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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


die Gruppirung ist leicht und gefällig, denn Freudenberger war in dieser Richtung ein trefflicher Lehrer gewesen, und die Zeichnung durchweg correct, obwohl etwas ängstlicher, als in den Katzenstudien, vielleicht weil Mind in diesen Darstellungen weniger selbständig und noch von der Richtung seines Lehrers beeinflußt war. –

Im Anfange seines selbständigen Arbeitens verkaufte Friedli seine Katzenbilder noch zu wahren Spottpreisen. „Eis i z’angere füf Batze“[1] war seine stehende Antwort, wenn man ihn nach dem Preise eines Blattes fragte. Als aber die Blätter berühmt geworden, als Einheimische und Fremde sich um dieselben bewarben, stellte Frau Freudenberger, die eine gute Hausfrau war, den Preis höher und schließlich wurden so viele Louisd’ors dafür bezahlt, als ursprünglich Batzen dafür gefordert worden waren. Viele der Blätter schmücken jetzt die Galerien von Rußland und England.

Aber vielleicht eben so viele werden als Minds verkauft, die er nie gesehen hat, indem industrielle Künstler Copien als Originale auf den Markt brachten, von denen einzelne mit großer Virtuosität den Styl der Urbilder wiedergeben sollen. – Die echten Minds sind sehr selten geworden. –

Obschon Mind in Folge der Anerkennung des Publicums für seine Bilder sich eine unabhängige Stellung hätte gründen können, so verzichtete er gleichwohl darauf und blieb auch nach dem Tode Freudenberger’s in dessen Hause als Taglöhner der Wittwe, wie er früher im Solde ihres Mannes gestanden war. Sie gab ihm Wohnung, Kleider und Kost und verpflegte ihn bis zu seinem Tode, wogegen sie den Erlös für seine Arbeiten einstrich. Es fehlte nicht an wohlmeinenden Versuchen, den Künstler aus dieser unwürdigen Stellung und der Botmäßigkeit eines launischen Weibes zu befreien, sie schlugen aber fehl, weil Mind weder Energie noch Ehrgeiz hatte und in dem gewohnten Fortleben unter den alten Verhältnissen seine Befriedigung fand. Immer nur in der Gesellschaft mit Katzen, scheint er zuletzt selbst die Eigenthümlichkeit dieser Thiere sich angeeignet zu haben, fest an der einmal gewählten Behausung zu hangen. Ein künstlerischer Taglöhner, von Morgens früh bis Abends spät vor seinem Reißbret sitzend, über einen Tisch gebeugt, dessen Besitz er mit seinen Katzen und seinen Laubfröschen theilte, die ländliche Zipfelmütze tief über die Ohren gezogen, ein verkrümmter Rücken, ein sauertöpfisches unwirsches Gesicht, ein kleiner Körper mit auffallend groben Händen und Füßen und eine dünne magere Castratenstimme – das ist das äußere Bild eines Mannes, dem die Kunstgeschichte in einem Anfing von Laune den wohltönenden Namen des italienischen Malerfürsten beigelegt hat. So lebt er noch in der Erinnerung weniger Greise fort, die ihn vor sechszig Jahren in seiner bescheidenen Arbeitsstube besucht haben; und so erscheint er auch in einem charakteristischen Bilde von Lips, das nie in den Buchhandel kam und das jetzt die Gartenlaube durch ihren Holzschnitt der Gefahr der Vergessenheit entreißt.

Mind’s Körperbeschaffenheit war nicht der Art, daß ihm eine lange Lebenszeit bestimmt sein konnte. Ein Brustleiden stellte sich bei ihm ein, das ihn längere Zeit arbeitsunfähig machte und schließlich im November 1814 durch eine Lungenlähmung dahin raffte.

So wenig Erfreuliches oder gar Glänzendes das äußere Leben des Katzen-Raphael im Gegensatz zu demjenigen seines großen Namensverwandten auch aufweist, so reich ist das Interesse, das sein inneres Leben, seine geistige Entwickelung darbietet. Ein Mensch fast ohne alle geistige Begabung, von der Natur vernachlässigt, unter den ungünstigsten Bedingungen aufgewachsen, zeigt in einem engbegrenzten Kunstgebiete eine eigenartige, wahrhaft geniale Befähigung, die aus der harten Schale zur schönen Blüthe und Frucht herauswächst. Erscheinungen dieser Art sind ein sprechender Beweis, daß in den Gesetzen von Gall’s Schädellehre neben vielem Uebertriebenen und Ausschweifenden am Ende doch wohl einige goldene Wahrheit enthalten ist.





Aus dem Unterinnthal.
Von Ludwig Steub.
1. Das Passionsspiel in Brixlegg.

Hin und wieder geschieht es doch, daß dem Menschen schon hienieden ein Wunsch in Erfüllung geht. So bin ich eben dazu gekommen, zwei schöne Herbstwochen in dem lieblichen Brixlegg zu verleben. Es ist dies ein ansehnliches Dorf, welches im untern Innthale, in einer grünen Bucht des Gebirges liegt, nahe bei der alten Stadt Rattenberg, nicht weit von dem fröhlichen Zillerthale. Nachdem ich manches Jahr umsonst nach einer Wohnung gefahndet, bot sich dieses Jahr eine Mühle dar, ein schönes großes Haus, das oben im Dorfe steht und auf seiner Altane eine herrliche Ansicht der Landschaft bietet. Mühlen sind ohnedem poetischer Natur und von der deutschen Dichtkunst, wie man weiß, schon öfter gefeiert worden. Diese besondere Mühle hat aber noch den Vorzug, sehr helle reinliche Stuben zu besitzen und einem Ehepaare zu gehören, welches sehr geachtet und liebenswürdig ist, ein Musterbild für alle Hausleute, in den Städten wie auf dem Lande.

Es war am Feste Mariä Himmelfahrt (15. August), als wir am Orte unserer Sehnsucht glücklich ankamen und vernahmen, daß am andern Tage, welcher ein Sonntag war, das Passionsspiel, von dem die Zeitungen schon so viel erzählt, an uns und hoffentlich auch an vielen Andern vorübergehen würde. So schlenderten wir denn am Abend noch im Dorfe und seiner Gegend umher, betrachteten die herrliche Landschaft und standen auch ein Weilchen vor der Auslage eines ländlichen Photographen, welcher das Passionsspiel mit Industrie verwerthet und die bedeutenderen Figuren, Adam und Eva, Christus nach der Geißelung und am Kreuze, die allerseligste Jungfrau und sämmtliche Apostel, kurz alles, was für die große Welt von Werth sein möchte, mit Kunst und Wahrheit darzustellen weiß. Die Bauersleute sprechen bei dem Künstler nicht selten zu und tragen um billigen Preis gern eine Erinnerung an die Passion nach Hause. Beim Abendtrunke trafen wir mit den Honoratioren zusammen und hörten sehr erfreuliche Nachrichten über den Verlauf der theatralischen Unternehmung. Herr Cooperator Winkler, der geistliche Vorstand, erzählte mit Behagen, wie das Gedränge bisher mit jedem Spieltag größer geworden; auch Herr Hillepold, der Wachszieher und weltliche Mitdirector, zeigte ein zukunftsicheres Gesicht. Nach langen und belehrenden Gesprächen gingen wir in unsre Mühle hinauf und fielen, des großen Morgens gewärtig, unter dem Rauschen der Bäche bald in tiefen Schlaf.

Plötzlich um drei oder vier Uhr in der Nacht, wenn der Fremdling eben im tiefsten Schlummer liegt, erweckt ihn ein vielstimmiges Freudengeläute. Der Meßner und sein sämmtliches Hausgesinde befinden sich im Glockenthurme und ziehen an allen Strängen, dergestalt, daß der vereinte Schall das ganze Dorf ans dem Schlafe bringen muß. Es besteht überhaupt unter den tirolischen Meßnern von Kufstein bis Meran eine geheime Verschwörung, ihre Glocken an Sonn- und Feiertagen vom frühesten Morgen bis zum spätesten Abend nicht zur Besinnung kommen zu lassen. Jene Morgenfanfaren bilden aber ein wunderliches Durcheinander von Solo, Duo, Trio und Tutti, so daß der Hörer immer geneigt ist, ihren Klängen eine gewisse nur dem Eingeweihten faßliche Bedeutung beizulegen. Auch mir kam es oft vor, als wenn es Novellen ohne Worte wären. Hin und wieder glaubte ich sogar einer Familienscene beizuwohnen. Um drei oder vier Uhr nämlich erheben sich Vater und Mutter mit sämmtlichen Kindern, um eine Bergpartie zu unternehmen, die am Abend vorher verabredet worden. Alles wünscht sich guten Morgen und freut sich, zu rechter Zeit erwacht zu sein (Tutti). Mama, eine schöne Altglocke, sieht aber ein Wölkchen am Himmel und spricht sich besorglich darüber ans (Solo). Kanin hat sie geschwiegen, so ergreift das jüngste Kind, ein liebliches Mädchen mit blonden Haaren, eine kleine Sopranglocke, das Wort, protestirt gegen die Aengstlichkeit

der Mutter (ebenfalls Solo) und wird bald von seinem älteren

  1. Eins in andere fünf Batzen (1/2 Gulden rhein.) d. h. 20 Kreuzer für jede einzelne Katze auf einem Blatt.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_743.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)