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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 47.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Erkennungszeichen.
Von A. Godin.
(Fortsetzung.)


War es denn ein Traum, ein leerer Wahn gewesen, als Feldheim noch vor wenigen Wochen mit so ruhiger Sicherheit sich dies reizende Weib als die Seine dachte? Und nun! Er dachte zurück an vergangene Tage, – wie ein Schattenspiel glitten sie an seinem inneren Auge vorüber. Als er Helene vor sechs Jahren zuerst kennen lernte, war ihm das Herz vom Verlust einer geliebten Braut todesschwer gewesen; das liebliche Naturell, das gute Herz der jungen Frau hatte ihm zuerst wieder einen schwachen Antheil am Leben abgewonnen.

Das Haus, in dem sie waltete wie Sonnenschein, war ihm das einzige Asyl gewesen, wo er sich nicht ganz heimathlos und trostlos fühlte.

Als ein Altersgenosse, Freund und naher Verwandter ihres Gatten, war er in diesem Hause immer heimischer geworden, und als Ernst Dalen vor einigen Jahren starb, hatte er Feldheim zum Testamentsvollstrecker und Berather seiner Wittwe bestimmt, was allen Theilen als selbstverständlich erschien. So herzlich hatte sich das gegenseitige Verhältniß zwischen Beiden gestaltet, daß Feldheim’s Versetzung von München nach Bamberg Helene bestimmt hatte, später auch dahin überzusiedeln.

Er selbst hätte wohl kaum zu sagen gewußt, wann das jahrelang so brüderliche Gefühl sich zuerst in ihm wandelte – genug, es war ihm seit einiger Zeit nur allzuklar geworden, daß er Helene mit jedem Herzschlag zu der Seinen begehre!

Die wiederholte Zurückweisung jüngerer glänzenderer Bewerber, die Art, wie Helene sich von Allen ihm mit Innigkeit zuwandte, gab ihm Zuversicht, und schon schwebte die entscheidende Frage auf seinen Lippen, als die erste Begegnung der jungen Frau mit Schaumberg stattfand. Mit jenem seltsamen Instinct, der jedes in seinem Glück bedrohte Gefühl eine Gefahr sofort erkennen läßt, empfand Feldheim vom ersten Augenblicke an, daß es mit seinen erträumten Hoffnungen aus sei.

Zum ersten Mal in seinem Leben rang er mit der brennenden Qual einer Eifersucht, deren Stachel sich um so tiefer in seine Seele bohrte, als er es scharf empfand, wie nothwendig Beherrschung sei, wenn er nicht mit seinen mächtigsten Empfindungen an der Klippe der Lächerlichkeit scheitern sollte.

So lange er ohne wirklichen Nebenbuhler Helenen gegenüber stand, hatte er den Unterschied der Jahre, die sie von ihm trennten, kaum empfunden. Er liebte mit aller Gluth seiner Seele und Sinne, mit aller Kraft eines reichen, nie vergeudeten Gefühls. Von den Frauen bis zur Stunde bevorzugt, ja verwöhnt, hatte nichts ihn daran erinnert, daß auch ihm das Leben verrann, er fühlte sich innerlich noch jung und reich genug, um eine zweite Seele in den vollen Strom der Empfindung mit sich untertauchen zu lassen. Nun aber, den jugendlichen Gestalten gegenüber, die vor seinen Augen so plötzlich sich suchten und fanden, erschien er sich selbst wie ein Bettler, wie ein Thor!

Er auf der Neige des Lebens, er mit dem ergrauenden Haar, er sollte rivalisiren wollen mit dem Manne dort, der ihn an Jugend, an lebensvoller Frische so weit übertraf! Sein Stolz, mehr als das, ein tiefes, innerstes Schamgefühl bäumte sich in ihm bei dem Gedanken, daß irgend ein Auge entdecken könne, was in ihm vorging – vor Allem das Auge Helenens! Und doch vermochte er es nicht immer, ihr gegenüber die ruhige Haltung zu bewahren, um die er rang. Die wenigen Wochen, die den jungen Arzt täglich zu Helenen geführt, hatten hingereicht, eine Intimität zwischen Beiden zu erzeugen, die in den gemeinschaftlichen Musikstudien ihren Vorwand, in täglich wachsender Vertraulichkeit ihren Ausdruck fand. Eine unerträgliche Qual durchschnitt Feldheim’s Seele, wenn er, wie eben jetzt, zusehen mußte, wie der junge Mann sich zu Helene beugte, wie ihr Blick mit dem seinen so leuchtend zusammentraf, wie ein neues, seelenvolles Leben ihre Züge in seiner Gegenwart verschönerte.

Noch rauschten die vollen Klänge der Eroica dahin, als, von den begeistert Spielenden ungehört, der Major lautlos das Zimmer verließ.




5.

Der Sommer war bereits weit vorgeschritten. Bei Helene Dalen, der sonst so Reiselustigen, wurden aber, zur geheimen Befriedigung der alten Cousine, in diesem Jahre keine Anstalten zu irgend einem Ausfluge gemacht. Längst schon wanderte der leichte Fuß der jungen Frau wieder ohne Hinderniß durch Flur und Wald, sie sah lebensfrischer aus, als je, und doch war sie, zum Verdruß ihrer zahlreichen Bewunderer, an den Sammelplätzen der eleganten Welt nur selten zu treffen. Geschah es einmal, so fehlten ihr zwar die frische Heiterkeit, das mädchenhafte Lachen, das ihr so wohl stand, auch jetzt nicht, dennoch fand man sie allgemein verändert. Die Verwandlung mochte vor Allem darin liegen, daß die frühere Koketterie völlig aus ihrem Wesen verschwunden schien, wie ein Parfüm, das nicht mehr benutzt wird. Ein anderer, süßerer Duft umgab jetzt wie ein durchsichtiger Schleier die ganze Erscheinung der jungen Frau.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_737.jpg&oldid=- (Version vom 18.11.2021)