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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

das der englische Gesandte gab. Der Platz war mit einer Lichterguirlande umzogen, welche von neun Uhr Abends bis Mitternacht fast Tageshelle verbreitete. Die schlittschuhlaufenden Damen und Herren trugen Fackeln, die sich namentlich im Ringelreihen, der neben der Quadrille getanzt wurde, sehr schön ausnahmen. Orchester und Büffet waren trefflich. Zufällig in derselben Nacht noch an einem Balle theilnehmend, kam uns dort die heiße Lust und der im Verhältniß zum Eise rauhe Boden fast unerträglich vor – so sehr verdient der Eistanz den Vorzug.

Ueberhaupt hatten wir in Bern im vorigen Winter eine überaus günstige Saison, die sich mit wenigen Unterbrechungen über drei Monate erstreckte und die Gelegenheit darbot, die Eisfläche mehrerer Seen zu erproben. Als auf Feld, Weg und Teich schon Alles aufgethaut war, hielt die schuhdicke Eisdecke des Moosseedorfsees noch bis Ende Februar und bot uns besonders nach Sonnenuntergang, in Mondscheinnächten noch eine harte, glatte, prächtige Bahn. Auch Thuner, Bieler und Untersee luden zu Besuchen ein. Die Ausflüge auf die drei ersteren hat der geistreiche Verfasser der Berg und Gletscherwanderungen, Dr. Abraham Roth, in seiner Sonntagspost in einer „wilden Ode von Klopstock dem Jüngeren“ dithyrambisch gefeiert.

Der Untersee, dessen Sommerzeit Scheffel in seinem Ekkehard verherrlicht, war schon vor Neujahr zugefroren. Einst hatten wir dort eine abenteuerliche Fahrt. Schon frühzeitig von Constanz aufgebrochen, waren wir an der Insel, wo Karl’s des Dicken Gebein ruht, vorüber, als dichter Nebel uns umhüllte. Wir fahren fort und hören die Glocke von Radolfzell uns zum Mittagsmahl rufen, immer größer wird die Hast, immer rascher der Lauf, – der Hunger hatte beide Sporen eingesetzt, – da langen wir plötzlich wieder bei Allenspach, gegenüber der Reichenau, an. Wir waren, ohne Compaß, im Kreise herumgefahren und kamen zwei Stunden später an unserer Mittagstafel an. Die Reichenauer Bauern führen auf dem See daher stets den Compaß bei sich. Einmal hatten wir eine lustige Begegnung. Aus dem Nebel tauchen vor uns zwei schnelle Fahrzeuge auf, die sich begegnen. „Wohin, Hans?“ rief der Eine hinter seinem Schlitten, der eine Last Holz trug, stehend und ihn mit seinem langen, mit Stachel bewaffneten Stock fortstoßend, einem ähnlich befrachteten Bauern zu. „Nach Hause!“ „Ei woher kommst Du denn mit dem Holze?“ „Von Allenspach.“ „Da fährst Du eben hin.“ Betroffen zieht Hans den Compaß und ruft: „Bei Gott, es ist wahr! ich fahre eben dahin, wo ich herkomme,“ und drehte den Schlitten, worauf sie bald im Nebel sich aus dem Gesicht verloren.

Ein anderes Mal fuhren wir bis Stein. An der Landzunge, um welche man in das Steiner Seebecken fährt, waren nordpolartige Eisblöcke aufgethürmt. Spalten mußten übersprungen werden, unter denen die tückische Ran lauerte. Unten angelangt, fing es an so stark zu schneien, daß wir den hinwärts von uns eingeschlagenen, stark im Bogen gehenden, gegen neun Stunden langen Weg auf der Nordseite der Insel heimwärts nicht mehr zurücklegen konnten. Wir mußten versuchen, ob das Eis auf der Süd- oder Rheinseite uns schon trug. Steckborn war passirt, wir befanden uns wieder der Insel gegenüber, dem schweizer Ufer entlang stürmend im dichten Schneegestöber. Die Nacht brach herein, – da krachte es unter mir; ich rufe meinem Begleiter „Halt“ zu. Er hörte nicht. Ich breche durch; er auch. Wassertretend und das Eis vor uns zerschlagend erreichen wir das Ufer. Die Schuhe werden geleert und dann, um Erkältung zu verhüten, im Dauerlauf zwei Stunden weit nach Hause getrabt, ohne Schaden zu nehmen.

Ein ähnliches gefährlicheres Abenteuer wird mir aus Norwegen mitgetheilt. Dort gefrieren noch größere Flächen, als auf den schweizer Seeen, die sich viele Meilen weit auf den Meerbusen und Binnenseen ausdehnen. Bisweilen gefriert ja das baltische Meer, die Geburtsstätte des Schlittschuhes, selbst und bietet unübersehbare Flächen.

Der Berichterstatter nahm an einem Ausflug Theil, welchen sechs oder sieben norwegische oder englische Studenten von Christiania aus den Meerbusen hinab machten. Man besuchte ein zwanzig englische (gleich vier deutsche) Meilen entferntes Dorf, um im Mondschein zurückzukehren. „Es war ein lieblicher Morgen, als wir aufbrachen. Der Himmel war tiefblau und kam an Klarheit der Farbe fast der Beleuchtung des südlichen Klima’s gleich. Mit dem Eise konnte selbst das wählerischeste Mitglied des Schlittschuhclubs zufrieden sein; auch wurde die Annehmlichkeit unserer Fahrt noch besonders erhöht durch das Bewußtsein, daß das Eis nicht weniger als drei Fuß dick war, und doch es nirgends gefährliche Sprünge gab. Füge ich vollends bei, daß der Meerbusen wenigstens zwei englische Meilen breit ist und immer breiter wird, je weiter man die Stadt hinter sich läßt, und daß wir, wenn wir gewollt, bis in’s offene Meer, eine Entfernung von nahezu achtzig englischen Meilen, hätten fahren können, so wird man leicht erkennen, daß es uns zur vollen Entfaltung unserer Kräfte nicht an Raum fehlte. Wir machten natürlich keine phantastischen Kunststücke, denn wir hatten eine lange Fahrt vor uns, und mußten sonach mit unserer Kraft haushälterisch umgehen. Schnell eilten wir voran, wozu eine sanfte Brise aus Nord uns freundlich Hülfe leistete. Da und dort machten wir Halt, um einige Worte mit irgend einem einsamen Fischer zu wechseln, und campirten zeitweilig auf dem Eise unter einem auf Pfählen ausgespannten Stück Segeltuch. Die Fische schienen hungerig, wie wir aus der Menge Weißfische und kleiner Stockfische schlossen, welche einige Fischer in ihren Körben hatten. –

Plötzlich fuhr ein Eisschiff mit der Schnelligkeit des Sturmwindes an uns vorüber. Ich hatte nie zuvor eines gesehen. Es ist gebaut wie ein Eispflug, d. h. es hat eine dreieckige Gestalt und steht auf Schlittschuhen. Es trug ein großes viereckiges Segel, das eingezogen werden kann, wenn man das dasselbe festhaltende Tau gehen läßt. Dies ist auch in der That die einzige Art und Weise, diese Schiffe zum Stehen zu bringen; und sonach ist eine Fahrt in denselben häufig gefährlich und selbst das Leben bedrohend; denn sollte man ungefähr dem Ende des Eises nahe kommen und der Wind scharf wehen, so ist die einzige sich darbietende Aussicht auf Rettung die, auf das Eis hinauszuspringen auf die Gefahr hin Hals und Bein zu brechen, – will man nicht in’s offene Wasser geschleudert werden. (Es giebt daher in Holland auch Boote, die auf Schlitteneisen stehen und jene Gefahr verhüten.)

Nach einer angenehmen Fahrt von drei bis vier Stunden kamen wir ungefähr um ein Uhr heißhungerig am Orte unserer nächsten Bestimmung an. Wie vortrefflich schmeckte da der Kaffee, – wie pikant der geräucherte Lachs – wie duftig die Cigarre, wie erheiternd der Punsch! So ging die Zeit schnell vorüber, und mit einem dem Widerstreben verwandten Gefühl verließen wir das warme Zimmer der Dorfstation, um uns abermals auf den offenen Fjord hinauszuwagen. Wir traten daher unsern Heimweg vielleicht nicht ganz so aufgeräumt an, als am Morgen unsere Abfahrt, denn die Sonne war dem Untergänge nahe, der Wind wehte uns in’s Gesicht und wir waren ein wenig steif. Dennoch zogen wir fröhlich aus, in ,Halbeile’. Da wurden wir, als wir ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt, unangenehm überrascht, wahrzunehmen, daß sich allmählich und wie verstohlen ein dichter Nebel über das Eis zog. Er kam immer näher, bis wir zuletzt in einen undurchdringlichen Dunstkreis eingehüllt waren. Nun zum ersten Male drängte sich uns der Gedanke ans, daß wir uns in einer schlimmen Lage befänden. Welche Richtung sollten wir einschlagen? Kein Stern war mehr am Himmel sichtbar, kein Compaß in der Tasche, wonach wir die Richtung hätten bemessen können! Was thun? Umkehren oder vorwärts rücken? Wir entschieden für Letzteres. Bald zogen wir aber ebenso in der Irre umher, wie irgend ein Jäger auf einer spurlosen Prairie oder in einem grenzenlosen Urwalde. Und dennoch konnte uns etwas als Führer dienen – der Wind. Dadurch, daß wir ihn auf einer gewissen Seite unseres Gesichtes behielten, glaubten wir zuverlässig, daß wir, wofern er sich seit dem Morgen nicht etwas gedreht, in der rechten Richtung geblieben seien. ‚Bleibt nahe beisammen‘ rief unser Anführer, als wir Einer hinter dein Anderen dahin glitten, ‚und denkt an die Löcher im Eise.’ Dies war eine weitere Gefahr, denn die Löcher, welche die Fischer Morgens gemacht, konnten noch nicht stark genug zugefroren sein, um Nachts schon das Gewicht eines Mannes zu tragen. Obgleich sie aber nicht so groß waren, um hindurch zu fallen, so hätte man doch leicht, wenn man unversehens in eines desselben hineingerathen wäre, ein Bein brechen können. Mittlerweile ward der Nebel immer dichter, so daß wir uns endlich genöthigt sahen, einander gegenseitig an den Rockzipfeln zu halten. Hätten wir ein Seil gehabt, würden wir die Hochalpensteiger und Alpenclubbisten nachgeahmt haben. Bereits hatten wir fünf Stunden auf dem Eise

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