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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 51.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Lorenz und Lore.
Von Paul Heyse.
(Fortsetzung.)


„Ich wäre den Ton“ fuhr Lore fort, „womit Christel seine letzten Worte sagte, und auch seinen letzten Blick wohl wieder losgeworden, wenn ich hätte weinen können. Aber es war wie ausgebrannt in mir, und auch wie dann die Tante an die Reihe kam, die doch gewiß wie die eigene Mutter an mir gethan hatte – ein Kieselstein giebt eher einen Tropfen von sich, als meine beiden Augen, Und bei der Tante kam noch das Grausen hinzu, das so die recht eigentliche Trauer gar nicht aufkommen ließ. Wie das aussah, Lorenz, als sie immer mit dem Kinne wackelte und dazwischen wieder lachte und mit den Fingern Clavier spielte auf ihrer Bettdecke – ich sage Dir, die Haare standen mir beständig zu Berg; ich fühlte gar nichts mehr, weder Wärme noch Kälte, so war ich wie in eine Gänsehaut eingewickelt und sah überall das furchtbare Gesicht, das erst nach dem letzten Athemzuge wieder friedlicher wurde. Und eben hatte ich ihr die Augen zugedrückt und lag halb besinnungslos, sterbensmüde, da ich nun schon neun Tage in kein Bett gekommen war, hier auf diesem Sopha, und der Vorhang da war zugezogen, weil die Zenz meinte, ich sollte nicht mehr hinsehn, sondern etwas zu schlafen versuchen, da klopft es und ein Soldat kommt herein, der Bursche von dem Auditor, meinem Bräutigam.“

„Deinem Bräutigam, Lore, Du bist Braut?“ rief Lorenz und sprang vom Sopha auf. „Und davon höre ich jetzt das erste Wort?“

„Ich habe nicht gedacht, daß es Dir im Geringsten wichtig wäre,“ fuhr sie mit derselben halblauten gleichgültigen Stimme fort. „Darum hab’ ich Dir nichts davon geschrieben, und kein Andrer in der Stadt konnte Dir’s mittheilen, weil es überhaupt noch geheim war und noch nicht einmal ganz richtig. Die Tante hatte es gewünscht, seine Mutter war eine gute Freundin von ihr. ,Ich liebe ihn nicht, Tante,’ sagte ich, ,und wenn ich ihn nehme, ist es nur, um Ihnen nicht länger zur Last zu fallen, da Sie nun auch für den Christel zu sorgen haben?’ Darauf redete sie lange in mich hinein, aus dem Grunde sollte ich beileibe nicht Ja sagen, sondern weil er ein so braver und gescheiter Mensch sei und so geachtet bei seinen Vorgesetzten und Cameraden und mich schon seit zwei Jahren liebe. Das mochte Alles richtig sein, aber dennoch gefiel er mir gar nicht. Er war kein übler Mensch, Viele hielten ihn sogar für hübsch, aber er hatte so große Füße und so runde hervorstehende blaue Augen, und sprach etwas durch die Nase, und sein Haar, das eigentlich roth war, färbte er sich pechschwarz; wie konnte ich mich wohl in ihn verlieben? Dazu hieß er Leopold, und der Name war mir unausstehlich, weil die Tante einmal einen Hund gehabt hatte, eine garstige Bulldogge, ebenfalls mit runden blauen Augen, die Poldl hieß. Und ich sagte es ihm auch, in der ersten Stunde, wo er allein mit mir sprach, er sei mir ganz gleichgültig und ich müsse es mir noch Jahr und Tag überlegen, und bis dahin sollte nicht davon gesprochen werden. Das fand er auch in der Ordnung und wollte schon zufrieden sein, wenn er nur dann und wann in’s Haus kommen dürfe. Auch war er so bescheiden, daß er sich nie mehr herausnahm, als mir die Hand zu drücken, wenn er kam und ging, und dabei blieb es drei Monate lang, und wenn nicht die Tante darauf bestanden hätte, daß ich den Ring annehmen sollte, den er mir schickte – getragen habe ich ihn freilich nie – und ihm einen dagegen schenken, so hätt’ ich nicht gewußt,, daß ich verlobt war. Abends, wenn er kam und erst eine Weile plauderte und dann ein Buch aus der Tasche zog, uns vorzulesen – nicht so schöne Geschichten, wie Du uns mitzubringen pflegtest – saß ich hier gewöhnlich im Winkel neben dem Schrank, den Peter auf dem Schooß, und dachte an alte Zeiten und schlief manchmal darüber ein. Dann bekam ich hernach eine Predigt von der guten Tante, aber ich konnte es nicht ändern. Ich dachte auch nicht im Ernst daran, daß ich seine Frau werden könnte, ich halte den sichern Glauben, ,es kommt noch etwas dazwischen und erlöst Dich von ihm? Und nun ist es wirklich eingetroffen, und im ersten Augenblick, wie der Bursche mir sagte: ,Der Herr Auditor läßt sich Ihnen empfehlen und er ist die Nacht um zwei Uhr gestorben,’ fuhr es mir in alle Glieder, als ob mir jemand in’s Gesicht sagte, ich sei schuld an seinem Tod, weil ich manchmal gewünscht hatte, er möchte nicht auf der Welt sein. Ich hörte auch kaum, was der Mensch noch weiter von seinem Ende erzählte, nur zuletzt sah ich aus meinen Gedanken auf, als er hinzusetzte: ,Da ist der Ring, Fräulein Lore, den Sie dem Herrn Auditor geschenkt haben.’ – ‚Geben Sie her,’ sagte ich hastig und steckte ihn in der Zerstreuung gleich an den Finger, ordentlich froh’, ihn wieder zu haben, und wie zum Zeichen, daß ich ihn so bald nicht wieder hergeben würde. ,Der Herr Auditor habe ihm auf die Seele gebunden,’ fuhr der Mann fort, ,ihn abzuziehen, sobald er gestorben sei, und noch einen Gruß zu überbringen und das Fräulein möchte ihn nicht ganz vergessen?’ – Da fuhr ich erschrocken in die Höhe. Ich hatte den Ring von einer Todtenhand angesteckt, und nun war ich mit dem Tode verlobt und mein Bräutigam mußte mich nachziehen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 801. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_801.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)