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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Als der österreichische General dem Baron Bay, dem Vorstande der Protestanten-Synode, bedeutete, er würde mit Bajonneten und Kanonen das Abhalten der Sitzung verhindern, und einer der Synodalassessoren, Gedeon von Nagy, sich dahin äußerte, man müsse der rohen Gewalt weichen, sagte Bay: „Wer feig genug ist, sein Leben höher anzuschlagen, als seine Ehre und seinen Glauben, der mag zurückbleiben, ich werde gehen!“ Und Alle folgten ihm.

„Woher diese Energie nach einer zwölfjährigen Knechtung und Unterdrückung?“ rief Kossuth aus.

„Die Ungarn haben, wie man in Wien zu sagen pflegt, den Oesterreichern das neue Jahr abgewonnen und halten sich an den Ausspruch Börne’s: ‚Das Geheimniß jeder Macht besteht in dem Bewußtsein, daß Andere noch feiger sind als wir,‘“ sagte ich.

„Sie mögen Recht haben,“ entgegnete Kossuth, „und jetzt wäre es sehr angezeigt, wenn ich Jemanden in Ungarn hätte, der mir über Alles Bericht erstattete. Sie wären der Mann dazu. In Wien haben Sie mir gute Dienste geleistet; ich erinnere Sie an Ihr mir zu Parndorf geleistetes Versprechen, als Sie mich baten, Sie überallhin zu senden, wo es Gefahr giebt. Doch bin ich nicht reich, ich kann Ihnen wenig geben.“

„Glauben Sie, daß es in Ungarn losgehen wird?“

„Das Silberagio steht zu einhundertsiebenundfünfzig Gulden fünfundsiebenzig Kreuzer.“

„Und die Börsenleute haben eine gute Witterung?“

„Die sicherste.“

„Wohlan, ich werde nach Ungarn reisen; ich habe mir etwas zusammengespart, ich kann die Reise wagen, ohne Ihre Börse in Anspruch zu nehmen.“

„Ich gebe Ihnen weder mündliche noch schriftliche Instructionen. Schicke den Verständigen und sage ihm wenig.“

Ich schrieb ihm einige Briefe über die Stimmung und die derzeitig leitenden Persönlichkeiten in Ungarn zuerst nach London, später aber, als er nach dem Banknotenproceß England verließ und sich in Italien ansiedelte, dorthin. Er beantwortete meine Briefe nicht direct, doch die Proclamationen, welche er erließ, zeigen, daß er sie würdigte. In der ersten Proclamation, die er im Jahre 1861 nach Ungarn entsendete, sagte er es gerade heraus: „daß Ungarn vom Auslande nichts zu erwarten und nur zwischen zwei Alternativen zu wählen habe, um seine ehemalige Verfassung zurück zu erlangen, zwischen einer Revolution und einer Aussöhnung mit der Dynastie, doch nur unter der Bedingung der Wiedereinführung der 1848er Gesetze ohne eine Revision derselben.“

Wie sehr auch jetzt noch, trotz der überwiegenden Majorität der Rechten am Reichstage, Kossuth im Lande selbst verehrt wird, dafür spricht die Thatsache, daß er in mehreren Wahlbezirken Ungarns zum Vertreter gewählt wurde.

Augenblicklich lebt Kossuth mit seinen beiden Söhnen in Turin, nachdem ihm der Tod seine Gattin und seine Tochter Vilma genommen hat. Beide ruhen im Friedhofe von San Benigno zu Genua.

Ob Kossuth noch eine Zukunft hat, ob er berufen ist, wie ehemals Rienzi, zum zweiten Male eine hervorragende Rolle in der Weltgeschichte zu spielen, darüber sind die Meinungen getheilt. Da das Land selbst zwei gänzlich von einander geschiedene Parteien bildet, so daß man füglich behaupten kann, es gebe zwei Ungarn, und zwar das Kossuth-Ungarn, welches die übergroße Mehrzahl der niederen Stände, das ganze Landvolk, den Landadel und die Linke am Reichstage, deren Führer Ladislaus Böszörményi, der Redacteur des „Magyar Ujság“, ist, und das Deák-Ungarn, welches die ungarische Regierung, die Beamten der Comitate und die Rechte am Reichstage für sich hat: so muß eben die Zukunft es zeigen, welche von beiden Parteimächten die überwiegende ist, oder ob Ereignisse eintreten, die stärker sind, als beide.




Land und Leute.
Nr. 28. Eine Bergpredigt in Franken.


Je landschaftlich interessanter ein Terrain, desto reicher gestaltet sich das Bild, welches sich dem Auge darbietet; da nun aber das Auge nicht in todter Weise das Gebotene aufnimmt, sondern durch dieses Organ ein gemüthlicher und seelischer Proceß vermittelt wird, so ist es nur natürlich, wenn der Gebirgsbauer ein reicheres Gemüthsleben besitzt, als sein Nachbar auf der Ebene, während ihn immerhin die auf das Praktische gerichtete und zugleich mühsame Thätigkeit genügend vor romantischer Sentimentalität bewahrt. Der fränkische Jura insbesondere, jenes zwischen der Altmühl und dem Maine, etwa von Eichstädt im Süden bis gegen Baireuth im Norden streichende Kalkgebirge, mit seiner mannigfaltigen Scenerie, den zerklüfteten Felsen, den wechselnden Waldbeständen und durchschnitten von lieblichen Thälern, giebt dem Gemüth mannigfache Anregungen, die sich auch, dem Gesagten entsprechend, in dem äußeren Leben der Bewohner farbiger widerspiegeln, als dies in der Ebene der Fall ist, und hin und wieder eine Blüthe treiben, welche uns durch ihre Eigenartigkeit überrascht.

Solche Blüthen sind die vielen Bergfeste, Bergkirchweihen, Bergpredigten, welche sich über das ganze Gebirge vom Hessel- bis zum Staffelberge, in katholischen wie in protestantischen Gegenden, verbreiten und auch an Höhen haften, auf welchen die Capelle, die einst den Anlaß dazugegeben, längst zerstört oder in Trümmer zerfallen ist. Im protestantischen, ehemals Nürnberger Lande der Hersbruck-Altorfer Jurabucht sind es besonders das Arzloher Bergfest auf der Hubirg, wo der Geistliche von Pommelsbrunn in den Ruinen einer Capelle Predigt hält, und vor Allem die sogenannte Keilberger Kirchweih auf einer Höhe zwischen Altorf und Hersbruck, welche das schöne Thal von Henfenfeld bis Offenhausen abschließt. Hier ist, obschon von der Capelle selbst, die im sechszehnten Jahrhundert abbrannte, nur noch der Thurm stehen blieb, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts regelmäßig am Sonntag nach Kilian Gottesdienst gehalten worden. Da nun aber bei jeder Capelle ein Wirthshaus stehen muß und nach löblich deutschem Brauch kein Ding von Bedacht ohne einen Trunk vorgenommen werden kann, so fließt neben der Quelle geistlicher Erquickung die Quelle braunen Gerstensaftes, und an ihrem Ufer wachsen allerhand liebliche Früchte, die wir uns jetzt näher besehen wollen.

Rüsten wir uns denn zur Bergfahrt, um, von Nürnberg ausgehend, an dem ländlichen Feste Theil zu nehmen. Der wolkenlose Himmel verspricht einen herrlichen Tag, und so eilen wir mit dem ersten Frühzug der Ostbahn dem lieblichen Ottensoos zu, das sich im Glanz der Morgensonne erfrischend vom Hintergrund duftiger Berge abhebt. Durch Wälder, funkelnd im Lichte der Morgensonne, über Hutungen, bestanden mit mächtigen Eichen, führt uns der Fußpfad einen mäßigen Rücken hinunter nach Engelthal, und kurz vor diesem Orte auf die gute Districtsstraße, der zur Seite zwischen Erlengebüsch ein munterer Forellenbach rauscht. Bewaldete Berge ziehen sich auf beiden Seilen hin, und malerisch breitet sich quer dazwischen hinein das genannte Engelthal, vor der Reformation ein reiches Nonnenkloster. Thore vermitteln den Ein- und Austritt, und unter der Linde vor dem Wirthshause, umspielt von Kindern und von Hühnern umgackert, sitzt es sich nach anstrengendem Marsche gar behaglich. Doch wir wollen für jetzt ohne Aufenthalt dem Ziele unserer Wanderung zustreben. Haben sich uns schon vorher Landleute zugesellt, welche ein Gleiches beabsichtigen, so mehrt sich nun deren Zahl. Von den Bergen herab und über die Wiesen schimmern die Hemdärmel der Männer und Frauen, welche zu ihrer Erleichterung Rock oder Kittel an Stöcken und über den Arm tragen. Manch’ Fuhrwerk rollt staubaufwirbelnd und bringt den stolzen Bauer oder den Bürger des Städtchens, denn es ist heute Alles auf den Beinen. Indem wir uns so dem Dorfe Offenhausen nähern, läuten die Glocken der Ortskirche, und ein Mann, welcher sich uns beigesellt, bemerkt erläuternd, daß dies das erste Zeichen für den bevorstehenden Berggottesdienst sei. Mit möglichster Beredsamkeit schildert er die Freuden des Keilberges und schließt seine Lobrede mit Aeußerungen des Entzückens über die dort herrschende Ordnung.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_587.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)