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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Unser Präsident.“

Mit dem leichten Ränzel auf dem Rücken, in der Hand den Ziegenhainer, mit dem schwarzrothgoldenen Band um die Brust wanderte ein junger Burschenschafter im Jahre 1817 von der Universitätsstadt Heidelberg in Gesellschaft gleichgesinnter Freunde durch das schöne Thüringen hinauf zu der romantischen Wartburg, wo die begeisterte Jugend das Fest der doppelten Befreiung von dem Joche Roms und dem fränkischen Uebermuth mit Worten, Liedern und weithin leuchtendem Freudenfeuer feierte. Mit seinen hier versammelten Brüdern gelobte er, für die Freiheit, Einheit und Größe des Vaterlandes zu kämpfen, für das Wohl und Gedeihen des heißgeliebten deutschen Volkes zu wirken, das Gute zu fördern, das Schlechte zu hassen, für seine Ueberzeugung männlich einzustehen und trotz Verfolgung, Noth und Drangsal seinem Vorsatz treu zu bleiben.

Nie ist ein Schwur besser gehalten worden, nie hat der Mann und der Greis in allen Lagen des Lebens schöner sein gegebenes Wort gelöst. Während viele von diesen Jünglingen, welche dies Gelübde mit ihm zugleich gethan, der Versuchung erlegen sind, Mancher über die eigene Begeisterung gespottet, Mancher seine heiligste Ueberzeugung entweder aus Menschenfurcht oder des irdischen Vortheils wegen aufgegeben, seinen Glauben verleugnet hat, ist er vor Allen sich selbst und seinem Schwure treu geblieben.

Dieser Jüngling heißt Wilhelm Adolf Lette und ist der Sohn eines freisinnigen Beamten und Domainenpächters in der Neumark, der im Jahre 1813 ein Landwehrbataillon ausrüstete, in das der damals kaum fünfzehnjährige Knabe als Freiwilliger eintreten wollte, aber wegen seiner Jugend und Körperschwäche zurückgewiesen wurde. Nach dem Frieden nahm er seine durch die Kriegsunruhen unterbrochenen Studien wieder auf, indem er zu diesem Zwecke das Gymnasium zum grauen Kloster in Berlin besuchte, wo er sich als tüchtiger Turner auszeichnete und in seinen Mußestunden „Freiheitslieder“ dichtete, die leider verloren gegangen sind.

Im Jahre 1816 zog er auf die Universität nach dem schönen Heidelberg, wurde daselbst Mitglied und später Vorstand der Burschenschaft; begeistert für die Freiheit und Einheit des Vaterlandes wohnte er dem Feste auf der Wartburg bei[1], wie er sich auch an den Berathungen auf dem alten Schlosse Heppenheim an der Bergstraße betheiligte. Dabei vernachlässigte er keineswegs seine Studien, fleißig besuchte er die Collegien und hörte deutsche Reichsgeschichte und Rechtswissenschaft bei Welcker und Thibaut, Geschichte bei dem freisinnigen Schlosser und vor Allen Philosophie bei Hegel. Trotzdem wurde er kein Stubenhocker, sondern er genoß das Leben als ein frischer Bursche, der eben so gut mit dem Glase in froher Gesellschaft, wie mit dem Schläger auf dem Fechtboden Bescheid wußte.

Auch als er von Heidelberg nach Berlin ging, nahm er hier an der Gründung der deutschen Burschenschaften den lebhaftesten Antheil; er gehörte wieder zum Vorstand, während der jetzt verstorbene Prediger Jonas den Vorsitz führte. In dieser Zeit besuchte ihn der unglückliche Sand, den er in Jena kennen gelernt hatte. Derselbe zeigte Lette und einem Freunde des letzteren, einem Schweizer, Namens Christ, mit dem er damals zusammenwohnte, das bekannte Gedicht von Carl Feller „30 oder 33 gleichviel“, welches Sand zu vertreiben suchte.

Dieser verhängnißvolle Besuch gab zunächst die Veranlassung, daß Lette in Göttingen, wohin er sich zur Beendigung seiner juristischen Studien gewendet hatte, in Untersuchung gerieth, mit vierwöchentlichem Carcer bestraft wurde und das consilium abeundi erhielt. Nichts desto weniger machte er sein erstes Examen bei dem Kammergericht zu Berlin, worauf er einige Zeit auf dem Gute seines Vaters verweilte. Hier traf ihn die unerwartete Nachricht, daß eine neue Untersuchung wegen Verbreitung jenes aufrührerischen Liedes eröffnet sei; zugleich wurde ihm mitgetheilt, daß er keine Aussicht auf eine Anstellung im preußischen Staatsdienste habe.

Wenn auch der harte Schlag ihn besonders wegen seines Vaters schmerzte, so vermochte er ihn doch nicht niederzubeugen. Er ließ den Muth nicht sinken und arbeitete unverdrossen an seiner juristischen Ausbildung unter der Anleitung eines tüchtigen Stadtrichters in der Nähe weiter. Vorzugsweise beschäftigte er sich mit der ländlichen Gesetzgebung, wozu ihm der Aufenthalt auf dem väterlichen Gute hinlängliche Gelegenheit und Anregung bot. Seine Erfahrungen besonders über die Ablösungsverhältnisse und Abtretung der Patrimonialgerichtsbarkeit an den Staat, die damals im Werke war, legte er in einer Denkschrift nieder, welche die Aufmerksamkeit des damaligen Vice-Präsidenten am Oberlandes-Gericht, von Diederichs, erregte und Lette’s Wiederzulassung zum Staatsdienste bewirkte, hauptsächlich durch die Befürwortung dieses ausgezeichneten Juristen.

Während er in Frankfurt an der Oder bei dem dortigen Gericht eine Anstellung erhielt, wurde er in Folge des gegen ihn eingeleiteten Verfahrens wegen seiner Betheiligung an der Burschenschaft, hauptsächlich wegen der Kenntnißnahme jenes Gedichtes von Feller, das jetzt theilweise zur Wahrheit geworden ist, zu sechsmonatlichem Kerker verurtheilt. Er erlangte jedoch die besondere Vergünstigung, diese Strafe in der Berliner Hausvoigtei absitzen und während seiner Haft die Arbeiten zum dritten Examen machen zu dürfen.

Kaum aus dem Gefängniß entlassen, wußte er durch seine Tüchtigkeit, durch Fleiß, Eifer und Gewissenhaftigkeit alle ihm entgegenstehende Hindernisse und Vorurtheile zu beseitigen, so daß er in verhältnißmäßig kurzer Zeit in seiner Amtsführung immer höher stieg. Wir finden ihn im Jahre 1825 als Assessor zu Soldin in der Lausitz, wo er sich mit seiner würdigen Gattin, der Tochter des dortigen Justiz-Amtmanns Voitus, verband, mit der er in der glücklichsten Ehe lebte; im Jahre 1835 als Oberlandesgerichtsrath in Posen, Ende 1839 als Director der Generalcommission zu Soldin, neun Jahre später als Dirigent der Generalcommission nach deren Vereinigung mit der Regierung in Frankfurt, und endlich als Rath im Ministerium des Innern. Als solcher widmete er seine ganze Kraft den ländlichen Verhältnissen im Geiste jener Freiheit, welcher Preußen seine Erhebung aus tiefem Falle zu verdanken hatte. Es war gewiß nicht Zufall, sondern eine Art Vorherbestimmung, daß sein Vater der erste Gutsbesitzer in der Neumark war, welcher gleich nach Veröffentlichung des Regulirungs-Edicts vom September 1811 den Bauern Dienstfreiheit und Eigenthum verlieh, wobei der Sohn Fürsprecher und Vermittler ihrer Wünsche war. Von dem gleichen Streben als Mann beseelt, setzte er das Dismembrationsgesetz durch, das wenigstens, einer langen Reaction gegenüber, die Freiheit des Eigenthums wesentlich aufrecht erhielt, desgleichen eine überaus zweckmäßige Polizeiordnung und die Einrichtung des Revisionscollegiums, so wie eine ganze Reihe wohlthätiger Veränderungen auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Gesetzgebung.

Die Regierung erkannte seine vielfachen Verdienste durch seine Berufung in den Staatsrath an und später durch seine Ernennung zum Präsidenten des neu errichteten Revisionscollegiums für Landescultursachen, in welcher Stellung er den segensreichsten Einfluß auf diesen wichtigen Theil der Verwaltung übte. Aber hiermit war keineswegs seine Wirksamkeit erschöpft, indem der unermüdliche Mann noch neben seinen Berufsgeschäften eine politische und sociale Thätigkeit entwickelte, die seinem Namen ein unvergängliches Andenken sichert. Alle Zeit, die ihm sein Amt übrig ließ, widmete er, getreu seinem Schwure, einzig und allein dem Wohle des Volkes, der Begründung, Einrichtung und Leitung gemeinnütziger Vereine, wobei er von seinem bewunderungswürdigen Organisationstalent und einer Arbeitskraft ohne Gleichen unterstützt wurde. Schon im Jahre 1841, als er noch in Frankfurt weilte, half er den landwirthschaftlichen „Central-Verein“

  1. Mit welchem Eifer Lette zu diesem Feste eilte, dafür spricht ein Zeuge, an den er vielleicht selbst nicht mehr gedacht hat: seine eigenhändige Namensunterschrift in der Liste der Wartburgfestgenossen von 1817. Dieses Actenstück hat Scheidler in Jena vor den Verfolgungen in böser Zeit gerettet, aus seinem Nachlaß wurde es Eigenthum des Burschenschaftsausschusses in Jena, und die Brüder Robert und Richard Keil machten dasselbe zu einer höchst werthvollen Beigabe ihres von uns bereits empfohlenen trefflichen Buchs: „Die burschenschaftlichen Wartburgfeste von 1817 und 1867 – Erinnerungsblätter mit Originalbeiträgen von Hofmann, Riemann und Zober. (Jena, Mauke.)“ Dort finden wir im treuen Facsimile der Schriftzüge Lette als den Zehnten der 364 Burschen, unter deren Namen viele von dauernder Bedeutung in Deutschlands Literatur und Geschichte sind.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_792.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)