verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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„Ein sehr hübsches und liebes Mädchen, die Tochter unseres Landrichters. Kennen Sie das alte Sprüchwort, Herr Assessor: ‚Keine Hochzeit so klein‘ etc. Wer weiß, vielleicht verlieren auch Sie morgen Ihr Herz!“
„Und was würde mir das nützen?“ seufzte Marbach mit komischen Pathos. „Ich habe mein Herz schon oft verloren, leider hat sich aber noch Niemand als glückliche Finderin melden wollen. Ja, Fräulein Elisabeth, manche Leute sind vom Schicksal merkwürdig bevorzugt! Ich bemühe mich Jahr aus, Jahr ein, den Damen zu gefallen, und es gelingt mir nicht – dieser junge Aesculap dagegen, der sich niemals der Courtoisie befleißigt hat, wird vom Glück förmlich überschüttet. Nicht allein, daß er jetzt so unverhofft das große Loos gewann, nein, auch schon früher flogen ihm die zartesten Herzen zu, sogar in anonymen Briefen verpackt!“
„Schwätzer!“ rief Schaumberg lachend, aber mit geheimem Verdruß. Er fühlte dabei den Arm seiner Braut, der in dem seinen lag, erzittern. „Wenn Du uns nichts Besseres aufzutischen weißt, als verjährte Phantasien,“ sagte er, etwas gezwungen scherzend, zu Marbach, „so dürften wir Dich leicht in Gnaden entlassen und den älteren Herrschaften den Vorzug Deiner Gesellschaft gönnen!“
„Ein guter Vorwand, um
mich an die Luft zu setzen,“
lachte Marbach. „Nun, ich
weiß zu leben und Opfer
zu bringen! Benützen Sie
die Gelegenheit meines Rückzugs,
mein Fräulein, und
nehmen Sie diesen Verräther
in’s Gebet! Heute beichtet
er vielleicht noch, was ihm
morgen keine Göttin mehr
entreißt!“
Otto sagte kein Wort, den Freund zurückzuhalten, dessen Scherze heute wie eine Dissonanz in seine reine, schöne Stimmung hineinklangen. Schweigend führte er Elisabeth weiter hinaus in’s Freie, indem er ihren Arm fester in den seinen zog und liebevoll auf sie niederblickte; sie sah nicht auf, ihre Wimpern zuckten leise.
„Du hast anonyme Briefe erhalten?“ fragte sie nach einigen Augenblicken, kaum verständlich, indem sie seinen Schritt unmerklich anhielt. Er blieb stehen und sah ihr in’s Gesicht; sie war sehr blaß, er fühlte ihren Herzschlag laut pochend an seinem Arm.
„Ist es möglich, Elisabeth,“ sagte er, und suchte ihr Auge, – „ist es möglich, daß Du eifersüchtig bist?“
Sie antwortete nicht, doch lösten sich zwei große Tropfen langsam und schwer von den zitternden Wimpern.
„Kind!“ sprach Otto sanft, indem er mit der Hand über ihr Haar strich, „wie kannst Du Dich nur beunruhigen, so ganz ohne Grund! Was Marbach eben so indiscret erwähnte, ist an sich völlig unbedeutend. Ich erhielt allerdings im vorigen Jahre ein paar anonyme Briefe zarten Inhalts, die aber ohne jede Folge blieben. So unwesentlich die Sache ist, würde ich Dir doch vielleicht davon erzählt haben, wenn ich nicht wüßte, wer die Schreiberin dieser Briefe ist!“
„Du weißt es?“ rief Elisabeth lebhaft, indem sie ihre Augen mit dem eigenthümlich plötzlichen Aufschlag zu ihm erhob.
„Ja,“ sagte Schaumberg,
„und Du wirst es begreiflich
finden, daß ich selbst mit Dir
nicht davon sprechen möchte –
es wäre allzu unzart! Ich
gebe Dir mein Wort, geliebtes
Kind, daß Du die Einzige
auf der Welt bist, die je ein
Wort der Liebe von mir gehört
hat, und daß jene Briefe, deren
Erwähnung Dich so aufregte,
am wenigsten dazu angethan
waren, mein Herz zu gewinnen.
Sie boten mir, was ich
weder suchte, noch begehrte. Alles, was an Unweiblichkeit grenzt,
ist mir in der Seele zuwieder – nenn’ es Vorurtheil, nenn’ es
Härte, aber ich könnte auf
den Besitz eines Herzens,
das sich mir unverlangt bietet,
niemals Werth legen –
im Gegentheil!“ – Schaumberg
fühlte, wie seine Braut
bei diesen Worten heftig erzitterte.
Er sah sie besorgt
an. „Bist Du noch nicht
beruhigt?“ fragte er sanft.
„Was stets der Inbegriff
meiner Wünsche gewesen, das,
Elisabeth, ist mir nur von
Dir geschenkt worden, ein
frisches, unberührtes Herz!
ein Herz, in dem noch kein
fremdes Bild gewohnt hat,
das keinen fremden Gedanken
beherbergte, ein echtes Mädchenherz,
das sich suchen und
finden läßt, sich aber nimmermehr
ausbieten würde wie
ein herrenloses Gut! Erhalte
mir’s Gott, mein Liebling,
und helfe mir, daß ich der
schönen Gabe werth bleibe!“
Fest schloß er die Geliebte an seine Brust. Elisabeth, heftig erschüttert, umschlang ihn mit beiden Armen. Er fühlte ihre Thränen auf seiner Wange, ihren heißen Kuß auf seinen Lippen, er hörte die halb erstickten Worte: „Ich bin Deiner Liebe nicht werth!“ – dann löste sie sich aus seinen Armen und flog wie ein Reh dem Hause zu.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 757. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_757.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2020)