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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Mirabeau in Berlin.

Es war am 20. Juli 1786, als dem französischen Gesandten in Berlin, dem Grafen Esternon die Karte eines Landsmannes überreicht wurde, der, von Paris kommend, einige Zeit in Berlin zu verweilen gedenke. Auf der Karte stand: „Honoré Gabriel Riquety, comte de Mirabeau.“ Esternon hatte kaum den Namen gelesen, als er sich unwillig zu seinem Secretär wandte und ihm sagte: „Melden Sie dem Herrn Grafen mein Bedauern; Geschäfte machen es mir unmöglich, ihn zu empfangen, und,“ setzte er hinzu, „bringen Sie das Alles mit einer so abweisenden Miene vor, daß er das Wiederkommen vergißt.“ Etwas erstaunt führte der Secretär den Befehl aus; als er zurückkam, setzte ihm sein Herr huldvollst die Gründe dieses Verfahrens auseinander.

Der Graf von Mirabeau war in den Kreisen des Hofes und des Adels nicht beliebt, den Einen war er zu bedeutend, den Andern zu verrufen, und in der That, seine Vergangenheit giebt so recht ein Bild der damals herrschenden Verwirrung aller sittlichen Anschauungen.

Er entsprang einer altadeligen Familie. Sein Vater, der Marquis Mirabeau, war einer jener verschrobenen Nationalökonomen, die unter der Maske biederer Grobheit die feilste Gesinnung verbargen: eine vierzehntägige Ungnade brachte ihn fast zur Verzweiflung. Seine Frau trennte sich von ihm, als er ihr seine Geliebte zur Gesellschafterin aufdringen wollte, und hieraus entsprang ein scandalöser Scheidungsproceß, in welchem der Marquis seine Frau und seinen Sohn, der für die Mutter auftrat, mit den schmählichsten Verleumdungen überhäufte. Der junge Mirabeau hatte nie an ihm einen zärtlichen Vater gehabt; der Marquis schrieb einmal über seinen Sprößling: „Dieses Kind gleicht nicht übel dem Policinell, denn es ist ganz Bauch und Rücken, es scheint mir Talent zu einer Schildkröte zu haben: es zeigt den Rücken und läßt sich schlagen.“ Fünf Jahre, von 1767 bis 1772, that der Graf Militärdienste; dabei begegnete es ihm, daß er im Spiel vierzig Louisd’or verlor und seinen Obersten in der Gunst einer Dame ausstach, für Beides steckte ihn sein Vater vermittelst eines lettre de cachet in’s Gefängniß auf der Insel Rhé. Darauf kam Mirabeau junior mit seinem Regiment nach Corsica. Hier begann er Geschmack an seinem Berufe zu finden und erwarb sich Kenntnisse. Als aber der Papa dies merkte, nahm er ihn nach Hause, um ihn „rural“ zu machen, d. h. ihn zu verbauern. Zu dieser Zeit verwandelte sich die Abneigung des Vaters in unversöhnlichsten Haß, der gewiß einzig in seiner Art ist: der Marquis wurde auf die Begabung seines Sohnes eifersüchtig, er fürchtete, von ihm verdunkelt zu werden! Der Ehezwist vollendete den Bruch.

Nun beginnt die eigentliche Leidens- und Festungsperiode des jungen Mirabeau. Auf nicht sehr ehrenhafte Weise gewann er die Hand einer reichen Erbin, jedoch ohne einen Thaler Mitgift. Auf seinem kleinen Gute spielte er nun den großen Herrn, bald hatte er hundertsechszigtausend Franken Schulden. Sein sehr reicher Vater ließ den Sohn unter Vormundschaft stellen und in das Schloß If bringen, wo er in kargem Gewahrsam büßen und bereuen sollte. Er that dies zwar nicht, aber etwas Anderes: er verführte die Frau des Gefangenwärters. Dies wurde ruchbar, der gekränkte Ehemann schlug Lärm, und Mirabeau wurde auf eine einsame Festung im Jura versetzt. Das Schloß Joux, das war der Name des neuen Verwahrungsortes, war aber in der Nähe des Städtchens Pontarlier; der Graf erhielt die Erlaubniß, die Gesellschaft des kleinen Ortes zu besuchen, und machte bald die nähere Bekanntschaft der zwanzigjährigen Frau des siebzigjährigen Herrn von Monier. Er entfloh mit seiner Geliebten erst nach der Schweiz, dann nach Holland. In Amsterdam ließ sich das Pärchen nieder, und es ist wirklich rührend, wie der Graf Alles aufbietet, um sich eine bescheidene Existenz zu verschaffen. Er lebte von literarischen Arbeiten, die sein damals schon berühmter Name empfahl. Als er aber eines Abends nach Hause kam, fand er seine Sophie in den Händen französischer Polizeiagenten, die ihn nun auch mitnahmen, obgleich das nicht in ihrer Instruction stand. In verschlossenem Wagen brachte man sie über die Grenze, in Paris wurde die junge Frau in ein Kloster gebracht, ihr Verführer aber nach dem Gefängnisse zu Vincennes. Vier Jahre blieb er daselbst und schrieb geistreiche Briefe an seine Sophie, die zu seinen besten schriftlichen Leistungen gehören, selbst in Versen versuchte er sich und bewies durch sie, daß ihm die Natur nicht alle Talente verliehen habe. Durch ein gerichtliches Urtheil wurde er der Entführung schuldig erklärt und in effigie umgebracht. Nach seiner Entlassung strebte er eine Revision des Processes an, doch ohne großen Erfolg.

Seine Gattin, die ihm ohnehin nur mit halbem Herzen die Hand gereicht hatte, lebte auch nach seiner Freilassung von ihm getrennt. Von aller Welt gemieden, von seinen Blutsverwandten verstoßen, ohne Hülfsquellen, aber doch stolz auf seinen Adel, zersplitterte Mirabeau nun seine Gaben in allerlei Gelegenheitsschriften, die ihm dürftiges Honorar, aber reichliche Feinde einbrachten. In einem Processe mit seiner Gemahlin entwickelte er zum ersten Male seine Rednergabe, die ihm eine ehrenvolle Stelle in der Geschichte verschafft hat. Der Advocat seiner Gegner zerbrach in Verzweiflung den Stift, mit dem er sich Notizen gemacht hatte, seine Gemahlin selbst wurde zur Bewunderung hingerissen.

Einige Bekanntschaft mit den Ministern Vergennes und Calonne erweckte in ihm die Hoffnung, in Staatsdiensten emporzukommen; er suchte nur die Gelegenheit, seine Talente anwenden zu können, des Erfolges war er gewiß. Schon hier zeigt sich das Verhängniß, das in spätern Jahren so erschreckend hervortritt: der Hof stieß mit Ekel den einzigen Menschen zurück, der es sich zur Lebensaufgabe machte, das Königthum zu retten, den Einzigen, dem dies vielleicht möglich war. Auf unablässiges Drängen erhielt er endlich eine geheime Sendung nach Preußen, doch ohne jede Vollmacht oder Beglaubigung; man willfahrte ihm, um ihn los zu sein.

Diesmal hatte also Graf Esternon einen Fehler begangen, der ihm auch einen Verweis des Ministeriums zuzog. Mirabeau war gekommen, um im Interesse des französischen Staates den großen Proceß zu beobachten, der sich eben vollzog: den Uebergang des Staatsruders aus den Händen Friedrich’s des Zweiten in die seines Neffen. Nebenbei sollte er auch andere Länder seiner Aufmerksamkeit würdigen und Fäden anknüpfen, die sich gegebenen Falles zu einem artigen Netze verweben ließen.

Der französische Gesandte war wohl nicht sehr entzückt, als er dem Mann mit dem berüchtigten Namen in einer großen Audienz den Zutritt in die höchsten Kreise formell eröffnete, und auch hier stieß Mirabeau auf manches Gesicht, das sich unwillig verzog, wie es den Fremden gewahr wurde. Man hatte überhaupt die Sendlinge der großen Nation ein für allemal satt bekommen; unter dem verstorbenen Könige waren sie lange genug mächtig gewesen, um sich vollständig verhaßt zu machen. Ueber die Unverschämtheit dieser welschen Glücksritter hielten sich selbst ihre Landsleute zuweilen auf, und in den Briefen jener Zeit ist uns mancher bezeichnende Zug erhalten worden. So fragte einmal einer dieser Edelleute den kriegsberühmten und allbekannten Feldherrn Friedrich’s des Zweiten, den Herzog von Braunschweig: „Beiläufig, Sie, haben Sie auch gedient, Monseigneur?“ Der Gleiche meinte, als ihm der Kurfürst von Sachsen seine Edelsteine zeigte, bekanntlich die reichste Sammlung in ganz Europa: „Sehr artig, gewiß, sehr artig; wie viel hat Sie das gekostet?“ Ein anderer dieser Muster französischer Höflichkeit sah in Prag den Truppen zu, die ihrem Kaiser zu Ehren manövrirten, und schüttelte schließlich dem erstaunten Monarchen freundlich die Hand, freute sich, seine Bekanntschaft zu erneuern, und sprach sich sehr anerkennend über die Tüchtigkeit der kaiserlichen Soldaten aus. Einige Wochen später saß er in Berlin an der Tafel des Kronprinzen, als das Gespräch auf einen[WS 1] seiner Freunde kam; plözlich fährt der Franzose in die Tasche, reißt einen Brief heraus und wirft ihn quer über den Tisch dem Prinzen zu mit den Worten: „Ach, ich hätte es beinah vergessen! Da habe ich Ihnen etwas von ihm abzugeben!“

Traf also Mirabeau auf ungünstige Vorurtheile mancher Art, so wurden diese durch seine äußere Erscheinung nicht gehoben. Er war von hoher, breitschultriger Gestalt; das ohnehin übergroße Haupt wurde durch eine riesige Frisur in’s Ungeheuerliche vergrößert; die Gesichtszüge hatten die Blattern schon in seinem dritten Jahre entstellt. Sein Kleid war mit farbigen Knöpfen

Anmerkungen (Wikisource)

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_697.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)