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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Betroffen sprang Schaumberg auf und stand vor ihr, keines Wortes mächtig. „Sie sind nicht mehr frei!“ rief er endlich mit leidenschaftlichem Ton.

Elisabeth ließ die Hände sinken und sah mit den feuchten, strömenden Augen zu ihm auf. „Ich bin zu glücklich!“ flüsterte sie kaum hörbar und ruhte in demselben Augenblick an Otto’s Brust, der sie an sich zog, als wollte er sie ewig halten.




3.

Am 4. Juli war Elisabeth’s neunzehnter Geburtstag; er sollte ihr Hochzeitstag werden. Andlau hatte dem Drängen des willkommenen Schwiegersohnes nichts entgegengesetzt; für Elisabeth ward der alte Rechtssatz geltend gemacht: Wer schweigt, willigt ein, und so hatte sich nur eine Stimme dem Beschluß widersetzt, daß die Hochzeit der Verlobung so bald folgen sollte. Dies war Elisabeth’s Pathin und Tante, die es sich ausgebeten, für die Ausstattung ihres Lieblings sorgen zu dürfen, und die nun ein Wehgeschrei erhob, weil nicht die Hälfte des „Nothwendigsten“ in so kurzer Zeit fertig geliefert werden könnte. Da sie aber noch in München festgehalten war und erst zur Hochzeit kommen sollte, ging es ihr, wie meistens den Abwesenden, sie ward überstimmt und mußte sich fügen. Als sie ein paar Tage vor dem festgesetzten Termin in Berneck eintraf, folgten ihr dennoch ein Möbelwagen, unendliche Kisten und Körbe, zu deren Masse so ziemlich auch ihr Mann zu gehören schien.

Schaumberg war ein so glückseliger Bräutigam, daß ihn Alles amüsirte und Nichts ihm beschwerlich fiel, was sich auf sein nahes Glück bezog. Er selbst erwartete zur Hochzeit Niemand von den Seinen. Er besaß nur zwei Schwestern, die seit dem Tode des Vaters eine Mädchenschule gegründet hatten, und dadurch an ihren Wohnort gebunden waren. Dennoch fehlte es auch ihm nicht an einem Hochzeitsgast; er hatte den Assessor Marbach als Brautführer geworben, und derselbe traf am Vorabend der Trauung in bester Laune ein. Er konnte schon in der ersten Viertelstunde nicht Worte genug finden, die Veränderung anzustaunen, die er mit dem Freunde vorgegangen fand. „Alter Junge!“ rief er, ihn durch’s Zimmer wirbelnd, „ich war neugierig genug, Dich im Zustand eines Bräutigams zu sehen, und muß bekennen, meine Erwartung ist übertroffen! Du bist ja gar kein alter Mann mehr, Du bist ja förmlich übermüthig! Wer hätte gedacht, daß hier ‚hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen‘, ein Schneewittchen versteckt sein würde die Dir’s so hurtig anthun sollte!“

„Ein Schneewittchen nun gerade nicht,“ sagte Otto lächelnd, indem er an Elisabeth’s bräunliche Schönheit dachte, „eher eine Waldfrau, eine Fichtennadelfee, die menschliche Gestalt angenommen hat, um den Heilkünstler zu verzaubern dafür, daß er ihren Wald zu – Bädern mißbrauchen läßt! Du wirst ja sehen! Wir wandern nachher hinaus, um bei Andlau’s den Abend zuzubringen. Vorerst nimm eine kleine Erfrischung und laß uns plaudern.“

„Vor Allem erzählen!“ rief Marbach. „Du warst gewaltig lakonisch in dem ersten und letzten Sendschreiben, das Du von hier hast auslaufen lassen. Verlobt – in sechs Wochen Hochzeit – das kam wie ein Wolkenbruch über Einen. Ja, à propos! ich soll Dir Gruß und Glückwunsch von Frau von Dalen ausrichten, Deiner einstigen Nachbarin. Sie macht sich eben reisefertig, wohin, wußte sie selbst noch nicht, oder sagte es doch nicht.“

„Und wie geht es ihr?“ fragte Schaumberg, indem er sich am andern Ende des Zimmers zu schaffen machte.

„Ich habe sie selten gesehen. Die schöne Capriciöse hat diesen Winter einsiedlerische Launen gezeigt und sich wenig blicken lassen. Möglich, daß die Leute Recht haben, es mit dem Verschwinden ihres Chaperon’s in Verbindung zu bringen; der Major von Feldheim ist nämlich gegen Neujahr in’s Kriegsministerium versetzt worden. Die Wahrheit zu sagen, Schaumberg, war ich lange der Meinung, zwischen Dir und dem schönen Weibchen hätte sich etwas eingefädelt, während Du an ihr curirt hast. Wenn Dein Abzug mich aber nicht schon darüber belehrt hätte, so wäre es jedenfalls die Gleichgültigkeit gewesen, mit der unsere holde Freundin die Mittheilung über Deine Verlobung aufgenommen hat. Ich faßte sie scharf in’s Auge, als ich ihr zu diesem Zweck eine Visite machte; sie verzog keine Miene ‚und läßt Dir alles Gute wünschen‘.“

Otto holte tief Athem. Er kannte Helene genug, um zu wissen, daß sie sich, bei all’ ihrer Leidenschaftlichkeit, in einem solchen Moment völlig in ihrer Gewalt hatte. „Auch ich wünsche ihr das beste Glück,“ sagte er nach minutenlangem Schweigen, „sie ist und bleibt eine seltene Erscheinung. – – Nun aber, wenn es Dir recht ist, laß uns zu Andlau’s gehen.“

Als die Freunde im Forsthause anlangten, wies die Haushälterin sie nach dem Garten, wo die Herrschaft zu finden sei. In der geräumigen Fliederlaube war bereits der Tisch zum Abendbrod gedeckt; dahinter, in die bequemste Ecke gedrückt, saß der Onkel und dampfte seine Pfeife, die vielversprechenden Zurüstungen behaglich musternd, während der Revierförster und seine Schwester in eifrigster Unterhaltung mit einander auf und ab wandelten. Otto stellte seinen Freund vor, erfuhr, daß Elisabeth in ihrem Zimmer sei, und ging in’s Haus, um sie aufzusuchen. Als sein bescheidenes Klopfen nicht beantwortet wurde, drückte er die Klinke leise nieder, um die Geliebte zu überraschen. Sie stand vor ihrem Schreibtisch, beschäftigt, ein Päckchen zu versiegeln, das sie in der Linken hielt.

Mit leuchtendem Auge betrachtete Otto seine Braut. Ihr herrlicher Nacken war leicht gesenkt, das dunkle Haar fiel in schweren Massen darauf nieder; ihre schönen Züge erschienen ihm in diesem Augenblick besonders ausdrucksvoll, ein nachdenkliches Lächeln schwebte um den Mund. Sein volles Bräutigamsherz wallte ihr entgegen – er trat nicht näher, sagte aber mit jenem leisen, vibrirenden Ton, der nur Liebenden zu Gebote steht: „Elisabeth!“

Das Mädchen schrak zusammen, wandte heftig den Kopf und warf mit auffallend plötzlicher Geberde das Päckchen, das sie hielt, in eine halb aufgezogene Schublade des Schreibtisches, die sie hastig verschloß. Als sie Otto darauf die Hand reichte, war ihre Verwirrung noch so augenscheinlich, daß er, etwas betroffen, den Arm um sie legte und ihr tief in’s Auge blickte. „Hat meine Elisabeth Geheimnisse?“ fragte er zwischen Ernst und Scherz.

Elisabeth ward feuerroth. „Wie kommst Du auf diese Idee?“ sagte sie, befangen lächelnd.

„Hier ist Etwas versteckt worden!“ scherzte er. „Das lasse ich mir heute wohl noch gefallen, von morgen an aber nicht mehr! Sieh doch nicht so bestürzt aus, mein Liebling, ich weiß ja, daß es sich um kein Staatsgeheimniß handelt!“

„Nein,“ sagte Elisabeth schüchtern. „Ich habe nur alte Briefe weggepackt, alte Sachen! Später zeige ich sie Dir wohl einmal.“

„Das ist es, was ich so an Dir liebe,“ rief Otto, indem er sie an sich zog, „daß Du klar und durchsichtig bist, wie ein Thautropfen, daß Du keine Vergangenheit hast, keine Erinnerungen, als solche, die Du mir gern erzählen magst. Und nicht wahr, so bleibt es zwischen uns? Laß mich immer wissen, was in diesem reinen Herzen vorgeht, immer Theil nehmen an Allem, was Deine Gedanken beschäftigt!“

Elisabeth lehnte schweigend den Kopf an seine Schulter. „Und was Du von mir nicht schon weißt, das werde ich Dir morgen sagen,“ hauchte sie mit einem tiefen Athemzuge.

Als die Verlobten den breiten Gang vom Hause her in den Garten kamen, blickte Marbach wirklich überrascht auf die herrliche Gestalt der Braut, und der Glückwunsch, den er nach geschehener Vorstellung gegen sie aussprach, war von einem stillen Händedruck an den Freund begleitet. „Du hast Recht,“ flüsterte er diesem im ersten freien Augenblick zu; „es bedarf hier keiner ausführlichen Liebesgeschichte, das Bild ist ganz genügend, um sich den Text dazu selbst zu machen.“

Es war ein wundervoller Sommerabend, die Gluth des Tages vorüber, eine laue, wohlige Luft voll Blumengeruch erfüllte alle Sinne. Marbach begleitete das Brautpaar nach dem Abendessen auf einem Gange durch die an den Garten grenzende Allee und fühlte sich von Elisabeth’s Frische so angesprochen, daß er ihr gegenüber bald in die Stimmung vertraulicher Behaglichkeit kam.

„Noch habe ich nicht erfahren, wer meine Brautführerin sein wird, Fräulein Elisabeth,“ sagte er, als das Programm des folgenden Tages zur Sprache kam.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_756.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)