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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Colot theilte nun noch Einiges über die Zangen mit, ohne sein Verfahren zu entschleiern. Nach und nach wurde der König immer stiller, aufmerksamer. Als der Arzt geendigt hatte, forderte Ludwig Pergament und seine Rohrfeder. Er fertigte eigenhändig die Begnadigung für den Wilddieb aus, falls derselbe aus der Operation des Meister Colot lebend hervorgehen sollte.

„Wenn Alles vorüber ist, bringt mir Bescheid, Catto,“ sagte der König. „Germain Colot, ich bleibe Euch gewogen.“ Er winkte mit der Hand und die beiden Aerzte traten aus dem Zimmer. Colot war glücklich, die Erlaubniß und das Versprechen erhalten zu haben. Er eilte sofort in das Châtelet.

Am folgenden Morgen erschien er mit drei Gehülfen des Baders vom Platze St. Gervais im Gefängnisse. Der Wilddieb zitterte, als der Arzt eintrat, denn was er leiden sollte, war freilich mit den Qualen der Folter zu vergleichen. Germain Colot ließ ein Polster bringen, auf dieses ward der Gefangene gelegt und damit in ein helles Gemach getragen. Hier angekommen mit seinem Arzte und den Gehülfen, wurden seine Arme und Beine gebunden. Colot empfahl Ruhe und entdeckte ihm, daß ein Bruder vom Orden des heiligen Bernhard während der Operation die Gebete für ihn sprechen werde. Noch einmal prüfte der Arzt seine Werkzeuge, dann trat er schnell zu dem Leidenden. „Seid Ihr bereit?“ rief er.

„Im Namen des dreieinigen Gottes – ich bin es,“ antwortete der Wilddieb.

„Haltet fest,“ befahl Colot den Gehülfen. Sie drückten die Schultern des Gebundenen nieder und faßten seinen Kopf.

„An’s Werk im Namen des Himmels!“ sagte Colot. Er schloß die Thür.

Draußen harrte eine neugierige Menge, Aerzte und Laien,. Mönche und Ritter. Sie vernahmen das Wimmern, Alle warteten ängstlich des Erfolges. Nach geraumer Zeit öffnete, Colot die Thür. Sein Gesicht war geröthet, Schweiß tropfte hernieder. Er hielt sein Messer in der Hand und rief: „Es ist gelungen, der Mann lebt, ist befreit und wird hinausziehen in die weite Welt – ein freier Mann.“

Alles umringte den Arzt, und Angelo Catto eilte sofort zum Könige, der mit sichtlichem Interesse den Bericht anhörte. Der Wildschütze aber zog nach seiner Heilung wieder frei hinaus in die Wälder von Meudon. Colot übte seit dem 29. November 1475 den Steinschnitt unter Schutz des Privilegiums zum Wohle der Menschheit aus. Auch er hielt sein Verfahren geheim und lehrte es nur den Mitgliedern seiner Familie. Nach ihm ward Lorenz Colot mit dem Titel eines königlichen Lithotomisten von Heinrich dem Zweiten angestellt, und das Geheimniß blieb in der Familie erblich bis zum Tode Franz Colot’s, der im Jahre 1706 starb. Auf ihn folgte Tolet; aber schon hatte die Wissenschaft so bedeutende Fortschritte gemacht, daß das Geheimniß der Colots ihrem Nachfolger keinen Nutzen brachte; durch die Forschung war es zum Gemeingut geworden.




Ein Kleinod aus deutscher Vergangenheit.

„War denn dieses Thal durch Jahrhunderte verzaubert? Oder ist der Kyffhäuser in diesen verborgenen Winkel versetzt und streckt nun die wiedererstandenen Thürme seiner Kaiserburg auf dem Berge dort zum alten deutschen Himmel empor?“

Das Topplerschlößchen.

So hat wohl Mancher schon gedacht, den sein Weg zum ersten Mal in den Taubergrund führte und vor dessen Blicken sich dann in der Thalwindung hinter Detwang die alte Berg- und Thürmestadt Rothenburg ob der Tauber erhob. Man glaubt sich einer der großartigsten Fürstenburgen der Ritterzeit zu nähern und täuscht sich zu seiner freudigsten Ueberraschung, denn wir betreten, wenn wir Graben, Wall und Thor, Alles Zeugen einer hohen Vergangenheit, hinter uns haben, eine so, rein und vollkommen mittelalterliche Stadt, wir wandeln in Gauen, denen so gar nichts von neuer Zeit anklebt, in welchen der steinerne Hintergrund des mittelalterlichen Bürgerlebens sich so stattlich darstellt und so gut erhalten hat, daß wir unwillkürlich an den Fenstern die Köpfe unter großen Halskrausen suchen und beim Rathhause nach der Schaarwache spähen, die wir von Rechtswegen dort zu sehen erwarten mit blanken Harnischen und langen Spießen. Wie gern wir auch in das Lob Nürnbergs einstimmen, wenn es alte deutsche Städtepracht zu preisen gilt, so verdient doch diese weit kleinere fränkische Stadt in Bezug auf Reinheit mittelalterlichen Charakters ihrer äußeren und inneren Erscheinung den Vorzug selbst vor der alten Reichszierde des Frankenlandes.

Je unverantwortlicher fast überall und noch bis diesen Tag mit unzähligen Baudenkmalen der deutschen Vorzeit umgegangen worden ist, um so mehr Achtung sind wir dem Geist einer Bürgerschaft schuldig, welcher offenbar seit Jahrhunderten stets die Schonung der Werke der Väter eine Pflicht der Ehre war, denn ohne ein solches Pietätsgefühl würde auch die Art und Weise der Erhaltung des Alten, wie der Rothenburger Mauergürtel sie zeigt, ganz unmöglich gewesen sein.

Wir haben nämlich für die Geschichte des Burgen- und Festungsbaues von den Zeiten der Hohenstaufen bis zum dreißigjährigen Kriege in ganz Deutschland schwerlich noch ein zweites so vollkommen alle Uebergänge bewahrendes Stadt-Muster, wie dieses Rothenburg. Während die ältesten Umfassungsmauern noch aus Kaiser Rudolf’s Tagen herrühren, seit welchen der Umfang der Stadt sich nicht mehr verändert hat, setzte jeder Fortschritt in der Befestigungskunst dem Mauerkranze neue Blätter an, Thurm um Thurm wuchs, bis endlich vierzig Thürme die Mauer krönten, und als vor dem schweren Geschütz der Städte das Burgen- und Raub-Ritterthum in den Staub sank, prangte auch Rothenburg mit seinen Rundbasteien und vorgeschobenen, durch ihre Stärke den Feindeskugeln trotzenden Mauerfäusten. Und so steht die Stadt, ein Bild der Bürger-Ritterlichkeit, auf ihrem Berge, von welchem sie etwas über dreizehnhundert Fuß hoch auf das zwar liebliche, aber eng gewundene Thal hinab und auf eine mehr als tausendjährige Geschichte zurückblickt.

Schon im sechsten Jahrhundert rühmte sich der Berg einer „Burgstraße“, und auf das Wappen einer Dynastie war zuerst der Name Rothenburg geschrieben: ein Grafengeschlecht saß in der Burg auf dem Felsenrücken, welcher die Stadt überragt. Erst nach dem Aussterben desselben und nachdem von den Hohenstaufenkaisern namentlich Friedrich der Rothbart zu der Einsicht gelangt war, daß nur durch die Macht eines freien Bürgerthums der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_748.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)