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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

August und der schöne Graf Tilly standen in einer Fensternische harmlos scherzend und lachend, und nur Prinz Louis Ferdinand erschien zerstreut und unruhig. Wiederholt glitt er mit der schlanken Hand über die Tasten, wanderte hin und her und warf ungeduldige Blicke auf die prachtvolle Pendule, die bereits die siebente Stunde zeigte. Der Capellmeister Himmel war von ihm abgesandt worden, den Ehrengast in das Palais zu geleiten, und mit einer Spannung ohne Gleichen erwartete Louis Ferdinand den Eintritt Beethoven’s. Jede Unterhaltung ermüdete ihn, er brach sie, kaum begonnen, wieder ab. In diesem Augenblick nun blieb er bei der Kronprinzessin stehen und sagte lächelnd: „es ist als ob ich eine Geliebte erwartete, ich bin wie im Fieber!“

„Und ist es nicht eine Geliebte, theurer Vetter,“ erwiderte die schöne Frau, „wenn auch in etwas seltsamer Gestalt, nämlich die heilige Cäcilia? Wenn die Schönste und Gefährlichste der Frauen einen Besuch verheißen, da ist solch Fieber wohl natürlich!“

Kaum waren diese Worte gesprochen, als die Flügelthüren sich öffneten und Francois, der Kammerdiener des Prinzen, die Erwarteten meldete. Tief aufathmend und erregt eilte Louis Ferdinand ihnen einige Schritte entgegen. Am Arme Himmel’s trat Ludwig van Beethoven in den Saal.

Die damalige Erscheinung des Meisters beschreibt Seyfried folgendermaßen: „Der Körperbau Beethoven’s war gedrungen, nicht groß, starkknochig, voll Rüstigkeit, ein Bild der Kraft; sein Haupt hatte sich mit dunklem Haargebüsch bedeckt, das ungeordnet, mehr mähnenartig als lockig umherlag; die Stirn war breit und vordringend über den dunkeln Augen gelagert, die schon tiefer und verschlossener zurücktraten; die Nase war kräftig, mehr in die Breite entwickelt als vordringend, von deutschem, nicht römischem Profilschnitt; der Mund war wohlgebildet.“

Ohne Schüchternheit, aber auch ohne Verbindlichkeiten grüßte Beethoven die Versammlung und war, als die Vorstellung vorüber, sofort mit dem Prinzen in ein tiefes Gespräch verwickelt. Später nahm auf den Wunsch der Prinzessin Ferdinand der Capellmeister Himmel Platz am Clavier und phantasirte mit gewohnter Meisterschaft unter dem lebhaftesten Beifall, indem er aus seinen Opern von dem primo navigatore an bis herab zu der beliebten Fanchon die bekanntesten Melodieen kunstvoll in einander webte zu einem lebendigen farbenfrischen Tonbilde. Dann spielte Prinz Louis Ferdinand auf die Bitte seines Gastes die Beethoven’sche Fdur-Sonate mit ihrem herrlichen Largo. Als er geendet, reichte ihm Beethoven beide Hände in lebhafter Bewegung hin und sagte mit seinem herzgewinnenden Lächeln: „Das war gar nicht königlich oder prinzlich, sondern meisterlich wie ein tüchtiger Clavierspieler und Musiker gespielt!“

Wie oft und mit welchem freudigen Stolz citirte Louis Ferdinand später noch diese Worte seines geliebten und bewunderten Meisters! Man durfte nun endlich hoffen auch den Gast spielen zu hören. Eine erwartungsvolle Stille trat ein, nachdem die Damen Platz genommen, Aller Augen wandten sich dem Clavier zu, ein mächtiger Accord – und Ludwig Beethoven spielte die Seelen aller seiner Hörer gewaltsam mit sich reißend hinauf in seine Sonnenbahn.

Bekanntlich ist Beethoven als musikalischer Improvisator unerreicht gewesen. Selbst bei dem Wettstreit zwischen ihm und dem berühmtesten Pianisten der damaligen Zeit, Wölfl, der einst in Wien im Hause des Freiherrn von Werthern stattfand, siegte er glänzend, obgleich beide Nebenbuhler in der Technik auf gleicher Stufe standen und Wölfl’s Hand viel größer war und mit Leichtigkeit zehn Töne spannte. Aber Wölfl „unterhielt“ nur angenehm, während Beethoven allem Irdischen entrückt „im Reiche der Töne schwelgte“, wie Seyfried sagt, „und sein Geist ihn zu Kraftäußerungen trieb, denen das Instrument kaum zu genügen vermochte.“ Das Feuer seines Vortrags, die düstere Leidenschaft seines Wesens, die überraschenden Wendungen und Contraste, die abenteuerlich erhabenen Ideen wirkten immer überwältigend. Jeder mußte eben fühlen, wie heiliger Ernst es ihm war mit der Musik, wie er sie als die einzige wirkliche Sprache seiner Seele betrachtete. Die Gruppe seiner Hörer war in Fesseln geschlagen. Der Fürst Radziwill, auf den Sessel seiner Frau gestützt, verwandte kein Ange von dem Spieler. Seine musikalische Seele war hingerissen, und auf den Wangen der lieblichen Prinzessin blühten die Rosen lebhaftester Erregung. In tiefes Sinnen verloren lehnte die Prinzessin Ferdinand in ihrem Sessel, die Mutteraugen ruhten mit einem Gemisch von Zärtlichkeit und Sorge auf dem Antlitz ihres Lieblings, Louis Ferdinand, dessen Sein und Wesen ihr schon so manchen stillen Kummer gebracht, den sie bewunderte, auf den sie stolz war, und um dessen Zukunft ihr doch heimlich bangte, wie eben nur einer Mutter, deren Herz sie ja so oft zur Hellseherin macht, bangen kann. Unmittelbar hinter dem Sessel Beethoven’s saß der Prinz. Das vollste Licht fiel auf die schlanke Jünglingsgestalt, auf diese wunderbar edle Stirn, auf das Antlitz, das im Glanze höchster Begeisterung strahlend schöner als je erschien. Die Seele, jene wunderbare Doppelseele, von der

Die eine hält in derber Liebeslust
Sich an die Welt mit klammernden Organen,
Die andre hebt gewaltsam sich vom Duft
Zu den Gefilden hoher Ahnen – –

durchleuchtete die Hülle, es war ein Bild ungebrochener Jugendkraft. – Zehn Jahre später an demselben Tage, vielleicht zu derselben Stunde, wer hätte es damals ahnen können, umzog dies stolze Haupt die Glorie des Heldentodes – Prinz Louis Ferdinand lag kalt und starr auf dein Schlachtfeld von Saalfeld.

Und jetzt? Die eine Hand umschloß fest die goldene Verzierung der Lehne des Sessels Beethoven’s, wie in Träumen verloren hing sein Blick an jener Frauengestalt, die sich langsam erhoben und jetzt, wie die Muse der Tonkunst selber, neben dem Spieler stand. In tiefster Bewegung, das wunderschöne Haupt gegen ihn hingeneigt, war die Kronprinzessin unwillkürlich näher und näher herangetreten, wie gewaltsam vorwärts getrieben – bis sie endlich hingerissen, unter strömenden Thränen leise die zarte Hand auf den Arm Beethoven’s legte und flüsterte: „O laßt den Himmel wieder blau werden, das Herz thut mir zum Sterben weh!“

Da hob er seine Augen und sah sie lange und fast staunend an, die schöne Frau, die künftige Königin Louise, und – allmählich zog ein leises Lächeln wie ein Sonnenstrahl über das ernste Antlitz. Mit einem kraftvollen Accord verließ er nun das Reich der bangen Klage, die wilden Wogen ebneten sich, Wolkenschatten huschten dahin, die Nacht verschwand allmählich, höher und höher zog das Licht herauf, bis Alles hell wurde und blau wie die Augen der zauberischen Frau, deren Thränen eben vor ihm geflossen.

Beethoven hat dem Prinzen Louis Ferdinand zum Andenken an jenen Abend des 10. Octobers 1796 sein herrliches C moll-Concert op. 37 dedicirt. Es war in dem Rudolstädter Schlosse in der Nacht vor der verhängnisvollen Schlacht bei Saalfeld, als Prinz Louis Ferdinand es zum letzten Mal spielte.

Wie eine Fata Morgana stieg die Erinnerung an jenen Musikabend in den glänzenden Räumen daheim vor seiner Seele auf: er sah den geliebten Meister so deutlich vor sich und fühlte, sein Herz von seltsamen Schauern bewegt, es sang und klang wunderbar um ihn her, auf den goldenen Wellen der Töne tauchten sie empor, alle jene lieben fernen Gestalten, die ihn damals umgaben, und wie zwei Sterne strahlten sie ihn an, die thränenvollen Augen einer angebeteten Königin, und er hörte ihre süße Stimme so deutlich flüstern: „das Herz thut mir zum Sterben weh!“ daß er erschrocken aufsprang und das Clavier schloß. Ahnete er, daß ein Tag heraufzog, um den noch heißere Thränen aus den schönsten Augen fließen sollten, als damals, daß die Königin Louise bald noch bitterer klagen werde: „mein Herz thut mir zum Sterben weh,“ als an jenem Musikabende – – und daß diese Thränen und diese Klage dann ihm galten – einem Todten?!



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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_727.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)