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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Eine südamerikanische Hauptstadt.

Von Fr. Gerstäcker.


Mit so vielen deutschen Schiffscapitänen ich auch in früheren Zeiten zusammentraf, sobald das Gespräch auf Reisen kam, blieb ihre stete Frage: „Waren Sie schon in Angostura? – Nein? – ja da müssen Sie hin – Angostura müssen Sie sehen!“ und nun ergingen sich die Seeleute, die selten oder nie vom Lande erzählen, in den lebendigsten Beschreibungen dieser eigenthümlichen, fast noch wilden Region. Sie hatten dazu auch vollen Grund, denn Segelschiffe sind in der Regenzeit und bei angeschwollenem Strom oft gezwungen, viel länger und mühseliger in dem engen Fahrwasser des Orinoco-Delta aufzukreuzen, als ihnen selber lieb ist, und sie werden durch Windstille manchmal Tage lang zwischen den Büschen festgehalten.

Mir aber lag das Wort Angostura seitdem in den Gliedern, und doch war ich erst auf meiner letzten Reise im Stande Venezuela zu durchwandern. Diesmal aber auch gründlich, denn ich schnitt von dem nördlichen Hafen La Guayra über Caracas südlich bis zum Apure durch, folgte diesem Strom in einem Canoe bis in den Orinoco und erreichte endlich das langersehnte Angostura, von dem ich dem Leser hier eine kurze Skizze geben will.

Wenn man nach langer mühseliger Fahrt in einem Canoe den Orinoco herunterschwimmt und sich schon fast daran gewöhnt hat, an beiden Ufern Nichts als undurchdringlichen Wald – eine Wildniß zu sehen, die fast ausschließlich vom Tapir und Tiger begangen wird, bemerkt man plötzlich in der Ferne, auf einem niedrigen, allmählich abdachenden Hügel dicht zusammengedrängte helle Häusermassen, mit dunklen Punkten dazwischen. Es ist Bolivar – die Hauptstadt von Guyana, früher und auch häufig noch selbst jetzt Angostura oder „die Enge“ genannt, weil der gewaltige Strom sich hier in der That verengt, trotzdem aber doch noch eine ganz ansehnliche Breite hat. Mitten in seinem Fahrwasser liegen aber gewaltige Felsblöcke, welche die Strömung besonders nach der rechten Seite hinüber drängen, so daß es bei voller Höhe des Flusses fast unmöglich sein soll dagegen anzukämpfen. Wir indessen gingen stromab, und die Fluth war uns nur zu Gunsten.

Bolivar selber macht von weitem keinen besonders freundlichen Eindruck, denn es fehlt das Grüne zwischen den Häusern; es fehlen Bäume oder Palmen. Kahl und in der Sonne röstend liegen die Gebäude und zwischen ihnen wild zerstreut eine Menge braunfarbiger Felsblöcke, die nach einem sonnigen Tag noch mitten in der Nacht eine Gluthhitze ausströmen. So felsig ist dabei der Boden, auf welchem die Stadt steht, daß einzelne Häuser ordentlich in die Steine hineingemeißelt werden mußten. Uebrigens finden sich hier wieder, trotz der oft fallenden schweren Regen, die platten Dächer, wie weiter südlich in Buenos Ayres und Montevideo, was den ganzen Ort vor den übrigen Städten Venezuelas auszeichnet.

Bolivar hatte einst einen sehr bedeutenden Handel und Verkehr; wenn dieser auch durch die Revolution in vieler Hinsicht gestört wurde, so ist er selbst jetzt noch keineswegs unbedeutend und scheint sogar durch die mehr und mehr sich bevölkernden Goldminen wieder im Wachsen. Jedenfalls bildet es den Central- oder vielmehr Ausgangspunkt für alle in Guyana und den nördlichen, am Orinoco liegenden Provinzen gezogenen oder gewonnenen Producte – allerdings nur Rohproducte, bei denen besonders die Häute eine große Rolle spielen. Hirschhäute vorzüglich werden oft im Jahre bei Hunderttausend dort verschifft, denn die Gegenden am Apure und weiter hin am Rio Negro sind die wildreichsten des ganzen Landes. Außerdem bilden Balsam, Copahu, Tongabohnen wie Cacao nicht unbedeutende Exportartikel.

In jetziger Zeit freilich kommen diese Gegenstände nur in sehr geringer Menge den Orinoco herunter. Die durch das Innere streifenden Soldatenbanden. haben fast den ganzen Handel wie jedes Vertrauen zerstört, da man selbst keine Waaren mehr nach dem von den Amarillos oder Regierungstruppen besetzten Bolivar schaffen wollte.

Guyana befindet sich aber dabei in einer ganz eigenthümlichen Lage – in der besten freilich, die es sich unter solchen Umständen wünschen konnte, da es durch seinen Präsidenten außerhalb der Revolution Posto gefaßt hat und kaum gezwungen werden kann, wirklichen Antheil daran zu nehmen. Die Provinz Guyana ist fast noch einmal so groß, als die übrigen Staaten Venezuelas zusammen, bildet eigentlich, schon seiner geographischen Lage nach und durch den Orinoco von den übrigen getrennt, ein eigenes Reich für sich selber, und hat sich auch bis dahin fern von jeder thätigen Mitwirkung in der Revolution gehalten.

Juan Bautista dalla Costa, der jetzige Präsident, ist natürlich geborener Venezuelaner, stammt aber von europäischen Eltern ab, und zwar von einer italienischen Familie, wurde in Nordamerika erzogen und verbrachte später mehrere Jahre in Deutschland, vorzugsweise in Bremen. Er ist ein tüchtiger und gebildeter Mann, wie Venezuela nicht sehr viele aufzuweisen hat, dabei reich, also vollkommen unabhängig, und auch in ganz Venezuela – besonders in seiner Provinz, für die er Alles thut was in seinen Kräften steht – geliebt wie kaum ein Anderer.

Allerdings wünscht man in ganz Venezuela nichts sehnlicher, als ihn gerade an Falcon’s Stelle zum Präsidenten über die ganze Republik zu haben, und wohin ich auch kam, wurde mir nur der Name genannt. Wollte er sich an die Spitze der Revolution stellen, die in diesem Augenblick keineswegs unterdrückt ist, sondern gerade jetzt das ganze Land erfaßt hat, und der es nur an einem richtigen Kopf fehlt, die ganze Sache wäre im Handumdrehen beseitigt. Aber Dalla Costa selber hat keine Lust dazu – und verdenken kann es ihm wahrlich kein Mensch der die Verhältnisse von Venezuela kennt. In diesem Augenblick möchte ich eben so gern Finanzminister von Frankreich oder Oesterreich, als Präsident in Venezuela sein.

Trotzdem versuchte die Revolution Alles, um ihn in die Bewegung hineinzuziehen, und Depeschen auf Depeschen wurden ihm zu diesem Zweck gesandt. Das Land selber aber, fest überzeugt, daß es sich auf ihn verlassen könne, erließ aller Orten und Enden Vertrauensadressen, in denen man versprach, zu ihm zu stehen, was er auch immer beschließen möge. Da er nun genau die in seiner Provinz herrschende Stimmung kannte, gelangte kaum die Kunde nach Bolivar, daß Falcon selber gestürzt und geflohen sei und zwischen den beiden Parteien unterhandelt würde, als er unter dem Jubel der Bevölkerung die Provinz Guayana so lange für unabhängig erklärte, bis man sich eben im Norden über einen künftigen Präsidenten geeinigt und Frieden und Ordnung wieder hergestellt habe.

Aber er blieb dabei nicht stehen. In Bolivar befand sich bis jetzt das Fort, wie Polizei und Douane in den Händen der Regierung von Caracas. Von den Soldaten waren allerdings schon die Meisten desertirt und vielleicht noch etwa dreißig Mann übrig, die nicht gefährlich werden konnten, aber er durfte auch kein fremdes Commando länger im Lande dulden. Der Commandant wurde deshalb bedeutet, sich zurück nach Caracas zu begeben, das Soldatencorps einfach entlassen, aber mit Geld und Provisionen versehen, um nach den Minen gehen zu können. Ebenso nahm Dalla Costa die Douane – die bedeutendste Einkunft im Lande – in Beschlag und besetzte sie mit Guyanesen, und die ganze Umwälzung ging so friedlich vor sich, daß es in der That nur des Befehls bedurfte, um Alles zu reguliren. Es fiel kein Schuß, nicht einmal ein rauhes Wort, und vor der Hand regiert jetzt Dalla Costa als souveräner Präsident die ganze Provinz.

Der Handel in Bolivar ist zum großen Theil in den Händen von deutschen Kaufleuten. Deutsche Kaufleute importiren jedenfalls die meisten Waaren und selbst deutsche Handwerker, wenn auch noch in geringem Maße, haben sich dort niedergelassen. Früher besuchten auch sehr viele deutsche, besonders Bremer Schiffe Angostura, das scheint aber nachgelassen zu haben, theils wohl des durch die Revolutionen unterbrochenen Handels wegen, theils weil der Orinoco selber ein bösartiger Strom ist und in der Regenzeit, bei angeschwollenen Fluthen Segelschiffe oft zwanzig bis dreißig Tage gebraucht haben, um die gewaltige Strömung zu stemmen. Kauffartheischiffe müssen da schon eine sehr gute Ladung fest in Aussicht haben, wenn sie sich zu einer so langen Reise verstehen sollen, und gegenwärtig ist wenig oder gar keine Fracht zu bekommen.

Unter den Deutschen in Bolivar herrscht aber auch ein reges

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_635.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)