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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Farben besungen, will man Lügen strafen vor einer künftigen Generation, man will ihn seines bisherigen hohen Postens ohne Weiteres entheben und – zur Disposition stellen, mit der Erlaubniß als armseliger Canal die Uniform der Schleppdampfschifffahrts- und Correctur-Gesellschaft zu tragen!

Fort mit der Romantik von Nonnenwerth, wo

„Die Liebliche sich zeigte –“

à bas die zahllosen kleinen Inseln, die überall auf den Wellen schwimmen wie Wasserrosen, zerstört der Mäusethurm Hatto’s, zerrissen die malerischen Ufer in abscheuliche Sumpfstellen! – Kein Plätzchen mehr gelassen für das Hoflager der Elfen, für das nächtliche Treiben all’ jener reizenden Gestalten der Sage, die sich hier bekanntlich seit alten Zeiten zu ergehen pflegen, – überall Steindämme, wo kein Fuß wandeln kann als höchstens einer mit Hufeisen beschlagen, und keine Freude mehr gelassen für die Menschen! Wohin mit den Gesunden und Kranken, Frohen und Traurigen? Wohin mit den jungen glücklichen Hochzeitsreisenden, den sommerlichen Zugvögeln, der Schaar der fahrenden Schüler und lustigen Maler, die Alle ein Stück jener herzerfrischenden Rheinpoesie mitnahmen in das Alltagsleben, als eine unverwelkliche Erinnerungsblüthe? Statt der Villen werden Hospitäler für Fieberkranke entstehen und statt des Weines wird man jenes „Gewächs“ schlürfen lernen:

„sieht aus wie Wein –“

von dem schon der selige Claudius behauptete:

„Man kann dabei nicht singen,
Dabei nicht fröhlich sein –“

Und der Wandsbecker Bote war an seiner deutschen Dichtertafel nicht einmal verwöhnt durch einen feinen Rheinwein, und hat ohne Zweifel nur in seinen Träumen, und selbst da noch schüchtern, Johannisberger oder Steinberger gekostet. – Der schöne See zwischen Mainz und Bingen, vor dessen blankem Spiegel Frau Sonne besonders gern Toilette machen soll, und von dessen bewegten Wellen in der Nacht jener Thau aufsteigt für die Rebenhügel, der sie labt, wenn der Regen sie nicht tränkte, er soll verschwinden, – der köstliche Johannisberger, der Geisenheimer, Steinberger, Rauenthaler, sie sollen zur Sage werden, verkümmern und versauern! – Und warum das Alles? – „Weil,“ so antwortet die Augsburger Allgemeine Zeitung, „die Herren Schleppschifffahrtsactionäre nicht die Schiffe nach dem Strom bauen, sondern den Strom nach den Schiffen construirt haben wollen!“ – „All’ diese Schmach für elenden Gewinn!“ ruft die Kölner Zeitung aus. „Im Interesse der kaufmännischen Speculation einiger weniger reicher Leute soll eine ganze Gegend, die seither der Stolz und das Entzücken Deutschlands war, wohin alljährlich Tausende aus fernen Ländern pilgerten, ja, soll die Gesundheit von allen Bewohnern des Rheingau’s schnöde geopfert werden!“

Aber nein, und tausend Mal nein! „Sie sollen ihn nicht haben!“ Das sei hier unser gemeinsames Motto. Wir Alle müssen einig sein dieser Zeitfrage gegenüber! – Wer nur eine glückselige Stunde an jenen gesegneten Ufern verlebte, wer nur einen Tropfen goldenen Rheinweines trank, wer noch Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, und ein warmes Herz für die Zierde und den Stolz Deutschlands, der erhebe sich und helfe bitten und streiten für unsern Rhein;

„Ob sie wie gier’ge Raben
Sich heiser nach ihm schrei’n! –“

Es ist keine deutsche Sentimentalität, wenn uns der Gedanke unerträglich erscheint, unsern königlichen Rhein die Arbeiten eines Knechtes verrichten und seine Schönheit zerstört zu sehen, die feinsten Empfindungen des deutschen Herzens werden verletzt bei solcher Vorstellung. Man nimmt uns mit dieser Schönheit den Hort der deutschen Poesie! – Und nicht das theuere Vaterland ist es, das solch’ ein Opfer von uns fordert – ihm allein würden wir es ohne Klage bringen – nein, im Interesse Einzelner soll das reizvollste Landschaftsgemälde zerstört werden.

Aber wir haben ja allgemeine Wehrpflicht! Nun, so wehren wir uns doch gründlich, mit Hand und Mund gegen den Feind: Rheincorrectur! – Alle, Alle, Groß und Klein, Jung und Alt versuche seine Kräfte! Und einen mächtigen Helfershelfer haben wir auf unserer Seite: Bismarck hilft mit!

Sagte er doch: „Die Interessen der Uferbewohner müssen vor Allen berücksichtigt werden, ehe etwas für die Schifffahrt geschieht. Für mich persönlich hat aber auch die ästhetische Seite dieser Sache eine große Bedeutung.“

Tritt mit diesem Worte der Mann von Eisen nicht entschieden auf die Seite der Poeten und Aller, die aus vollem Herzen rufen: „Sie sollen ihn nicht haben!“? Und so dürfen wir hoffen – mit vollster Zuversicht – daß er für unsere Bitte auch einem Königspaar gegenüber sprechen werde, dessen Machtwort das Felsenschloß der Loreley vor der Zerstörung schützte – und daß es bald heiße:

„Sie werden ihn nicht haben!“


Pariser Kinder. Eine stereotype Figur von Paris, welche man an bestimmten Wochentagen in den Straßen sehen kann, sind die kleinen Wäscherinnen. Ein armes Kind von zwölf bis vierzehn Jahren trägt von Schweiß triefend, einen großen Korb mit Wäsche auf den Schultern, läuft damit oft von einem Ende der Stadt zum andern und steigt wohl fünf bis sechs Treppen hoch. Nachdem die reine Wäsche abgeliefert und nachgesehen, ob alles richtig ist, wird der Korb wieder mit schmutziger Wäsche vollgepackt. Man sieht das Mädchen alle Augenblicke anhalten und Athem schöpfen.

Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Kaum ist die Arbeit zusammengeholt worden, so beginnt das Seifen, Schlagen und Bürsten. Winter und Sommer die Arme im Wasser, aus dem Warmen in’s Kalte und umgekehrt. Und dabei hören diese in so zartem Alter befindlichen Mädchen die häufig obscönen Gespräche der alten Wäscherinnen. Physisch und moralisch dringt das Uebel auf diese armen Kleinen herein. Sie nehmen die feuchte Wäsche auf ihre Schultern und tragen sie zum Trocknen. Nun beginnt das Bügeln, das Eisen ist glühend. Von diesem ausgebreiteten Leinen steigt ein ungesunder Dampf empor, den die kleine Büglerin einathmen muß. Diese Arbeit und das schwere Lasttragen fordern viele Opfer, viele sterben, ehe sie Frauen werden. Diejenigen, deren Natur kräftig genug ist, werden vor der Zeit alt und gebrechlich. Fast alle verlieren ihre Zähne; allmählich gewöhnen sie sich an alkoholhaltige Getränke, um sich zu erwärmen, und um dem einen Uebel zu entgehen, fallen sie oft in ein anderes, noch größeres. Ein französisches Sprüchwort sagt: „Die Kinder sind der Reichthum des Arbeiters.“ In der That werden sie häufig genug ausgebeutet.

Eine ganz besondere Betrachtung erfordern die gemietheten Kinder. Man begegnet zuweilen in den alten Vierteln von Paris, unter einem Thorweg zusammengekauert oder an der Ecke eines öden Platzes, einer Frau leidenden Aussehens, auf ihren Armen ein Kind und noch von fünf oder sechs andern umgeben, die sich alle in einem Abstand von einem Jahre zu folgen scheinen. Die Frau bettelt eigentlich nicht, sie spricht Niemanden um eine Gabe an; aber ihr Blick, den sie auf den Vorübergehenden erhebt, ist so von Schmerzen und verborgenen Leiden durchfurcht, ihre Stimme ist so zitternd, daß man nicht anders kann als in die Tasche greifen und der armen Mutter ein Geldstück zuwerfen. Ihr Zustand dringt bis auf den Grund des Herzens.

Indeß der Beobachter, vielleicht der Skeptiker, will solchem Elend auf den Grund gehen, er versteckt sich und sieht zu, was weiter aus der armen Mutter wird, und erfährt leider nichts Gutes. Diese arme Mutter mit dem jammerverkündenden Blick hat gar keine Kinder; die improvisirte Familie, mit der sie sich umgiebt, besteht aus kleinen Wesen, welche sie von Eltern gemiethet hat, die noch zehn Mal ärmer sind als sie. In das Haus, welches ich bewohne, kam von Zeit zu Zeit eine arme Frau. Sie war von ihrem Manne verlassen worden und hatte fünf Kinder. Eine Tochter von fünfzehn Jahren war Dienstmädchen, ein Knabe von zwölf Jahren arbeitete in der Malerei, und ihr blieben noch Drei von acht, fünf und drei Jahren.

Eines Tages fragte ich sie, in welche Schule sie ihre Kinder schicke.

„Schule!“ sagte sie erstaunt, „o mein Herr, ich bin zu arm, um meine Kinder in die Schule zu schicken.“

„Aber, liebe Frau,“ antwortete ich, „es giebt einige Schulen mit unentgeltlichem Unterricht.“

„Ich weiß wohl, aber ich bin auch dafür noch zu arm. Meine Kinder müssen verdienen.“

„Wie, Ihre Kleinen müssen verdienen? Was können sie in ihrem Alter einbringen?“

„O, sie verdienen fünfzehn Sous täglich –“

„Aber,“ unterbrach ich, „was können sie denn in ihrem Alter schon arbeiten?“

„Ah, mein Herr, in unserem Hause wohnt eine Frau, welche in den Straßen singt und mir meine Kinder für fünf Sous täglich abmiethet. Sie miethet noch zwei andere in dem Viertel, und das ist ihre Familie, wie sie sagt. Fünf Sous per Stück ist ihr Preis, für Krüppel zahlt sie zehn Sous. Unglücklicherweise sind die meinigen gesund.“

„Unglückliche Frau,“ rief ich aus, „Sie lästern Gott! Und diese Tagediebin kann einen Franc fünfzig Centimes Kosten täglich zahlen?“

„Gewiß, Herr, es giebt Tage, wo sie acht Francs verdient. Und dabei giebt sie den Kindern nichts zu essen, ich muß ihnen des Morgens ein Stück Brod mitgeben. Wie glücklich war da eine meiner Nachbarinnen: diese hatte einen kleinen Knaben, welcher mit zwei Ziegenfüßen geboren war. Sie vermiethete ihn für zwanzig Francs monatlich an Leute, die mit ihm umherzogen und ihn als Naturwunder zeigten.“

Später erfuhr ich, was aus den drei Kindern dieser Frau geworden. Das jüngste hatte das Glück zu sterben, die beiden anderen wurden bei einem Diebstahl ertappt und in ein Correctionshaus gethan.

W.




Inhalt: An alle Lehrer und Erzieher. – Süden und Norden. Eine baierische Dorfgeschichte von 1866. Von Herman Schmid. (Schluß.) – Die Martinsgans. Mit Abbildung. – Mirabeau in Berlin. Von Ingo Ettmüller. – Ein deutscher Gruß von Australien her. Mit Abbildung. – Noch einmal Langensalza, Erinnerungen von Kurt Greß. – Blätter und Blüthen: Sie sollen ihn nicht haben! – Pariser Kinder.


Zu Weihnachten für den Lesetisch der Familie.

Von Herman Schmid, dem Verfasser der in dieser Nummer schließenden, mit so großem Beifall aufgenommenen Erzählung „Süden und Norden“ sind die

Gesammelten Schriften.
Volks-Familienausgab.

bis zum 9. Bande erschienen und werden allen Familienvätern, die ihrem Hause eine durchaus edle und fesselnde Lectüre bieten wollen, für den Weihnachtstisch hiermit angelegentlich empfohlen. Dieselben erscheinen in 18 –20 Bänden, à 7½ Ngr. Einzelne Bände werden nur zu dem vierfachen Subscriptionspreise abgegeben.

Leipzig, Ende October 1868. Die Verlagshandlung von Ernst Keil.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_704.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)