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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Der Eislauf.

Von Max Wirth in Bern.

Ich bin aufgefordert worden, in diesem Winter wieder auf die Lust und Kunst des Schlittschuhlaufens zurückzukommen, und will die Gelegenheit wahrnehmen, Einiges zu den Mittheilungen des vorigen Jahres nachzutragen. In Folge der Letzteren sind mir, zum Theil durch die Aufmerksamkeit befreundeter Mitglieder der englischen Diplomatie, Zeitungen und Ausschnitte aus Canada, Neuschottland, England, Rußland, Norwegen, so wie die in diesem Jahre erschienene zweite Auflage des besten englischen Schlittschuhbuches von Georg Anderson („Cyclos“), dem Präsidenten des Glasgower Schlittschuhclubs, zugegangen und ich habe mit großem Interesse wahrgenommen, daß die Kunst des Schlittschuhfahrens eine kosmopolitische ist, daß aber Deutschland darin den ersten Nordländern zur Seite steht.

Indessen nicht blos aus der Gegenwart, sondern sogar aus vorhistorischer Zeit kann ich Kunde geben. Die älteste Erwähnung des Schlittschuhs kommte in der deutschen Sage vor: Uller, der Gott des Sanges, ist der Erfinder des Schlittschuh's; wenn ich nicht irre, werden ihm aber bereits stählerne zugeschrieben; denn die germanische Götterlehre stammt aus der Zeit, wo die Bereitung des Eisens schon entdeckt war. Nun ist aber in der Nähe der Stadt Bern ein See, „Moosseedorfsee“ genannt, ein Hauptschauplatz unserer Lust und unserer Thaten, an dessen Ufer die ältesten Pfahlbauten gefunden wurden. Vor einiger Zeit tiefer gelegt, konnten die Nachgrabungen am trocknen Ufer gemacht werden. Herr Dr. Uhlmann in Münchenbuchsee, welcher dieselben auf eigene Kosten angestellt, hat so reiche Funde gemacht, daß seine Sammlung von Stein- und Knochenwerkzeugen als die wichtigste zu betrachten ist und daß eine kleine Auswahl derselben auf der Pariser Ausstellung, in welcher noch bei weitem nicht die schönsten Exemplare sich befanden, gerechtes Aufsehen erregte. Herr Dr. Uhlmann hat namentlich mehrere sehr schöne Steinbeile aus Nephrit gefunden, jenem Steine, der nur im Hochgebirge Asiens (und Neuseeland) gefunden wird, der frisch aus dem Steinbruch sehr leicht zu bearbeiten ist, später aber so hart wird, daß man Glas damit ritzen kann.

Diese Nephritbeile sind nun der erste handgreifliche Beweis für die Behauptung der Sprachforscher, daß die Celten aus Hochasien stammen; denn für celtische Ansiedelungen müssen die Pfahlbauten gelten, da die Germanen erst in der historischen Zeit in diese Gegend vordrangen. Sehr bezeichnend nennt Dr. Uhlmann diese Nephritbeile daher „Heimathscheine“ der Celten. Im Torf des Moosseedorfsee’s ist aber auch ein Schlittschuh aus einem Pferdeknochen gefunden worden, welcher auf der Stadtbibliothek zu Bern aufbewahrt wird. Die Form desselben ist natürlich nicht ganz die unsrer heutigen aus Stahl und Holz, sondern ein Mittelding zwischen unserm heutigen Holz und der Stahlsohle, d. h. ein etwa elf Zoll langer Pferdeknochen ist unten und an den Seiten glattgeschliffen, so daß eine glatte etwa neun Linien breite und zehn Zoll lange Sohle das Eis berührt. Rinnen hat der Schlittschuh nicht, und in dieser Hinsicht sind sich die ältesten und die neuesten gleich. Von den Kanten an läuft er nach oben in die Breite, so daß er oben für die Fußsohle etwa anderthalben Zoll breit und elf Zoll lang Raum bietet. Vorn befindet sich ein Loch und hinten eine Kerbe im Knochen, wo die Riemen angebracht werden konnten, um sie an der Fußbekleidung zu befestigen. Es gab eine Zeit lang Zweifler, bis auch aus Schweden ein gleiches Instrument auf der Berner Stadtbibliothek eintraf, welches etwas kleiner für einen Knabenfuß paßt. Um allen Zweifel darüber zu nehmen, ist in einer Beschreibung von London von Fritz Stephen aus dem siebzehnten Jahrhundert, die ein Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts, Blaine, und nach ihm Anderson citirt, ausdrücklich erwähnt, daß, wann das große Moor, welches die Stadt im Norden begrenzte, gefroren war, die jungen Leute auf dem Eise spielten und einige schleiften, andere Knochen unter die Füße banden und, sich mit einem Stocke stoßend, wie ein Vogel in der Luft oder wie ein Pfeil von der Armbrust auf dem Eis dahinschossen. Das Alter des Schlittschuhes von Moosseedorfsee ist auf wenigstens viertausend Jahre anzunehmen, denn dies ist die geringste Berechnung des Alters der in der Schweiz ausgegrabenen Knochenwerkzeuge.

Ich habe schon im vorigen Jahre der gedeckten, künstlichen Eisplätze in Canada und Nordamerika gedacht. Ich habe nun nähere Nachrichten über dieselben. Sie sind „Eisrinks“ genannt und bestehen aus künstlich überschwemmten Plätzen, welche wie ein Schuppen mit einem Dach gedeckt, neben offen sind, aber je gegen den Wind geschlossen werden können. Diese Plätze sind schneefrei und das Eis gefriert schneller und hält sich besser darin, weil man die Wände je nach Bedarf anlegen oder entfernen kann. Nachts werden diese Eisringe wie Ballsäle mit Gas erleuchtet, eine Capelle spielt und ein wohlversehenes Büffet sorgt für Erquickung des müden Leibes. Costümirte Bälle werden darin aufgeführt. Das „Quebec Chronicle“ meldet über einen solchen Abend: „Der Quebeker Schlittschuhclub hatte seinen großen costümirten Ball in seinem Eisring. Das Jagdhorn ertönte um neun Uhr und der bunte Haufen der Schlittschuhläufer strömte auf das Eis, über welches diese in Hochgenuß dahinstoben, aufjauchzend bei den Klängen einer reizenden Musik und beim Anblick von Hunderten von Damen und Herren, der Elite von Quebec, in den phantastischsten Trachten. Ueber die gleißende Bahn schwebten Dutzende flüchtiger Charaktermasken, kreisend, flatternd, wirbelnd, in der Menge sich verlierend; glänzende, mannigfache Farben, reiche, sonderbare Trachten zogen an uns vorüber oder combinirten Tänze mit wunderbarer Schnelligkeit und überraschendem Effect. Die Herren führten zu den üblichen Charaktermasken einige Neuigkeiten ein: eine Eule, einen Affen, eine Riesenflasche, einen Schneider bei der Arbeit auf seiner Bank, einen reitenden Knaben, alle dargestellt durch gute Schlittschuhläufer. Unter dem Zug der Damen waren Darstellungen von ,Nacht und Morgen’, eine Marketenderin. Alle Uebungen und Figuren wurden mit vollendeter Kunst und Grazie aufgeführt. Unter den Tänzen waren Quadrille, Walzer Galoppade, Lancier etc., mit der je passenden Musikbegleitung.“

Aus Chicago vernehme ich, daß dort im December 1866 der erste Eiscircus angelegt worden ist. Ueber einem Grundstück, das mittels Hydranten jeden Tag neu überfluthet und das zu einem Bassin und Schlittschuhfelde vorbereitet war, wurde eine große Halle von Holz aufgeführt, mit, gewärmten Vorzimmern, Balconen, Musikpavillon, Erfrischungsständen, kurz mit Allem, um selbst der verzärteltsten Dame das Glück des Eislaufens möglich zu machen. Das Eis in diesen „Rinks“ hält sich länger als im Freien., ist schnee- und windfrei, Umstände, welche der Ausbildung des Schlittschuhlaufens, namentlich Phantasiemanöver betreffend, eine neue Aera eröffnet haben. Mit den Schlittschuhen wird bereits bedeutender Luxus getrieben. Ein Paar mit Silber ausgelegte, von Rosenholz, kosten fünfzig Dollars. Es giebt in Chicago nicht weniger als drei Eisparke und zwei Eiscircuse, die zusammen im Winter fast jeden Abend von mindestens zehntausend Personen besucht werden.

Auch in Petersburg hat sich auf Anregung dortiger Engländer ein Schlittschuhclub gebildet, welcher, wie überall, wo es geschehen, die Vorliebe zum Schlittschuhlaufen sehr entwickelt hat. Der Verein richtet auf der Newa eine gute Eisbahn her, wo Damen und Herren sich herumtummeln. Die ersteren haben eine sehr kleidsame Tracht erfunden, welche die Grazie ihrer Bewegungen mehr hervortreten läßt. Hoch aufgeschürzt, die Füße mit hohen, zierlichen Schnürstiefelchen bekleidet, in eine pelzverbrämte Tunika gehüllt, auf dem Kopf eine schelmische Pelzmütze, schnellen sie sylphidenartig, bald einzeln, bald paarweise auf der glatten Bahn einher. Oft werden nach dem Klänge der Musik Tänze aufgeführt. In jedem Winter giebt der Club ein glänzendes Fest. Der ganze Raum ist prachtvoll mit farbigen Lampen erleuchtet. In der Mitte der Bahn erhob sich bei dem letzten Feste ein Eisbau, welcher von innen durch ein glänzendes, farbiges Licht erleuchtet war. Viele Schlittschuhläuferinnen führten farbige Lämpchen an der Mütze und am Gürtel, so daß diese erleuchtenden Punkte wie große Glühwürmer umherschwirrten. Das Ganze brachte eine feenhafte Wirkung hervor. Der Kaiser selbst und mehrere Mitglieder der kaiserlichen Familie nahmen an dem Feste und an dem Schlittschuhlaufen Theil.

In Bern wurde im vorigen Winter auf der durch die Gesellschaft geschaffenen künstlichen Eisbahn ein ähnliches Fest gefeiert,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_806.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)