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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Straße, die zum Eremiten führt, bereits von der Lava überzogen, und wenn man selbst, allen Mühen und Gefahren trotzend, das Piano delle Ginestre hätte erreichen können, so befand man sich in dicken Rauch- und Aschenwolken und konnte weder aufwärts noch abwärts etwas sehen. So beschloß ich denn, mich an den Fuß des Lavastroms zu begeben, und nachdem ich mich in der deutschen Buchhandlung der Herren Detken und Rocholl, deren gefällige Besitzer mir alle wünschenswerthen Auskünfte gaben, mit einer guten Karte der Umgebungen von Neapel versehen hatte, fuhr ich am 18. mit der Eisenbahn nach Portici. Gleich beim Austritt ans dem Bahnhof fuhren mir ein halbes Dutzend Droschken in den Weg, deren Führer mit echt neapolitanischer Zungengeläufigkeit und südlich lebhafter Gesticulation sich die angekommenen „Eccellenze“ (denn weniger als Excellenz ist man hier nicht) streitig zu machen suchten. Endlich sprang ich in ein Cabriolet, dessen Lenker durch ein: „Für einen Franc fahre ich Euere Excellenz bis an den Fuß der Lava!“ allen seinen Mitbewerbern den Rang abgelaufen hatte, und fort ging es, wie eben nur neapolitanische Kutscher fahren, immer in gestrecktem Galopp, durch die endlos langen Straßen von Portici und dann eine lange Pappelallee nach San Giorgio a Cremano.

Unterwegs schon hatte sich mir der Kutscher als ein gewandter, mit der Gegend wohlbekannter Mann erwiesen, und da wir bereits eine Stunde gefahren waren, ohne San Giorgio erreicht zu haben, ich Abends so lange als nur möglich auf dem Berge bleiben wollte, nach acht Uhr Abends keine Eisenbahnzüge mehr gehen und ich an die Schwierigkeiten der Rückkehr nach Neapel dachte, nahm ich seinen mir indessen gemachten Vorschlag, für zehn Francs ganz zu meiner Disposition zu bleiben und mich zu jeder beliebigen Stunde vor oder nach Mitternacht nach Neapel zurückzuführen, gern an. In San Giorgio stiegen wir bei der letzten Osteria aus, denn weiter durften keine Wagen passiren, um den Bewohnern des Bergabhangs, die ihre Habseligkeiten wegschafften, die ohnehin schmalen Dorfwege nicht zu versperren, versahen uns, zu den von Neapel mitgenommenen Lebensmitteln, noch mit ein paar Flaschen trefflichen Vesuvweins und traten nun unsre Fußwanderung an. An der Osteria hatte schon ein ganzer Haufen für die Gelegenheit improvisirter Führer den Wagen umdrängt und mit lautem Geschrei den „Eccellenzas“ seine Dienste angeboten. Auf die Empfehlung des Kutschers wählte ich einen derselben, gab ihm den Wein und unsere Mäntel zu tragen, konnte aber trotz alles Protestirens nicht verhindern, daß sich noch ein anderer angeblicher Führer uns anschloß und rüstig mitschritt. Schon auf dem Bergabhange kamen uns die Bewohner der bedrohten Gegend, Betten, Schubladen, Thüren, Fenster, Fässer, abgehauene Oelbäume auf den Köpfen tragend, entgegen, die Weiber weinend und klagend, die Männer fluchend, die Minder lachend und jubelnd. Die Aermsten suchten vor dem heranrückenden Feuermeere wenigstens was von ihren Habseligkeiten beweglich war zu retten; das Haus, in dem sie lange Jahre gewohnt, den Weinberg, die Oelpflanzung, den Obstgarten, die sie mit ihrer Hände Arbeit und eisernem Fleiße sich zu einem kleinen Paradiese geschaffen, mußten sie leider zurücklassen mit dem Bewußtsein, ihr Eigenthum nie mehr wieder zu sehen, denn in einigen Stunden, oft nur Minuten war es eine Wüste von Lavablöcken und Felstrümmern, der Schauplatz trostloser Verheerung, auf dem selbst die Grenzmarken des früheren Besitzthums nicht mehr zu erkennen sind, da Grenzsteine, Bäume, Mauern, Häuser, kurz Alles unter dem zerstörenden Tritte des Lavawalles bis zur Unkenntlichkeit vernichtet wird. Vor den großen Häusern der Weinberge am Wege standen Ochsenkarren mit leeren Fässern, in welche der aus den Kellern hastig in Eimern heraufgeschleppte Wein hineingegossen ward, nicht jedoch, ohne daß bei der übereilten Arbeit die Hälfte, statt in’s Spundloch, auf die Erde und in breiten rothen Rinnen den Berg hinabfloß.

Da die Führer zur Besteigung des Vesuv fast alle in Resina sind und dort unter polizeilicher Aufsicht, mit festgesetzter Taxe für ihre verschiedenen Dienste, stehen, – hier in San Giorgio sich aber ein Corps von Volontair-Führern gebildet hatte, über die keine solche Controle wacht, so fragte ich im Hinaufsteigen den Führer, wie viel er für seine Mühe verlange, aber die Antwort lautete: „Was Euere Excellenz mir geben wollen!“ – Mit aller Mühe konnte ich kein anderes Wort aus ihm herausbringen und da ich vorwärts wollte, so blieb nichts übrig, als mich auf seine Discretion zu verlassen. – Der andere, ungerufene Führer schritt indessen rüstig mit uns und suchte sich durch allerhand kleine Dienste nützlich zu machen.

Jetzt wurde der Schwefel- und Kohlendampf immer lästiger und die Hitze der Lava schon fühlbar, wir bogen aus dem Wege heraus um ein schon ganz ausgeräumtes, selbst seiner Thüren und Fenster entkleidetes Haus herum in einen Weinberg, dessen Rebengelände mit Oel und Feigenbäumen durchzogen waren, – und standen plötzlich vor dem langsam herranrückenden Lavawalle. – Wie wenig trifft der Begriff, den man sich von einen: Lavastrome macht, mit der Wirklichkeit zusammen; – die Lavafluth tritt uns nicht als eine feurige, fließende Masse entgegen, sondern als ein zwanzig bis fünfunddreißig Fuß hoher Steinwall, gebildet aus theils schwarzen, theils dunkelroth glühenden Felsenblöcken, und dieser Wall, der von der am Boden hinkriechenden, flüssigen Lava getragen, durch die ungeheure Schwere der beständig nachströmenden Feuermasse getrieben, durch die Abschüssigkeit des Bodens in seinem Falle befördert wird, rückt nun sichtlich, ungefähr zwei bis drei Fuß in der Minute, – je nach größerer Steilheit des Bergabhanges auch schneller, – auf uns zu.

Fortwährend lösen sich im Vorwärtsschieben einzelne, mächtige, glühende Blöcke von dem Gipfel des Walles ab und stürzen mit Getöse herab, Alles, was in ihrem Wege steht, augenblicklich in helle Flammen setzend, – oder es klafft in dem vordrängenden Felsenwalle plötzlich ein großer Schlund auf und eine feurige Lavagluth schießt, wie das flüssige Erz bei einem Glockengüsse, brausend hervor, entzündet, was sie berührt, und wird, schnell zu Lavablöcken erkaltend, mit der übrigen Masse vorwärts geschoben. Es ist ein Anblick so gewaltig und überraschend, so neu und überwältigend, daß man nur sprachlos staunend dastehen, das Großartige und Wunderbare der Erscheinung aber nicht mit Worten beschreiben kann. Auch diese Zeilen werden dem Leser kein anschauliches Bild von dieser gräßlich schönen Naturerscheinung geben; – so Etwas muß gesehen werden.

Wir waren jetzt, in einer der fruchtbarsten Gegenden am Abhänge des Vesuv, in den sogenannten „Novelle“, ganz mit Weinbergen, Oel- und Obstpflanzungen bedeckt, aus denen massive, steinerne Bauernhäuser und hübsche Villen und Casinos anmuthig hervorleuchteten. Seit Menschengedenken waren diese Novellen von jeder Verwüstung des Feuerberges verschont geblieben, die verheerende Lavagluth von 1794, die furchtbaren Ausbrüche der fünfziger Jahre hatten sie nicht berührt, und jetzt war dieses reizende Paradies dem schrecklichen Schicksal preisgegeben, in einigen Stunden oder Tagen in eine trostlose Felsenwüste verwandelt zu werden. Der Lavawall, der, wie bereits bemerkt, eine Höhe von zwanzig bis fünfunddreißig Fuß erreichte, rückte in einer Breite von mindestens vierhundert Fuß in drei verschiedenen Armen auf uns zu, und bewegte sich in der Thalsenkung, die la Fossa della Vetrana heißt, von Nordwest noch Nordost.

„Kommen Sie,“ rief mir ein Franzose zu, der wie ich und mein Reisegefährte vor wenigen Tagen erst von Rom gekommen war, – „kommen Sie, in drei Minuten wird das Haus des Pfarrers von der Lava überfluthet werden.“ Wir eilten durch den immer dichter werdenden Rauch und die unerträgliche Hitze, die uns die Haut im Gesichte aufzog, durch einen Hohlweg zwischen Weinbergen, längs der Lavafluth, bergaufwärts, immer auf unserm Defilé vorsichtig nach oben blickend und auf das Krachen und Knattern der Lava horchend, – denn wehe dem Unglücklichen, der sich in einem solchen Hohlwege befindet, wenn die Lava den Rand desselben erreicht und sich nun mit schrecklicher Gewalt hineinstürzt! – auch die schnellsten Beine und die größte Geistesgegenwart dürften da nicht immer vor dem gräßlichen Feuertode retten.

Wir erreichten endlich den großen Weinberg des Pfarrers, in dessen Mitte das stattliche, auch schon ganz ausgeräumte Pfarrhaus lag. Der alte Pfarrer in kurzer Jacke und Kniehosen, nur durch ein schwarzsammtnes Käppchen als Geistlicher kenntlich, bemühte sich mit Hülfe einiger Männer, die Weinpfähle auszureißen, um wenigstens diese, als Brennholz, zu retten. - Sein schwarzer Hund, ein kluges, treues Thier, lief immer, ängstlich bellend, zu dem verlassenen Hause hin, dem ein über dreißig Fuß hoher Lavawall schon bis auf einen Fuß nahe gerückt war, und dann wieder zu seinem Herrn zurück, an dem er bellend aufsprang, als wolle er ihn vor der herannahenden Gefahr warnen. – Das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 809. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_809.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)