Seite:Die Gartenlaube (1868) 705.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 45.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Erkennungszeichen.
Von A. Godin.


Erste Abtheilung.
Helene.
1.

In einer ziemlich entlegenen Straße Bambergs erhebt sich ein Gebäude von bedeutender Ausdehnung, das städtische Spital. Früher ein gräfliches Besitzthum, das aus zwei einzelnen Häusern bestand, ward es vor Jahren zu dem gegenwärtigen Zwecke durch einen Mittelbau vereinigt, dessen Front hart an der Landstraße liegt, während die Rückseite von großen, schattigen Gärten begrenzt wird, die sich bis an die Ufer der Regnitz hin erstrecken.

Die untergehende Sonne eines Apriltages warf ihre letzten Strahlen in ein Parterrezimmer dieses Krankenhauses und erhellte die Physiognomie des hohen, etwas düsteren Gemaches. Es war ein Zimmer von ungewöhnlicher Tiefe; zwei Fenster desselben gingen nach der Straße, zwei andere, correspondirende, nach dem Garten, dessen alte, beschattende Bäume wohl immer eine gewisse Dämmerung in jenem Theile des Raumes erhalten mochten.

An einem der Gartenfenster war offenbar das Lieblingsplätzchen des Bewohners etablirt. Ein viel gebrauchter, aber trefflich gepolsterter Lehnstuhl stand vor einem soliden kleinen Tische mit geschweiften Füßen, der mit Büchern, Rauchapparat und, gerade jetzt, mit einer ziemlichen Anzahl uneröffneter Briefe bedeckt war. Weit ernsthafter blickte ein großes, mit grünem Tuch bezogenes, neben eines der hellen Fenster nach der Straße zu gerücktes Schreibpult drein, neben dem sich ein Bücher-Repositorium erhob, das fast bis zur Decke reichte. Im Contrast mit der übrigen einfachen Einrichtung stand an der langen Wand, der Thür gegenüber, ein großer, noch neuer Flügel, dessen besonders schöne und sorgfältige Holzarbeit auf ein werthvolles Instrument schließen ließ. Das Zimmer war leer. Es war ganz still darin, nur die Münchner Schnitzuhr an der Wand tickte in regelmäßigem Gange, sonst regte sich nichts.

Nun aber klirrte das Schloß der Zimmerthür; von rascher Hand ward der Schlüssel gedreht, und der Besitzer des Raumes trat ein. Er mußte nicht weit gewesen sein, denn er war in Hauskleidung, ohne Handschuhe und Kopfbedeckung, doch flog sein Blick durch das Zimmer, als prüfe er die vorhandenen Gegenstände, dann ließ er sich mit einer leichten Geberde von Ermüdung im Lehnstuhl nieder. Mit Behagen streckte er die Glieder und öffnete das Fenster, zu dem der eigenthümlich schwache Duft von jungem Laub und Baumblüthen hereinströmte, der in dieser Jahreszeit, nach Sonnenuntergang, noch wie ein Abschiedshauch des schaffenden, drängenden Tages, durch die ruhenden Gärten zieht. Dann wurde eine Cigarre in Brand gesteckt, und mit ihren leichten Wölkchen zugleich schienen mancherlei Gedanken in die kühle Abendluft hinaus zu wirbeln.

Während der junge Mann sich so dem Genuß eines Ruhestündchens überläßt, haben wir Muße, seiner Erscheinung einen Blick zu gönnen. Er mochte etwa fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahre zählen und gehörte zu jenen Gestalten, welche mehr noch die Gedanken fesseln, als das Auge. Mittelgroß, schlank, fast schmächtig, dabei aber von jener Elasticität der Bewegung, die auf eine kräftige, oft eiserne Constitution schließen läßt, lag selbst in der Ruhe, der er sich eben hingab, etwas von Energie. Der feingezeichnete, von schlicht geordnetem dunkelblondem Haar umrahmte Kopf war der eines Denkers. Die helle, frei und schön entwickelte Stirn wölbte sich über Augen von unbestimmter, sich oft verdunkelnder Färbung, deren Feuer das blasse Gesicht eigenthümlich belebte und einen stets beschäftigten, intensiven Geist verrieth. Hätte nicht um die zartgeschnittenen Lippen ein Zug von Jugendlichkeit und Lebensfrische gespielt, so wäre dies Gesicht fast zu ausdrucksvoll für einen Mann seines Alters erschienen.

„Guten Abend, Schaumberg!“ klang eine tiefe Stimme zum Fenster herein.

Der junge Mann sprang auf und grüßte achtungsvoll. „Schon zurück, Herr Director? Die Operation gut von Statten gegangen?“

„Ganz nach Erwartung,“ erwiderte der Befragte; „nichts Neues im Hause?“

„Nichts von Belang, ich komme eben aus den Sälen zurück; viele Anmeldungen nur, wie es scheint. Sehen Sie die reichhaltige Correspondenz, die mit der letzten Post eingegangen ist! Ich will mich jetzt daran machen.“

„Viel Vergnügen!“ winkte der Director, „hier haben Sie auch die Zeitung. Nichts drin heute, als lauter Projecte zu Festivitäten. Die Königin kommt wirklich nächste Woche her und soll zwei Tage bleiben. Verdammte Langweilerei! Meine Weiber denken an nichts, als an Spitzen und Bänder, und als ich heute heimkam, war das erste Wort, das die Mädels mir zum Willkommen sagten: Ball! Heirathen Sie nur nicht, Schaumberg!“

Der Assistenzarzt lachte und sah mit freundlichem Auge seinem Director nach, der durch den Garten nach seiner neben dem Spital gelegenen Privatwohnung schritt. Inzwischen war es tief dämmerig geworden, die Cigarre war ausgeraucht, und der junge

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_705.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)