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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Lächelnd stand Günther vor Ambros, sah ihm in’s Gesicht und streckte ihm dann die Hand zum Einschlagen entgegen. „Du bist ein rechter Trotzkopf,“ sagte er, „ein widerhaariger Bursch. Ich sollte Dir eigentlich böse sein, weil Du mich erst in der Irre herumführst und nun mir nicht einmal vergönnen willst, auf dem kürzesten Wege nach der Almhütte zu kommen und die Toni zu sehen, mit der ich, wie Du weißt, noch gar nicht zusammengetroffen bin. Aber wenn ich dann wieder sehe, wie herzlich Du für meine kranke Schwester sorgst, dann erkenne ich wieder Dein gutes Gemüth und kann Dir nicht gram sein. Es ist nur schade, daß wir immer mit einander zanken müssen, so oft wir zusammen kommen.“

Zögernd nahm Ambros den Handschlag des jungen Mannes an und sah ihm unschlüssig in’s Gesicht. Er wußte nicht, ob er dessen Rede als Spott annehmen solle oder als wirklichen Ernst; ehe er sich aber auf eine Antwort besonnen hatte, riß er sich los, denn hinter den Felsen hervor ertönte plötzlich ein kurzer, eigenthümlich gellender Pfiff. Im Augenblicke hatte Ambros sich gewendet, den Stutzen ergriffen und gespannt und lag schußfertig auf dem einen, gebogenen Knie da. „Machen Sie’s auch so!“ rief er mit unterdrückter Stimme seinem Begleiter zu. „Das ist ein Gamspfiff; da ist der Rudel aufg’scheucht worden, und die Wacht hat das Zeichen ’geben. Es sollt’ mich wundern, wenn uns nit ein Bock in’ Schuß rennt … Ich mein’, ich hör’ schon ’was trappen …“

Wirklich ließ sich ein immer näher heranpolterndes Geräusch vernehmen, und wie vom Sturmwind getragen, kam eine Gemse aus den Steinklippen hervor und in mächtigen Sätzen den Felsgrat entlang an den beiden Schützen vorüber. Ambros als der Vorderste wollte sich die gute Gelegenheit nicht entgehen lassen: der Schuß knallte aus seinem Rohr; aber sei es, daß er nicht genügend gezielt, oder war seine Hand unruhig gewesen – noch durch den Rauch sah er das flinke Thier entspringen. Im Moment aber, als wäre es der Wiederhall des ersten Knalles, krachte der Schuß auch aus Günther’s Gewehr – die Gemse hielt zurückprallend im Laufe ein, stieg mit den Vorderfüßen bäumend in die Höhe und plumpte dann, sich überschlagend, auf den Rücken nieder. Klappernd schlug sie noch ein paar Mal mit den Läufen auf den Felsgrund und verendete.

Ambros hatte sich erhoben und stand vor Verwunderung noch unbeweglich, als Günther bereits neben das gefallene Wild getreten war und es betrachtete. „Ein schönes Thier,“ sagte er. „Es ist beinahe schade, daß wir Menschen so hoch heraufsteigen und uns so viel Mühe geben, es seiner Freiheit und seines Lebens zu berauben.“

„Ah, wem wird denn so was einfallen!“ sagte Ambros, nun ebenfalls näher tretend. „Deswegen ist ja das Wildpret da, daß man’s schießt, und wenn man sich plagt, muß man doch auch was davon haben. Aber das ist ein Capitalbock,“ fuhr er fort, indem er das Thier mit dem Fuße bei Seite schob. „Und wie ihm die Kugel in der Weichen sitzt! Ein Jäger hätt’ ihm den Flankenschuß in der Flucht nicht besser hinsetzen können. Um den Schuß bin ich Ihnen fast neidig.“

„Das ist eben nichts Besonderes,“ sagte Günther gleichgültig. „Dazu gehört nichts als ein sicheres Auge, eine feste Hand und einige Uebung, beide an’s Zielen zu gewöhnen. Bei uns in Preußen, wo Jeder Soldat sein muß, lernt auch Jeder mit dem Gewehr umgehen und auf die Scheibe schießen. Aber was soll nun mit dem Thiere geschehen?“

„Ja,“ sagte Ambros, sich hinter den Ohren krauend, „da ist guter Rath theuer! Da kann’s nit liegen bleiben. So hoch es herauf ist, würden es die Füchs’ doch bald wittern und vor allen die Geier, und um den Bock bis auf die Blümelalm mitzuschleppen, das wär’ doch ein gar zu großes Stück Arbeit … Aber da fallt mir eben ein, daß da unten im Wald die Holzknecht’ arbeiten. Zu denen will ich ihn ’nuntertragen; die können den Bock Abends heimschaffen, wenn s’ Feierabend machen. Ich komm’ bald wieder. Sie müssen sich nur die Zeit nit lang wer’n lassen, Herr Günther, – oder,“ fuhr er zögernd und wie sich besser besinnend fort, „vielleicht könnten Sie gleich mitgeh’n! Unser Wildpret haben wir jetzt, und da könnten wir auch auf dem Weg auf die Blümelalm geh’n …“

Günther fühlte sich angenehm berührt, als der Bursche den Vorschlag machte, ihn allein zu lassen; ein flüchtiger Gedanke ging ihm durch den Sinn, er bemühte sich aber, die Bewegung zu bemeistern und völlig ruhig zu scheinen. „Es ist ganz gut so,“ sagte er. „Ich will aber doch lieber hier bleiben und Dich erwarten. Ich fühle erst jetzt, daß ich doch etwas ermattet bin und mir beim Sprung den linken Fuß ein wenig geprellt habe. Die Sohlen brennen mir, und es ist, als ob der Knöchel anfangen wollte, zu schwellen. Ich will hier sitzen bleiben und meine Zeichnung fertig machen.“

Ambros sah ihn wieder mit seinen bedenklichen Seitenblicken an. Es war, als erriethe er, welche Gedanken seinem Gaste durch den Kopf gingen. „Das ist doch merkwürdig,“ sagte er, „daß das so auf einmal und hinterher kommt! Wenn Sie nur das Warten net verdrießt! Es kann eine hübsche Zeit dauern, bis ich die Leiten ’nauf und ’nunter gestiegen bin.“

„Das schadet nicht,“ entgegnete Günther im unbefangensten Tone. „Desto länger kann ich mich ausruhen, und wenn mich ja die Langeweile überkommen sollte, so kann ich auch vorausgehen. Ich werde wohl den Weg in die Alm hinunter selber finden können? Du darfst mir nur sagen, in welcher Richtung ich gehen soll.“

„Ja, das is wahr; da haben Sie Recht,“ entgegnete Ambros mit einem lauernden Blicke, der das Gegentheil von dem enthielt, was seine Worte sagten. „Der Weg ist auch gar net schwer zu finden. Wenn Sie dort hinter der Steinklippen, wo der Bock für’kommen ist, in den Wald hinein gehen, kommen S’ bald auf einen Prügelweg. Dem gehen S’ nach, bis Sie an einen Bildstock kommen, der steht mitten im Wald auf einer Blößen unter einer großen Buchen. Von dort geht ein Straßl links; dem gehen S’ nach: dort laßt Ihnen nimmer aus, bis Sie auf die Blümelalm kommen.“

Der junge Mann erwiderte nichts; er nickte nur, nahm, wie zuvor, mit seinem Skizzenbuche auf dem Felsenrande Platz und schickte sich an, weiter zu zeichnen. Ambros hatte bald die Gemse auf den Rücken geladen, schielte aber während des Bückens immer nach seinem Gefährten hinüber.

„Ich will Ihnen anschreien, wenn i komm’,“ sagte er.

„Thu’ das!“ antwortete Günther. „Anschreien oder lieber noch ansingen! Ich höre das gar so gerne, und Du könntest auch beim Gehen etwas singen. Es klingt gar so gut, zumal aus der Entfernung.“

Ambros lachte listig in sich hinein und schritt ohne Erwiderung hinweg. Bald war er in dem Felseneinschnitt verschwunden, und bald hallte seine Stimme von unten immer ferner und ferner herauf. Er sang:

„Senderin, Senderin,
Denkst no an mi’?
Laß Dir nix plauschen für!
Bal’ i nit ’s Leb’n verlier,
Senderin, Senderin,
Kimm’ i zu Dir.“

und wieder:

„Deandl, mei’ Deandl, sag’:
Hast frischen Mueth?
Bal’s D’ mir an Andern magst
Und mi nit z’ersten fragst,
Deandl, mei’ Deandel, z’nach
Geht’s Dir nit guet.“

Eine geraume Zeit saß Günther völlig ruhig, anscheinend nur mit seiner Zeichnung beschäftigt, doch horchte er aufmerksam, wenn es auch nicht den Worten galt, die ihm doch nicht völlig verständlich klangen. Auch das Singen selbst war es nicht, was ihn anzog, wohl aber dessen immer schwächeres Verhallen, weil es bewies, daß der Singende sich immer weiter und weiter entfernte. Jetzt war der Gesang nur noch ganz schwach zu hören; jetzt verstummte er völlig, Ambros mußte also im Walde am Fuße der Wand angekommen sein. Gemächlich klappte Günther sein Zeichenbuch wieder zu und erhob sich, und nicht die mindeste Beschwerde verrieth etwas von den Schmerzen und dem Ungemach am Fuße, worüber er erst kurz vorher geklagt hatte. Rasch und gelenkig warf er Rücksack und Büchse über die Schulter, trat an den Rand der Schneide vor und blickte über das Gestein in die Matte hinunter, aus welcher ihm die Blümelalm zuwinkte.

„Ich wette meinen Kopf,“ sagte er für sich hin, „der Bursche hat etwas von meinem Vorhaben gemerkt und hat mir ganz gewiß den falschen Weg gesagt. Wenn ich ihm folge, mache ich sicher einen Umweg von ein paar Stunden … Aber sagte er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_611.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)