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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Kurz darauf sehen wir das würdige Paar sich in ein Schenkhaus verlieren; sind die Nachrichten aus den Minen, dem Gegenstande, worauf sich in diesen Bezirken des fernen Westens vor allem Andern das Interesse concentrirt, besonders pikanter Natur, so beehrt der ungeschlachte Goldgräber, mit dem Redacteur Arm in Arm wandelnd, wohl auch das Office selbst mit seinem Besuche. Hier werden seine Mittheilungen sonder Verzug Schwarz auf Weiß festgenommen; mit aller ihm möglichen Cordialität bittet der jetzt höchst emsige Herausgeber seinen Gast, sich’s bei ihm bequem zu machen, weniger aus Gastfreundschaft, als um ihn dem „Oppositionsblatte“ aus dem Wege zu schaffen, denn in diesen öden, abgeschiedenen Orten in den Bergen und Wüsten des fernen Westens ist jeder Mensch, der Neues zu berichten weiß, eine Persönlichkeit von allergrößter Bedeutung, ein gefundener Schatz und verdient demgemäß ungewöhnliche Rücksicht und Aufmerksamkeit.

In der Regel hat der amerikanische Redacteur, speciell der Redacteur des fernen Westens, seine Laufbahn als Setzerjunge eröffnet, hat alle Staffeln dieser Carriere erklommen und ist schließlich Besitzer einer Druckerei und Herausgeber eines Blattes, sehr oft Leitartikelschreiber, Redacteur, Hauptmitarbeiter, Setzer und Drucker derselben in einer und derselben Person geworden. Manchmal ist er früher auch wohl Omnibuskutscher oder Gasthofsportier gewesen, bis ihn die speculative Richtung seines Geistes auf die höhere Laufbahn geführt hat. Am häufigsten indeß pflegt er zugleich Sachwalter und Winkeladvocat zu sein, der seine Mußestunden mit Politik und Literatur ausfüllt und sich dergestalt allmählich bis zu einem Sitze in der Legislatur seines Staates oder Territoriums aufschwingt. Wohl giebt es nur wenige Staatsmänner des fernen Westens, die nicht, ihren Weg als Setzer oder Buchdrucker beginnend, sich zum Redacteur und Rechtskundigen emporgearbeitet und schließlich ihren Platz unter den Gesetzgebern des Landes gefunden hätten. Auch ist es ein Wunder, wenn ein Redacteur einmal Zeit seines Lebens dem Redactionspulte treu bleibt; mit der Beweglichkeit, wie sie diese Männer des Westens kennzeichnet, legt er vielmehr Stahlfeder und Rothstift, Scheere und Kleisterpinsel unbedenklich nieder und ergreift ohne Weiteres das erste beste Geschäft, welches ihm größere materielle Vortheile verspricht, als die Einnahme seiner Zeitung; geht unter die Goldgräber, errichtet einen Kleiderhandel, wird Locomotivenführer oder Dampfschiffcapitän, je nachdem sich die Chancen darbieten. –

Ein Merkmal haben alle diese auf schlechtem Papiere gedruckten, im Ganzen ziemlich ärmlich aussehenden Tages- und Wochenblätter des fernen Westens mit einander gemein, Etwas, was vor allen ihren sonstigen Besonderheiten dem Fremden zunächst auffällt – es ist das persönliche Moment, die persönliche Polemik und persönliche Ruhmredigkeit, die persönliche Mittheilung und Benachrichtigung, welche den Grundton des Ganzen ausmachen. Unsere deutschen Parteiblätter, zumal gewisse Organe jenseit des Maines, commandiren nachgerade ein recht nettes Register von freundschaftlichen Ausdrücken und Apostrophen, wenn es sich darum handelt, den Blättern einer Gegenfraction kleine Artigkeiten zu sagen, allein was wollen ihre bittersten Ergüsse, ihre schärfsten Stiche, ihre plumpsten Hiebe bedeuten gegen die desfälligen Leistungen ihrer transatlantischen, speciell ihrer Collegen im fernen Westen! Es ist eitel Honigseim, eitel Liebkosung und Sammethandschuhstreicheln im Vergleich zu den amerikanischen Attaken. Das Lexikon der amerikanischen Redacteure ist unerschöpflich für dergleichen Ausfälle und Scharmützel, der gesammte Wortschatz der englischen Sprache nebst dem ansehnlichen Zuwachs von Yankeeursprung reicht oftmals nicht aus, der politischen Feindschaft und Gehässigkeit Ausdruck zu verleihen, die schöpferische Einbildungskraft des Herausgebers erfindet vielmehr noch die ungeheuerlichsten Substantiva und Adjectiva, die ungeheuerlichsten Wortbildungen, um dem Grimme Luft zu machen, der seine für das Wohl des Vaterlands glühende Brust erfüllt. Merkwürdig aber, diese Ausfälle richten sich immer weniger wider das feindliche Lager oder das ihm dienende Blatt, sondern speciell und wiederum ganz persönlich wider den gegnerischen Redacteur selbst, „den gemeinen Hund Capitän E. Taylor, der das lumpige Zweibitblatt[1] drüben über der Straße herausgiebt.“ Um jedem etwa aufsteigenden Argwohn, daß wir übertreiben, von vornherein zu begegnen, bemerken wir ausdrücklich, daß die eben angezogene redactionelle Herzerleichterung keineswegs eine poetische Licenz, sondern buchstäblich einer Zeitung des Westens entlehnt ist, ebenso wie die gesammte Blüthenlese gewählter Höflichkeiten und interessanter Anzeigen, mit denen wir im Nachstehenden unsere Leser zu unterhalten denken, Wort für Wort, ohne eine Silbe schmückender Zuthat, in verschiedenen westamerikanischen Blättern zu lesen sind, welche wir uns zum Zwecke dieser Mittheilungen gesammelt haben.

Der Herausgeber eines in San José in Californien erscheinenden Organs liegt mit einem andern dortigen Redacteur im Streite; man höre nun, welches anmuthige Bild er von seinem Collegen entwirft. „Der Kerl ist seines Zeichens nichts als ein Bummler und gewöhnlich nur in Trink- und Branntweinstuben anzutreffen, nicht etwa blos in den Wahlperioden, sondern Jahr aus Jahr ein. Er spielt mit der Politik, gerade wie er mit falschen Karten spielt oder Jemandem die Kehle abschneiden würde, um im Monte (einem bekannten mexicanischen Hazardspiele) zu gewinnen. Sein Haar trägt er kurz abgeschnitten wie die Raufbolde und Boxer von Profession, damit ihn in der Hitze des Gefechts Niemand etwa am Schopfe packen und so ihm einen Vortheil abgewinnen könne. Sein Gehirn sitzt ihm hinter den Ohren und sein Gesicht ist blos ein convexer Fleischklumpen, in welchem stets wenigstens das eine Auge von der letzten Balgerei her noch das schwarze Trauerkleid trägt. Frömmigkeit und Gottesfurcht liegen völlig außer seinem Wege, dagegen ist Fluchen und Lästern seine Force. Mit verbundenen Augen kann er einen Whiskypunsch von einem Genevergrog unterscheiden und verbraucht alle Tage ein Pfund Kautabak. Sein Geld vergeudet er mit zweideutigen Weibern und macht es sich zur besondern Ehre, niemals seine Schulden zu bezahlen. Oeffentliche Aemter nimmt er nur an, um Staat und Publicum zu bestehlen, und ist ehrlich blos so lange, wie es besser lohnt, als die Schurkerei.“

Welche Rolle das persönliche Element in der amerikanischen Tagespresse spielt, erhellt vielleicht noch deutlicher aus einer Zeitung Nevada’s, die gleichfalls ein Stück unserer interessanten Sammlung bildet. Es ist die „Virginia Enterprise“, und darin steht unter andern classischen Stellen auch die folgende: „Wir nehmen soeben wahr, daß Herr Brier (der Redacteur der am selben Ort publicirten „News“ – Nachrichten) einen neuen Rock anhat. Entsinnen wir uns recht, so ist vor Kurzem ein Kleider- und Schnittwaarenmagazin ausgebrannt, bei welchem Anlaß ein paar Röcke vermißt worden sind, die, wie man bestimmt weiß, vor den Flammen geborgen wurden. Selbstverständlich enthalten wir uns aller Betrachtungen hierüber, auch fällt es uns nicht im Allerentferntesten ein, zu behaupten, daß Herr Brier sich etwa eines dieser Kleidungsstücke angeeignet habe. Behüte Gott! Wir constatiren nur die eine und die andere Thatsache.“ –

Der Herausgeber eines andern Blattes ruft mit Entrüstung aus: „Wahrhaftig, eine gekochte Mohrrübe wird eher die Alpen durchbohren, als ein einziger Funke gesunden Menschenverstandes durch den dicken Hirnkasten eines gewissen Redacteurs zu dringen vermag.“ – In San Leandro – ebenfalls jenseit des Felsengebirges – bittet der Herausgeber der „Oakland News“ den Redacteur einer andern Zeitung höflichst um Entschuldigung wegen eines Druckfehlers, welcher in der letzten Nummer seines Blattes stehen geblieben sei; er habe seinen Collegen nicht Affen, sondern Esel nennen wollen. (Die eigentliche Pointe dieser eleganten Redewendung ist unübersetzbar: monkey“ heißt nämlich Affe und donkey“ Esel.) Manchmal nehmen dergleichen Federplänkeleien einen etwas minder harmlosen Charakter an. So schreibt der vielgenannte Herausgeber eines weit verbreiteten westamerikanischen Blattes vom Hauptcorrespondenten einer gegnerischen Zeitung: „Mr. Prentice ist ein Erzlügner, und wir werden ihm dies in’s Gesicht sagen, wann und wo wir ihm immer begegnen.“ Hierauf erwidert der also Angegriffene in der nächsten Nummer seines Organs: „So meinen Sie, Mr. Smith? Zur selben Zeit, wo Sie Ihren Vorsatz ausführen, wird ein Leichenbegängniß nothwendig werden und die Familie Smith als Hauptleidtragende dabei fungiren.“ Das läßt wenigstens von Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Vor einigen Jahren brachten wir einen Abend in den Dalles zu. Die Dalles sind eine rasch emporblühende kleine Stadt unweit

  1. Ein Bit, etwa vier Neugroschen, oder zwei Bit ist westlich des Felsengebirges der gewöhnliche Preis für die einzelne Nummer einer Zeitung. Das Einbitstück ist zugleich die kleinste der dort coursirenden Scheidemünzen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_761.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)