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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

So blühte die „Blume der Wildniß“ fort in’ der Stille, nicht ohne Auswüchse, aber im Ganzen eine erfreuliche Erscheinung. Ueber fünfzig Jahre wuchs Ephrata, dann – bald nach dem Ableben Beißel’s, der 1768 starb – begann es allmählich zurückzugehen.

Es kamen andere Zeiten und andere Menschen. Die Ideen der letzten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts verdrängten das, was das siebzehnte bewegt hatte. Die Politik trat an die Stelle der Religion. In der Revolution gegen den englischen Druck erzeugte sich rings um Ephrata ein neues Geschlecht. Die Wildniß ferner wurde mehr gelichtet. Auf allen Seiten klärte es sich auf, begann Weltluft zu wehen,, und jetzt waren die Tage der stillen Gemeinde gezählt, zumal der Krieg die Gegend wiederholt heimsuchte und die Verfolgung sich von Neuem regte.

Noch giebt es eine kleine Schaar, welche die Grundsätze der alten Siebenttäger festhält und sich regelmäßig am Sonnabend zum Gottesdienste versammelt. Aber sie haben, wie mir ein würdiger alter Herr von der Gemeinde schrieb, nur noch die Formen, nicht den Geist und den Eifer ihrer Vorgänger, und es gilt in keiner Weise mehr von ihnen, was der berühmte Morgan Edwards einst von den Leuten in Ephrata sagte: „Gott wird immer ein sichtbares Volk auf Erden haben, und diese Deutschen am Cocalico sind gegenwärtig sein Volk vor allen andern auf Erden.“ „Ephrata“ – so klagte jener alte Herr mit Pathos – „ist gefallen, von der Gluth der Liebe verlassen, über alle Begriffe entartet. Ichabod ist geschrieben auf die Mauern von Zion.“

Dagegen sind andere Siebenttägergemeinden etwas besser gediehen, und zwar giebt es deren jetzt noch drei. Die eine wurde 1758 am Bermudian Creek in York County, etwa fünfzehn englische Meilen von der Stadt York in Pennsylvanien, gegründet. Ich fand hier noch etwa dreißig Mitglieder, die aber seit vielen Jahren keinen Prediger hatten. Eine zweite, die 1763 in Bedford County entstand, war günstiger gestellt und zählte ungefähr hundert Köpfe, die sich einen reisenden Geistlichen hielten, da sie sehr zerstreut wohnten. Die wichtigste Zweiggemeinde der Beißelianer endlich befand sich im Jahre 1856 zu Snowhill in Franklin County, wo sie von zwei Aeltesten, Peter Lehmann und Andreas Snowberger, geleitet wurde und in Andreas Fahnestock einen Prediger hatte. Die Einrichtung war hier ähnlich wie in Ephrata. Man feierte wie dort den Sabbath. Die Taufe wurde nur an Erwachsenen vollzogen, und zwar in einem Bache durch dreimaliges Untertauchen des Täuflings, der dabei im Wasser kniete, nach vorn. Die Kinder wurden durch Handauflegung unter Segenssprüchen in die Gemeinde aufgenommen. Jedermann hatte Zutritt zu ihrer Abendmahlsfeier und durfte an der Communion theilnehmen, gleichviel ob er zu der Gesellschaft der Siebenttäger gehörte oder nicht. Die Beichte war bei ihnen unbekannt. Ihr Geistlicher erhielt keinen festen Gehalt, denn Paulus hatte das Evangelium umsonst gepredigt. Indeß war dadurch nicht ausgeschlossen, daß einzelne Mitglieder demselben Geschenke an Lebensmitteln, Waaren und selbst Geld machten, und bei Amtsreisen ersetzte ihm die Gemeinde aus öffentlichen Mitteln seine Auslagen.

Im Ganzen machten auch die Zweige der Stammkirche von Ephrata den Eindruck des Absterbens. Es ist eben auch für sie die Zeit nicht mehr günstig. Es gehört Urwaldsboden dazu, wenn religiöse Gemeinschaften gleich ihnen gedeihen sollen, und Pennsylvanien hat von solchem Boden nicht viel mehr auszuweisen. Auch ähnliche Seelen fristen diesseit des Mississippi nur noch kümmerlich ihre Existenz als solche. Nur unvollkommen erwehrt man sich der Aufklärung, die durch alle Ritzen dringt. Viele thun nur der Form nach noch mit. Viele sind reich geworden, und es ist schwer für die Reichen, in das Himmelreich zu gehen - wenigstens auf dem Wege, der über Stationen wie das Wiedertäuferkloster am Cocalico führt.





Rückblicke auf meine theatralische Laufbahn.

Franz Wallner
2. Frühere Verhältnisse.
Das Sonst und Jetzt auf der Bretterwelt. – Der Theaterkönig Bäuerle und ein Theater-Agentenkleeblatt. – Herr Wollanek auf der Leimgrube. – Erstes Engagement. – Die Kremser Bühne und ihr Personal. – Zeiten, wo man nicht zu Nacht essen konnte. – Schicksal des geistigen Eigenthums der Bühnendichter. – „Unser Repertoire“. – „Unsere Garderobe“. – Unser Ruhm. – „Der Wallner ist auch ein Esel!“ – Der stille Abschied von Krems. – Theatralisches Stillleben in Ischl. – Nach Wiener Neustadt! – Das „versilberte“ Kaffeehaus. – Director Eichwald mit der „Nachtrüstung“. - Feuerige Lösung unserer Contracte. – Nestroy’s „Va banque!“

Wenn man die Bühnenzustände früherer Zeiten mit den jetzigen vergleicht, so erscheint heut zu Tage das deutsche Theaterreich für seine Unterthanen ein wahres Utopien. Wie leicht kommt der nur halbwegs begabte Anfänger seit dem Bestehen der Eisenbahnen vorwärts, wie rasch erreicht er eine verhältnißmäßig enorme Bezahlung für seine meist sehr bescheidenen Leistungen! Beginne er seine Laufbahn im kleinsten, im bescheidensten Winkel der Bretterwelt, sobald er sich nur fingerhoch über die mittelmäßigste Mittelmäßigkeit erhebt, fliegt sein Ruf mit Dampfeseile in alle Theaterbureaux, und zehn Agenten fahnden nach dem neu aufgehenden Stern. Freilich hat dieses stürmische Carrièremachen unseren Nachwuchs todtgeschlagen, es giebt eben keine Anfänger mehr, man beginnt das Haus beim Dachstuhl zu bauen, und die fertigen Schauspieler, die wahren Künstler sterben aus, ohne daß wir Hoffnung haben, ihren Platz durch ebenbürtige Nachfolger ersetzt zu sehen. Oder sind vielleicht Anschütz, Costenoble, Wilhelmi, Devrient (Ludwig und Emil), Seydelmann u. s. w. ersetzt? Hat für einen von all’ den Heimgegangenen, wirklich großen Künstlern ein würdiger Nachfolger die reiche Erbschaft angetreten? Nein, und tausendmal Nein! Wie viele deutsche Theater erfreuen sich noch eines wahrhaft vollendeten Zusammenspiels? Auf den Nagel meines Daumens will ich sie verzeichnen.

Wie mühselig war dagegen früher der Weg des Anfängers! Wie mußte ich z. B. antichambriren bei dem damals allmächtigen Theaterkönig Bäuerle in dessen Bureau und in seinem prachtvollen Wohnhause mit dem großen schattigen Park neben der Carlskirche auf der Wieden, um ein paar empfehlende Zeilen an den Theateragent Wollanek zu erhalten! Damals theilten sich drei Vermittler in Wien in die Geschäfte. Adalbert Prix war der Bevollmächtigte der Mittel- und größeren Bühnen, ein jetzt auf seinen Lorbeeren ruhender, auf sein Landhaus zurückgezogener concessionirter Agent besorgte den Manuscriptenverkauf, und Wollanek lieferte den kleinen Winkelbühnen ihre Opfer. – Letztere waren damals auch das bescheidene Ziel meines Strebens, und so erschien ich denn mit meinem allmächtigen Bäuerle’schen Empfehlungsbrief bei Herrn Wollanek. Er war nicht leicht aufzufinden gewesen: der Herr meines künftigen Geschickes wohnte auf der Leimgrube, in dem, ominös genug, zur Bettlerstiege genannten Hause, und hatte über einer der zahllosen Hintertreppen im dunkelsten Winkel eines langen Flügels seinen Wohnsitz aufgeschlagen. Ich hatte mir einen Mann, mit dieser Würde bekleidet, ich hatte mir die Räume, in denen er thronte, ganz anders gedacht. In einer finsteren Kammer saß ein Mann und ein Weib, beide in einem mehr als bescheidenen Costüme, beide mit riesigen Rohrfedern Noten copirend. Auf meine Frage nach Herrn von Wollanek erhoben sich der Mann und die Frau gleichzeitig und frugen um mein Begehr. Als ich dieses schüchtern hervor gestammelt, öffnete Herr Wollanek, dies war er selbst, eine Seitenthür und hieß mich eintreten. Als Hauptzierde dieses Geschäftssalons prunkte ein Sopha, das nach Verjagung von zwei Katzen einige sehr bedenkliche Löcher zeigte. Mich auf Einladung meines neuen Gönners vorsichtig niederlassend, betrachtete ich mir diesen genauer und bemerkte mit Entsetzen, daß ihm die Nase fehlte. Mit einem demüthigen Hinweis auf den Brief von Bäuerle erklärte er mir, daß es mir bei solchen Empfehlungen nicht fehlen könne, ich müsse meinen Weg beim Theater machen, wenn ich einen Protector habe, wie Herrn von Bäuerle; er wollte daher sein Bestes für mich thun. Dieses Beste war allerdings schlecht genug, es bestand in einer Engagementsofferte nach Krems, wo der Senf von jeher besser war, als die Schauspieler.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_777.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)