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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

zum Thee, den wir in einem Häfele – Kochtopf – brauten, frische Butter gab es auch, Brod und kaltes Fleisch hatten wir mitgebracht, das Souper ließ also nichts zu wünschen übrig, nur die schwarzen Wolken, welche von Böckstein heraufzogen, waren störend. Bald auch rollte und donnerte es um uns herum, der Regen fiel in Strömen, und während der Rauch sich mühsam einen Ausweg aus unserem Salon am Heerde suchte, fanden die Regentropfen leichten Eingang durch die morschen Schindeln der Hütte.

In sehr gedrückter Stimmung und mit wenig Hoffnung für den nächsten Morgen, suchten wir unser Heulager auf. Zu meiner großen Freude aber sah ich, gegen zwei Uhr erwachend, Sternenlicht durch die Ritzen der Stallthür schimmern. Die Morgentoilette war bald gemacht, ich trat in’s Freie, und über mir wölbte sich ein reiner, heller Himmel, in dessen dunklem Blau die Sterne so lustig funkelten, als ob gestern Abend gar kein Gewitter gewesen wäre.

Schon rauchte der Heerd der Sennerin zum Kaffeekochen; ich weckte die Anderen. Dunkle Gestalten kamen den Hang herauf, es waren die Führer und Träger aus der unteren Hütte, und kurz vor drei Uhr, noch im Dunkeln, setzte sich unsere kleine Karawane in Bewegung. Ich hatte natürlich die bewegliche Marke am Aneroïd correct gestellt; das Thermometer zeigte + fünf Grad Réaumur.

Als wir über spärlich berastes Gestein am nördlichen Hange des Gebirgs hinaufstiegen, graute der Morgen und die ersten Strahlen der Sonne beleuchteten die Spitzen der Berge. Etwa eintausend einhundert Fuß über der Hütte, also bei sechstausend fünfhundert und fünfzehn Fuß Meereshöhe zeigten sich noch einzelne Pflanzen; wenig höher verlor sich alle Vegetation, und es begann ein Klettern über loses Geröll von Schiefern, die im wildesten Durcheinander, groß und klein, locker geschichtet die ganze Fläche des Hanges bedeckten. Wenn man nicht sorgfältig festen Fnß faßt, geräth das Gestein in Bewegung und poltert in Sätzen den Hang hinunter. Rippenartige Erhöhungen, wie alte Moränen, lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß der Hang vergletschert gewesen ist; die Schiefer sind von grünlicher und brauner Farbe mit weißen Quarzadern, Glimmer und kleinen Bergkrystallen durchsprengt, nach denen die Führer emsig suchten.

Drei Stunden waren wir unterwegs, als wir das erste Schneefeld erreichten – das Aneroïd zeigte Differenz von der Hütte zweitausend siebenhundert fünfunddreißig Fuß, wir waren also, mit Hinzurechnung der Hüttenhöhe von fünftausend vierhundert und fünfzehn Fuß, bereits achttausend einhundert und fünfzig Fuß über der Meeresfläche und marschirten, nachdem wir die Steigeisen angelegt hatten, auf dem noch harten Schnee wie auf Parquet, im Vergleich zu dem mühsamen Klettern im Geröll, bequem aufwärts.

Mit geringer Unterbrechung konnten wir bis zur Kärnthner Schneide Schneefelder benutzen, die bei ihrer wenig steilen Lage es uns möglich machten, in etwa einer Stunde diesen Rücken zu erreichen. Von dem Gletscher, den wir nach der Angabe früherer Besteiger passiren sollten, war nichts mehr zu finden. Auf dem festen Firn des Rückens machten wir Rast, lagerten uns bei einer wundervollen Temperatur von + vierzehn Grad Réaumur und erleichterten die Träger um einige Flaschen Rothwein und sonstigen Mundvorrath. Das Aneroïd zeigte von der Hütte eine Höhendifferenz von dreitausendachthundertfünfundsechszig Fuß; mithin einschließlich der Hüttenhöhe von fünftausendvierhundertfünfzehn Fuß lagerten wir neuntausendzweihundertachtzig Fuß über der Meeresfläche.

Schon während des häufigen Rastens auf dem Hange waren uns im Norden und Westen die Pinzgauer und Kärnthner Hochgebirge aufgetaucht, das Wießbachhorn, der Venediger, der Großglockner, hohe Aar und Schareck. Jetzt, nachdem wir auf der niedrigsten Einsattelung den Gebirgskamm erreicht hatten, der sich vom Mallnitzer Tauern nach dem Ankogl hinzieht, bildete dessen Felsengrat einen herrlichen Vordergrund dieser Umsicht, und auf der andern Seite lag das grüne Mallnitzer Thal unter uns, auf das wir über die Firnfelder und Gletscher des südlichen Hanges hinabsahen. Im Osten stand die hohe Felsenpyramide des Ankogl vor uns, die wir auf dem schmalen Grate, welcher die Gletscher des Berges trennt, erreichen wollten.

Nur schwindelfreie Steiger können diesen Grat, der höchstens drei Fuß breit ist, gefahrlos passiren, denn ist auch auf der einen Seite, nach dem Anlaufthale zu, die steile Wand des Grates nur fünfzig bis achtzig Fuß, so gähnt nach dem Mallnitzerthale zu ein Abgrund von Tausenden.

Wir brauchten zwanzig Minuten, um diesen gefährlichen Rücken vorsichtig, zum Theil mit Benutzung des Seiles zu passiren, was besonders deshalb räthlich war, weil die Schieferplatten hier zwar größer als auf dem Hange sind, aber doch auch nicht fest liegen, leicht in’s Rutschen kommen und dann in lustigen Sätzen in die Tiefe stürzen. Näher dem Ankogl reicht der Firn seines Gletschers auf den Gebirgsrücken herauf, und da wird er dann auch breiter und leicht zu passiren. Am Fuße des eigentlichen Kogls selbst, den wir eintausend Fuß schätzten, beginnt die Kletterpartie nach dem Gipfel; Führer Rick ging recognoscirend voran. Man glaubt kaum, daß es möglich sei, die durcheinander geworfenen Felsblöcke, welche sich steil aufthürmen, zu überwinden, und dennoch findet der Fuß von Stein zu Stein Raum sich festzustemmen. Immer höher und höher klimmend, standen wir endlich glücklich auf dem Gipfel des Riesen.

Es war halb elf Uhr geworden, wir hatten also von der Hütte sechs und eine halbe Stunde gebraucht, allerdings mit häufiger Rast und Umschau. – Der Gipfel ist ein von West nach Osten gekrümmter schmaler Rücken, etwa vierzig Fuß lang und abwechselnd zwei bis sechs Fuß breit, nach der Tiefe steil abfallend. Man erkennt an ihm die zersetzende Thätigkeit der Natur, denn von allen Seiten sind Abrutschungen bemerkbar; das zerklüftete Gestein bewegt sich fast bei jedem Fußtritt, und nirgends steht fester Fels zu Tage.

Von unserem Lagerplatze auf der Kärnthner Schneide gab das Aneroïd bis zum Gipfel eine Höhendifferenz von neunhundertfünfzig Fuß an – hierzu Differenz von der Hütte dreitausendachthundertfünfundsechszig Fuß und die Radeckhüttenhöhe fünftausendvierhundertfünfzehn Fuß macht ein Total von zehntausendzweihundertdreißig Fuß über der Meeresfläche. Die mir bekannten Angaben über die Höhe des Ankogl schwanken zwischen zehntausendzweihundertfünfzehn und zehntausendzweihundertneunzig Fuß, die Messung kann daher als hinreichend genau betrachtet werden. Sie war allerdings dadurch in hohem Grade begünstigt, daß das Wetter von früh drei Uhr, wo wir die Radeckhütten verließen, gleich schön und der Himmel wolkenfrei geblieben war. Das Thermometer zeigte vierzehn Grad Réaumur im Schatten und sechsundzwanzig in der Sonne; es regte sich kein Lüftchen und eine so milde sommerliche Temperatur herrschte, wie man sie selten in einer solchen Höhe findet.

Die Umschau war wunderbar schön und großartig; wie eine Landkarte lagen die Gebirge und Thäler zu unseren Füßen. Viele der großen Herren, die, vom Thale gesehen, uns als höchste Gipfel erschienen wären, sind niedrige Hügel geworden, auf die wir hinabsehen wie auf ein Basrelief, welches in einer Schaubude gezeigt wird, nur daß der Ausrufer mit dem Bambusstöckchen fehlt, um auf die einzelnen Gipfel zu zeigen und sie zu nennen; aber die Stubayer und Oetzschthaler Firnen in Tirol, deren Gipfel von ein- bis dreitausend Fuß höher sind als der Ankogl, auf dem wir stehen, treten aus dem Meere von Bergen, welches nach Tirol zu vor uns liegt, wie zwei hohe Felseninseln mit ihren schneebedeckten Häuptern hervor, Alles überragend, ein eigenthümlicher großartiger Anblick. – Im Norden liegen die Berge des Salzkammergutes, der Ewige Schnee, das Tännengebirge, dann die Pinzgauer, denen sich die Berge von Kärnthen und die des Naßfeldes anschließen.

Ein kleines Stück der grünen Gastein mit dem Markte Hofgastein und seinem Kirchthurme ist zwischen dem Rathhausberge und Gamskahrkogl sichtbar; dasselbe Stück, von wo aus man bei der Fahrt nach dem Wildbade den Ankogl sieht. In seiner ganzen Länge aber liegt das schöne Anlaufthal vor uns, winzig klein unter uns die Radeckhütten, wo wir übernachtet haben. Nach Westen hin zieht sich der Gebirgsrücken, aus dem der Ankogl aufsteigt, bis zum Mallnitzer Tauern; an dessen Fuße liegt das Städtchen Mallnitz im freundlichen Thale. Im Süden uns dicht gegenüber erhebt sich majestätisch der schneebedeckte hohe Saulek, seine Gletscher begegnen sich im Thalkessel, den beide Berge bilden, mit dem des Ankogl, dem Elendskahr, der am südlichen Hange in’s Thal reicht und dem sich nach Osten hin der Tischlerkahr von der Höllenthorspitz im Lötschachthal anschließt.

Die Führer hatten Schieferplatten zu Tisch und Bänken zusammen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_583.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)