibend.

Sievert zuckte die Achseln.

„He, was weiß ich!“ sagte er. „Ich denke mir übrigens, es ist ihm weniger um das Kind, als um seinen eigenen heiligen Leichnam zu thun, und da wird er ja wohl abwarten, bis Freund Hein aus A. wieder abgezogen ist.“

Das waren offenbar keine erfreulichen Nachrichten für den jungen Mann; er blieb einen Moment nachdenklich mitten im Zimmer stehen, enthielt sich jedoch jeder weiteren Bemerkung.

„Sievert,“ sagte er nach einer Pause, „erinnern Sie sich des Herrn von Eschelbach?“

„Ei ja – er war Leibarzt beim Prinzen Heinrich und hat mir einen Armbruch glücklich curirt. … Vor circa sechszehn Jahren ist er über's Meer gegangen und hat nie wieder ein Sterbenswort von sich verlauten lassen – so viel ich mir denke, haben ihn die Seefische gefressen.“

„Bis jetzt noch nicht, Sievert!“ entgegnete lächelnd der Hüttenmeister. „Heute Nachmittag kam ein weitgereister, an meinen verstorbenen Vater adressirter Brief in meine Hände. Der Todtgeglaubte schreibt eigenhändig, daß er mit wehmüthiger Freude der Zeit gedenke, wo er von Schloß Arnsberg aus nach dem Hüttenmeisterhaus in Neuenfeld gewandert sei, um saure Milch unter den Linden zu essen. … Er lebt unverheirathet und kinderlos in Brasilien, ist unumschränkter Besitzer großer Bergwerke, Eisengießereien etc., führt aber ein völlig einsiedlerisches Leben und bittet schließlich meinen Vater, ihm einen seiner Söhne zu schicken, da er oft leidend sei und einer Stütze bedürfe.“

„Hei, da giebt's eine fette Erbschaft!“

„Sie wissen, Sievert, daß ich um keinen Preis von Neuenfeld fortgehen werde,“ sagte der Hüttenmeister kurz.

„Und mir fällt es nicht ein, mich auf diese Weise von Theobald zu trennen – Herr von Eschebach mag seine Gold- und Silberminen behalten!“ rief lebhaft der Student, auf dessen Wangen allmählich zwei rothe Flecken zu glühen begannen.

„Nu, nu, da behält er sie eben!“ brummte Sievert, indem er sich, wie in Gedanken verloren, mechanisch auf einen Stuhl niederließ. „So, so, der ist also reich geworden!“ sagte er nach einer Weile und rieb sich nachdenklich das stachlige, graubartige Kinn. „Von Haus aus war er eigentlich ein armer Schlucker –“

„Und weshalb ist er nach Brasilien gegangen?“ unterbrach ihn der Student.

„Ja, weshalb – da fragen Sie nach zu viel. Uebrigens – gedacht hab' ich mir manchmal, daß den eine einzige schlimme Nacht fortgetrieben hat.“

In diesem Augenblick schnob der Sturm mit einem schrillen, anhaltenden Pfeifen draußen um die Ecke. Die Fenster klirrten, und ein Dachziegel krachte zerberstend auf das Steinpflaster.

„Hören Sie?“ fragte Sievert, mit dem Daumen über die Schulter nach dem Fenster zeigend. „Just so eine Winternacht war's – eine Nacht, in der die ganze Höllenjagd über den Thüringer Wald hintobte. Das heulte, pfiff und gellte, es rüttelte an dem alten Arnsberger Gemäuer, daß die Bilder an den Wänden zitterten, und aus den Kaminen schossen die Flammen weit in die Zimmer herein – es war, als sollte das Schloß von der Erde weggefegt werden … Am anderen Morgen lagen alle Steinbilder umgerissen im Schloßgarten, dickstämmige Bäume waren geknickt und zersplittert wie Rohr, und im Schloßhof lagen Glassplitter, Ziegelscherben und zerbrochene Fensterladen handhoch durcheinander – auf dem verwüsteten Dach aber steckte die Trauerfahne, und drin in Arnsberg wurde mit allen Glocken geläutet, weil in der Nacht Prinz Heinrich gestorben war.“

Er schwieg einen Moment; dann lachte er rauh auf.

„Was half ihnen alles Läuten!“ fuhr er fort. „Was half der Fürstin die kohlschwarze Schleppe und Schneppe und dem Lande das schwarzgeränderte Wochenblatt – sie mußten sich doch Alle den Mund wischen, denn es war Todtfeindschaft gewesen bis an's Ende … Das müssen Sie ja noch wissen, Hüttenmeister!“

„Ja – ich war damals noch ein Kind, aber ich erinnere mich recht gut, daß Gehässigkeiten zwischen A. und Arnsberg hin- und herflogen, und daß der Prinz seinen Leuten nicht einmal den Umgang mit den fürstlichen Beamten gestatten wollte – mein Vater hatte als herrschaftlicher Hüttenmeister auch darunter zu leiden.“

„Richtig – und wer von den Cavalieren hielt damals zu dem Prinzen Heinrich und hauste mit ihm auf Arnsberg?“

„Nun, das war Ihr Herr, Sievert, der Major von Zweiflingen, Herr von Eschebach und der jetzige Minister Baron Fleury.“

„Ja der!“ lachte Sievert abermals bitter auf. „Der war ein Pfifficus sein Lebenlang! Die beiden Anderen kamen nie in die Stadt, geschweige denn an den Hof – es wär' ihnen auch schlecht genug bekommen – Seine Excellenz aber scherwenzelte hüben und drüben. Weiß der Henker, wie er's angefangen hat, aber jede Partei drückte die Augen zu, wenn er mit der andern verkehrte – das kann eben nur so ein französischer Windbeutel, und dem glückt's auch bei den – pfiffigen Deutschen … Ja, die am Hofe zu A. haben wohl gemeint, er könne Frieden stiften und ihnen schließlich zu ihrem Erbe verhelfen – ha, ha, sie Alle waren dem Weiberkopfe nicht gewachsen, der im Wege stand!“ -

„Die Gräfin Völdern“ – warf der Hüttenmeister ein – ein tiefer Schatten breitete sich über sein Gesicht.

„Ja, ja, die Gräfin Völdern drüben auf Greinsfeld … Der Prinz nannte sie seine Freundin, – die Leute aber waren unhöflicher und nannten sie noch ganz anders, und sie hatten Recht. Die wickelte Seine Durchlaucht um die Finger, sie machte ihn recht und link, und wenn er sagte ,weiß', da sagte sie ‚schwarz‘, und dabei blieb's auch allemal. … So viel Nichtsnützigkeit, solch' ein gerütteltes Maß voll Sünden und – keine Strafe! Das elende Weib ist gestorben, leicht und selig wie eine Gerechte. Sie hat nur einmal Furcht und Angst ausgestanden, und das war in selbiger Nacht!“

Was für Erinnerungen mußten in dem alten Mann aufsteigen daß er so ganz und gar seine gewöhnliche Gangart verließ! Der Zug der Verschlossenheit, des verbissenen, wortlosen Grimmes konnte nicht treffender charakterisirt werden, als durch diese nach innen gekrümmten Lippen mit den herabgezogenen Mundwinkeln – und jetzt war dieser schweigsame Mund beredt; die monoton rauhe Stimme lebte unheimlich auf in den Tönen des Hasses und der Verachtung und hatte etwas so Zwingendes, daß der Kranke das fieberhafte Hämmern hinter seiner Stirn vergaß, während sein Bruder gespannt und hingerissen Dingen lauschte, die er in ihrer Entwickelung zum Theil bereits kannte.

„Die Schloßleute munkelten schon längst, daß es nahe am Ende sei mit dem Regiment der Gräfin,“ fuhr Sievert fort. „Da wollte ein Jeder beim Prinzen verschiedene Anzeichen observirt haben – nur sie nicht; sie war nie toller und boshafter gewesen, und weil sich der Prinz eines schönen Tages einfallen läßt, seine verstorbene Frau zu loben, so beschließt sie in selbem Augenblick, einen großen Maskenball auf ihrem Gute zu halten und zwar – just am Todestag der armen, braven Prinzessin … Das schlug dem Faß den Boden aus! Der Prinz ist ganz blaß geworden vor Aerger und hat ihr streng befohlen, die Mummerei aufzuschieben – da hat sie hell aufgelacht, hat sich auf dem Absatz ’rumgedreht und gemeint, der Tag passe ihr gerade, und sie wolle auch recht schön beleuchten zu Ehren der Prinzessin. …

Also der Abend kam, und was sich Niemand, am allerwenigsten aber die Frau Gräfin, erwartetet hätte: der Prinz blieb

richtig zu Hause, und die drei Herren, mein Major, der Baron

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_003.jpg&oldid=- (Version vom 20.2.2020)