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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

kam es jetzt über mich wie eine Offenbarung. „Sie sind der – Präsident des Ulk!“ platzte ich heraus.

„Warum nicht!“ erwiderte er, warf den Strohhut vom erhitzten Haupte und sah mich mit seinen bebrillten, stechenden Augen prüfend an. Dann flog ein pikantes humoristisches Lächeln über sein volles, blondbärtiges Gesicht; er machte mir eine neue Verbeugung, und ich erwiderte dieselbe. Hierauf erzählte ich mein Begegniß mit dem russischen Mönch und knüpfte daran die für das Präsidium höchst überraschende Mittheilung, daß die Namen Ulk und Haspe wie zwei räthselhafte Hieroglyphen ebenso oft in den entferntesten Winkeln der schwarzen Erde auftauchen, wie die Gesellschaft auf der rothen Erde ein neues Ehrenmitglied ernenne.

„Der Mönch wußte fast mehr, als ich!“ sprach ich fort. „Er fragte mich, warum denn das ,Kind von Frankreich’ zum Ehrenpräsidenten des Ulk ernannt worden?“

„Und was erwiderten Sie?“ fragte das Präsidium.

„Ich erwiderte einfach, daß solches in Folge der Ernennung des ,Kindes’ zum Präsidenten der Weltausstellung geschehen sei.“

„Und damit gab sich doch auch der Mönch zufrieden?“ sagte das Präsidium.

„Das that er durchaus nicht!“ sagte ich. „Er fragte, warum denn das ,Kind’ für den barocken Gedanken des Vaters habe büßen müssen?“

„Und darauf hatten Sie keine Antwort?“

„Nein, ich hatte keine! Bitte, geben Sie mir jetzt dieselbe!“ sagte ich.

Da hielt der Zug in Gevelsberg, und zwar in einem für das Präsidium höchst günstigen Augenblick, denn die Antwort bedurfte wenigstens einer Minute Ueberlegung.

„Wie, Sie steigen aus?“ fragte ich das Präsidium.

„Ich habe hier einen Bau zu besichtigen.“

„Bitte, laden Sie mich so bald als möglich zu einer Sitzung des Ulk ein. Hier ist meine Karte.“

„Soll gern und soll bald geschehen!“

Mit diesen Worten verschwand das Präsidium, und der Zug brauste weiter. –

Einige Tage später erhielt ich folgenden Brief: „Es wird mich recht freuen, wenn Sie mich morgen früh mit Ihrem Besuch beehren wollen. Wie ich aus Ihrem Briefe sehe, beabsichtigen Sie mit dem zweiten Zuge weiter zu reisen; sollten Sie hiermit den Zug, der um neun Uhr hier durchkommt, meinen, so mache ich Sie darauf aufmerksam, daß dieser Zug, der in Hamm den Berliner Schnellzug erreicht, hier nicht anhält. Wenn Sie Ihr Gepäck mit dem ersten Zuge bis Hagen durchgehen lassen, so können Sie den zweiten Zug in Hagen nur dadurch erreichen, daß Sie den Weg von hier bis dahin (eine halbe Stunde) zu Fuß machen, in welchem Falle ich Sie begleiten werde.

Ich hoffe, Sie werden länger Zeit haben und bis zum Zuge zehn Uhr und siebenzehn Minuten hier bleiben können.

Freundlichst grüßt 
der Vorstand der Gesellschaft Ulk.“

Ich fuhr denn an dem betreffenden Tage mit dem Frühzug nach Haspe. Das Städtchen lag sonntagstill da. Ich glaubte, auf dem Bahnhof vom Ausschuß des Ulk, oder doch vom Präsidium, empfangen zu werden, aber Niemand hatte sich zu meinem Empfange eingestellt. Eigenthümliche Gedanken durchkreuzten meinen Kopf. Mir war vor etlichen Tagen, und zwar von wohlunterrichteter Seite, mitgetheilt worden, daß schon Mancher, der den Ulk in Haspe sehen wollte, froh gewesen, mit einem blauen Auge wieder davongekommen zu sein. Selbst nach einem höflich abgefaßten und rechtzeitig eingegangenen Einladungsschreiben war doch das Endresultat nur eine „lange Nase“ gewesen. War doch ganz Hagen schon einmal – wie mir wohlbekannt – vom Ulk in’s Bockshorn gejagt worden.

Als sich nämlich der Riese Murphy in Elberfeld zeigte, wollte eine Schauspielertruppe in Hagen ihn ebenfalls fehen lassen. Der Riese aber meinte, es lohne sich nicht, die Siebenmeilenstiefel zum Zurücklegen einer so undankbaren mikroskopischen Entfernung anzuziehen, und sagte ab. Da kündigte plötzlich die Gesellschaft Ulk in Haspe an, daß sie den Riesen Murphy zu einem Besuch bewogen habe. Das große Hagen ärgerte sich über das kleine Haspe, dennoch strömten die Hagener schaarenweise nach der Metropole des Ulk. Der Ausstellungssaal war überfüllt. Jeder harrte gequetscht und schwitzend der Dinge, die da kommen sollten. – Der Vorhang rollte in die Höhe, – und was war zu sehen? Ein Paar auf einer Leiter stehende Riesenstiefel, daraus ein Paar riesige ausgestopfte Hosenbeine in eine Draperie emporragten. Der Riese selbst könne sich nicht sehen lassen, weil die geringe Höhe des Saales ihn daran hindere – so mußten sich jetzt die Hagener in die Ohren raunen lassen. – Ein Anderer, der aus weiter Ferne gekommen, um den Ulk „à tout prix“ zu sehen, soll in die Höhlen des Uebergangskalkgebirges bei Haspe und Milspe gelockt und hier bei vollkommener Finsterniß von einer satanischen Katzenmusik empfangen worden sein. – Noch ein Anderer hatte in Haspe den Ulk nirgends finden können und mußte, nachdem er „von Pontius zu Pilatus“ geschickt worden, dürstend und müde wie ein gehetzter Hirsch wieder abziehen, denn überall, wo er sich etwas für seinen bellenden Magen geben ließ, bekam er Ungenießbares.

Solche und ähnliche Bilder, besonders das geheimnißvolle: „Hast Du meiner Mutter Schlafmütze nicht gesehen?“ – „Nein, ich habe Deiner Mutter Schlafmütze nicht gesehen!“ welches mit der Virtuosität des Spottvogels in allen Tonarten, oft an öder Stelle am Felsenpfade, von einem Mitgliede oder einer ganzen Abtheilung des Ulk variirt wird, beschäftigten lebhaft meine Phantasie, als ich einsam wie ein Grenzpfahl vor dem Wirthshause stand, welches dem Hasper Bahnhof gegenüberliegt.

Die Wohnung des Präsidiums war mir von einem Elberfelder Schriftsteller, einem geheimen Mitgliede des Ulk – so vermuthete ich – als am oder im Hasper Bruch gelegen bezeichnet worden. Das Präsidium sollte auch Schmidt heißen, ein verfänglicher Name! Ich hatte einfach an den Vorstand der Gesellschaft Ulk adressirt und vom Vorstande Antwort erhalten. Da kam ein kleines Mädchen des Weges; es war im Sonntagsstaat und lächelte wie der junge Frühling.

„Mein Kind, wo wohnt hier Herr Schmidt?“ fragte ich.

Das Kind zeigte in verschiedenen Richtungen zu den Hasper Dächern empor und sagt: „Da und da und da wohnt ein Herr Schmidt.“

Hm! wenn das Präsidium einen Namen trug, der einer Unsumme von Erdenbewohnern anklebt, mußte ich doppelt vorsichtig sein. Ich wagte eine für das Kind allzu gelehrte Frage.

„Ist nicht ein Herr Schmidt Vorstand der Gesellschaft Ulk?“

„Ja, der Baumeister Schmidt am Hasper Bruch!“ antwortete das Mädchen rasch und machte große, helle Augen.

„Kind, das ist der richtige. Zu diesem Schmidt führe mich!“

Es geschah. Ich trat nach längerer Wanderung in ein geschmackvolles Haus, das entweder einem Baumeister gehören, oder doch von einem Baumeister mit ganz besonderer Sorgfalt herausgeputzt sein mußte. Mit der einen Seite lächelte es in einen hübschen Garten hinein, und mit der andern grüßte es zu den bewaldeten Höhen empor.

Das Präsidium war abwesend; es war nach dem Bahnhof gegangen. Wir hatten uns also verfehlt. Zur Strafe dafür mußte die Spitze der Gesellschaft Ulk in der Tropenhitze einsam heimwandern, und ich mußte bis zu ihrer Rückkehr mit furchtbarer Nüchternheit vor dem duftigsten Kaffee, den ein Menschenkind bereitet, lechzend sitzen. Ha, da erschien er in der Thür, der lächelnde humoristische Kopf, und bot die Hand zum Gruß. Er ließ sich und mich keinen Augenblick länger auf das Köstlichste warten, was es nach ausgestandener Drangsalshitze für einen Nüchternen Magen giebt, und bald sprudelte der duftende Trank Arabiens in die großen geblümten Tassen. Erst als eine hinreichende Anzahl von festlichen Kuchenschnitten das Zeitliche gesegnet und der Weihrauch der Havanna mit dem Duft des Mokka emporstieg, ging das Gespräch, welches anfangs nur in abgerissenen Sätzen mit Pantomimenbegleitung gepflogen wurde, in eine fesselndere Unterhaltung über.

„Ich glaubte, ich würde heute einer Sitzung des Ulk beiwohnen können!“ brach ich vom Zaun.

„Gewiß, sogar einer Ausschußsitzung! Belieben Sie sofort?“

„Ja, sofort, wenn ich bitten darf!“

Der Präsident erhob sich, näherte sich mit mir einer Thür und enthüllte eine durch eine Portière verhängte Glasscheibe. Ich sah hinein. Eine Ausschußsitzung des Ulk tagte. In einem sehr schön

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_614.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)