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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

ihrem Zimmer führen. „Laßt uns gleich hier eintreten!“ sagte der Geistliche ernst, indem er den Fuß in die geöffnete Thür setzte, obwohl die Bäuerin dagegen Einsprache that, daß das kein gerechter Platz sei für den hochwürdigen Herrn.

„Ihr errathet ohne Zweifel, was mich zu Euch führt,“ begann der Geistliche, nachdem sie hinter sich die Thür zugezogen, „ich habe es Euch schon bei unserem jüngsten Gespräche an der Kirche angedeutet. Leider war ich damals verhindert, die Sache durchzusprechen; allein hoffentlich ist dieselbe inzwischen durch Ueberlegung nur reifer geworden. Ihr wißt, es betrifft die Zukunft, das irdische wie das geistige Wohl Eures Kindes!“

Der Bäuerin, welche sich nichts Anderes erwartet hatte, als daß er sogleich wieder mit einer Strafpredigt wegen der Wiederaufnahme der Fremden beginnen würde, fiel es bei diesen Worten wie ein Stein vom Herzen. „Ich weiß schon, was Hochwürden meinen,“ sagte sie geläufig. „Es ist von wegen dem Klostergehen. Sie haben g’sagt, ich soll schauen, ob ich den Sinn meiner Tochter net erforschen kann.“

„Allerdings. Und habt Ihr Gelegenheit gefunden, das zu thun?“

„Jawohl, an der G’legenheit hat’s net g’fehlt; aber g’holfen hat’s nix. Sie will eben vom Klostergehen nix wissen. Es ist mir schon lieber, wenn Sie’s selber probiren und mit ihr reden; aber ich glaub’ allweil, viel werden S’ auch net ausrichten mit ihr.“

„Ich werde es versuchen,“ entgegnete der Geistliche, „obwohl das Zureden einer Mutter, der es Ernst ist mit der Sache, das Meiste vermöchte. Ihr hättet ihr eben eindringlicher zureden sollen. Ich wundere mich, daß trotz der schweren Heimsuchung, die über sie gekommen ist, ihr Sinn doch noch so sehr an der Welt hängt und an ihrer Eitelkeit.“

„No, das kann ich just net sagen, Hochwürden,“ sagte achselzuckend die Bäuerin. „Die Eitelkeit thut Unsereinem net viel, wenn man den ganzen g’schlagenen Tag arbeiten muß. Das Tonerl meint halt, sie könnt’ in der Welt auch brav sein und beten.“

„In der Welt!“ rief eifrig der Cooperator. „In dieser verderbten Welt, welche dem arglosen, unerfahrnen Gemüthe stündlich in hundert verschiedenen Gestalten der Verlockung erscheint, und die für jeden Fehltritt eine Verkleidung, für jedes Laster eine Entschuldigung bereit hat! Steil und schlüpfrig ist die Bahn, welche durch die Welt zum Heile führt. Sie ist wie ein über einen Abgrund gespanntes Haar, auf dem man wandeln soll, und nur die Verblendung kann es wagen, sich zu rühmen und zu sagen: Ich falle nicht! Der sorgt am besten für sein Heil, der diese Bahn gar nicht betritt, sondern sogleich einläuft in den Hafen der Ruhe und der Sicherheit!“

„Freilich wohl,“ entgegnete die Funkenhauserin. „Aber da müßten nachher alle Leut’ in’s Kloster geh’n, und das wird sich doch net gut machen lassen.“

„Wollte Gott, es gelänge, in Allen den Klostersinn zu erwecken! Den Sinn der Ergebung, die Erkenntniß der eigenen Hinfälligkeit, die stete Reue und Zerknirschung über die menschliche Verworfenheit, über den Gräuel unserer Sünden!“

„Sie müssen das freilich besser verstehen, Hochwürden,“ sagte die Bäuerin; „es ist ja Ihr Geschäft, aber ich kann mir net helfen, mir fällt dabei immer mein Seliger ein, mein Mann, der Mathies. Der hat g’sagt, die größte Straf’, die man Einem anthun könnt’ nach dem Gesetz, wär’ die, daß man ihn einsperrt auf seiner Lebtag, und da mein’ ich halt, so große und schwere Sünden wird mein Dirndl doch net auf’m G’wissen haben, daß sie eine so schwere Straf’ verdient hätt’.“

„Ihr scheint meiner spotten zu wollen,“ rief der Geistliche mit blitzenden Augen. „Ich sehe wohl, wie es mit Euch steht. In den Zeiten der Trübsal waret Ihr zerknirscht! Als die Hand des Herrn schwer auf Euch lastete, da trieb es Euch, ihn zu suchen; da waret Ihr bereit, meiner Mahnung zu folgen. Nun, da kaum noch das Gras über den Gräbern der Märtyrer und Opfer gewachsen ist, hat die Saat des Bösen die besseren Regungen in Euch schon wieder überwuchert.“

Der Bäuerin wurde es warm unter der Haube; sie rückte dieselbe hin und her. „Mit Verlaub, Hochwürden,“ – wollte sie sagen.

„Schweigt!“ rief er, sie unterbrechend, aus. „Macht keinen Versuch, Euch zu vertheidigen, wo Eure üble Gesinnung durch den Augenschein erwiesen ist! Habt Ihr nicht trotz meines Rathes, trotz meiner angelegenen Warnung die ketzerischen Preußen wieder in Euer Haus aufgenommen?“

„No, ich sollt’ doch meinen,“ sagte die Bäuerin in steigender Befremdung, „in meinem Haus sollt’ ich doch Herr sein!“

„Wohlan,“ fuhr er fort, „wenn Ihr denn in der Verstocktheit verharrt und die sanften Mahnungen nicht hört, sollt Ihr statt des schmeichelnden Rufes des Hirten dessen strafende Zornesworte vernehmen! Wer nicht hören will, muß fühlen. In Dingen Eures Seelenheils seid Ihr mir untergeben und Gehorsam schuldig. Kraft meiner geistlichen Macht trag’ ich Euch auf und befehle Euch, die Protestanten zu entfernen, durch deren Umgang Ihr zu dieser sträflichen Lauigkeit im Glauben verführt werdet …“

„Befehlen?“ sagte die Bäuerin. „Das ist sonderbar. Ich weiß net viel von dem, was Gesetz ist bei uns; aber ich hab’ doch sagen hören, daß’s bei uns im Baierland auch lutt’rische Leut’ giebt, und daß sie so gut sein sollen wie die Andern.“

„Das habt Ihr nicht zu untersuchen,“ rief der Priester gebieterisch. „Eure Sache ist, zu gehorchen, wenn Ihr nicht selber von Eurem Glauben abtrünnig werden wollt. Mögen die amtlichen Gesetze bestimmen, was sie wollen! Gesetze kann man wieder aufheben! Wer weiß, ob diese unglücklichen Verirrten von der reinen Heerde nicht wieder ausgeschieden werden können! Jedenfalls soll dafür gesorgt werden, daß sie, wo sie noch nicht sind, sich nicht einschleichen. Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen; denn es steht geschrieben –“

Mitten im Redeflusse unterbrach er sich selbst und blickte befremdet nach der Thür, welche sich leise geöffnet hatte. Alwine, welche durch die offenen Fenster die laut geführte Unterredung vernommen, stand auf der Schwelle im weiten, weißen Krankengewande, eine erhebende, Ehrfurcht gebietende Erscheinung, mit wallendem Haar und begeisterten Blicken, einer Verklärten gleich. „Es steht geschrieben,“ sagte sie mit feierlicher Stimme: „‚Liebet einander, meine Kindlein! Daran will ich erkennen, ob Ihr meine Jünger seid, daß Ihr einander liebet.‘ Sie, mein Herr, nennen sich einen Diener dessen, der so gesprochen? Sie tragen das Kleid eines Trägers seiner Lehre und predigen Haß! Ist das im Sinn und im Geiste Ihres Meisters gehandelt?“

„Ja,“ rief der Geistliche, welcher die augenblickliche Ueberraschung schnell überwunden hatte, „ja; denn die Liebe ist nicht jenes weichliche, weibische Gefühl, das die Welt so nennt; die Liebe ist stark und eifrig. Wer seine Pflicht thut, der übt die Liebe; denn wen der Herr lieb hat, den züchtigt er.“

„So spricht der Ewige von sich in der Fülle seiner Unendlichkeit,“ rief Alwine. „Er vermag, so zu thun; denn vor ihm liegt Alles ausgebreitet vom Beginn bis zum Ende. Er erkennt Ursache und Folge, er wägt Schuld und That, Wollen und Vollbringen gegen einander ab. Dem Menschen aber, dem schwachen Geschöpfe, dessen Dasein nur vom Morgen bis zum Abend währt, der nur das Nächste sieht, was vor ihm liegt und geschieht, dem hat er ein anderes Maß für das gegeben, was seine Pflicht sein soll; denn er sagt: ‚Liebe den Nächsten wie Dich selbst! Füge keinem Andern zu, was Du nicht willst, daß Dir geschehe!‘ Sie wollen uns aus diesem Hause, aus dieser Freistätte der Ruhe und des Glückes, welche uns gütige Menschen bereitet, verstoßen; – fühlen Sie nicht, daß die Waffe, die Sie führen, auch eine Schneide gegen Sie hat?“

„Die haben wir nicht zu fürchten,“ sagte der Kaplan gelassen. „Auf unserer Seite ist die Wahrheit.“

„Die Wahrheit? Wer bürgt Ihnen dafür? Wer dafür, daß unser Glaube falsch ist? Uns ist er nicht minder wahr als der Ihrige! Er hat Millionen beseligt, hat sie in allen Wechselfällen des Lebens ruhig und sicher geleitet, hat ihnen Trost und Zuversicht gegeben in der Sterbstunde… Wir glauben all’ an Einen Gott!“

„Und doch giebt es nur Eine Wahrheit.“

„Auch nur Ein Licht,“ rief Alwine feurig, „und doch leuchtet Gottes Erde in unzähliger Farbenpracht. Sagen Sie an, womit erproben Sie die Wahrheit?“

„Die Kirche lehrt, die Wissenschaft behauptet, die Geschichte beweist sie!“

„Dann müßte Gottes Walten hienieden übereinstimmen mit dem, was Kirche, Wissenschaft und Geschichte lehren. Thut es

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