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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

gingst Du auf ihn zu, fragtest ihn nach Deiner Frau und logst ihm vor, sie erwarte Dich in der Schlucht. Dem Regierungsrath Amberg war Dein Benehmen schon sofort aufgefallen, doch von der Lüge wußte er nichts. Er wird der zweite Zeuge gegen Dich sein.“

Der Präsident war nachdenklich geworden.

„Dritter Zeuge gegen Dich ist die Majorin von Hake. Sie war unmittelbare Augenzeugin des Mordes selbst. Deine Frau hatte sie gebeten, auch am Dienstag Abend mit ihr in die Schlucht zu gehen; sie hatte jedoch nicht gewollt. Nachher überfiel Frau von Hake eine Angst; sie ging Deiner Frau nach und – kam zu spät, freilich nur um den Mord zu hindern. Sie sah Dich mit Deiner Frau oben auf dem Felsen. Du sprachst mit zornig unterdrückter Stimme zu ihr. Dann riefst Du: ‚Elende!‘ und ergriffst die Unglückliche. Ein Angstruf entfuhr ihr; von Deinem Arm hinuntergeworfen, stürzte sie von Zacke zu Zacke an dem Felsen hernieder; unten war sie leblos. Frau von Hake entfloh.“

Der Präsident war leichenblaß geworden; die Kniee schienen ihm zusammenbrechen zu wollen.

„Willst Du Dich nicht setzen?“ fragte der buckelige Advocat.

„Satan!“ knirschte der Präsident.

„Kannst Du damit Frau von Hake zur Lügnerin machen?“ fragte der Advocat. Dann fuhr er fort: „Ich wollte Dein Geständniß, ich habe es schon. Dieses erdfahle Gesicht, der kalte Schweiß auf Deiner Stirn, die schlotternden Kniee – was will ich mehr? Sie werden aber auch Deinen Richtern Beweis sein, wenn ich sie ihnen bekunde. Adieu, ich gehe zum Gerichte.“

„Mensch, Unmensch!“ rief der Präsident.

„Sollen die Worte mich zurückhalten?“

„Bleib’!“

„Was hättest Du mir zu sagen?“

„Du hast mich erschrecken wollen. Du hast gelogen.“

„Gehen wir zur Frau von Hake.“

„Sie hat sich geirrt.“

„Worin?“

„Sie muß sich geirrt haben.“

„Darin, daß sie Dich oben bei Deiner Frau sah, daß sie das Wort ‚Elende‘ hörte, daß sie dann sah, wie Du die Frau ergriffst, hinunterstürztest? Höre, Freund Römer, Du hast Deine Sache schlecht eingerichtet. Du hast nun einmal gesagt, Du seiest nur unten, gar nicht oben gewesen. Du hattest nicht daran gedacht, daß Gott Dir einen Zeugen geschickt haben könne. Hättest Du daran gedacht, so könntest Du sagen: sie wollte sich von der Höhe stürzen, ich wollte sie zurückhalten, wir rangen mit einander; sie riß sich von mir los, so geschah das Unglück. Die Frau von Hake konnte in der Dunkelheit nicht genau sehen; sie konnte Dir nicht widersprechen. Es war kein Beweis gegen Dich da. Das Alles ist jetzt vorbei. Du hast aller Welt gesagt, Du seiest gar nicht oben, nur unten gewesen. Es war eine Dummheit von Dir. Sie ruinirt Dich, bringt Dich auf das Schaffot. Die Gerichte müssen Dich verurtheilen; die Gesetze fordern es unabweislich. Ich bin Jurist, Vertheidiger; wenn ich Dich zu vertheidigen hätte, ich gäbe Dich verloren. Du kennst selbst die Gesetze, Du kannst Dir keine Hoffnung machen, und ich sehe es Deinem verstörten Gesichte an, daß Du Dir keine machst. An Begnadigung wäre noch zu denken, aber einen Consistorialpräsidenten, der wegen Mordes, gar wegen Gattenmordes verurtheilt ist, zu begnadigen, das geht nicht. Wärest Du blos von Adel, oder mit einem andern Amte, es ginge an; der Adel hat einmal das Privilegium für solche Fälle; allein Chef einer so hohen geistlichen Behörde – das ist zu Deiner Dummheit das Unglück. Gerade die hohe Geistlichkeit ist ja immer gegen die Begnadigungen der Regenten, seit langen Zeiten schon. Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut muß wieder vergossen werden, halten sie den Königen vor, in echt mildem, christlichem Sinne, nämlich mit dem Zusatze: das unschuldige, wie das schuldige Blut würde sonst auf Euere Majestät und auf Euerer Majestät Kinder und Kindeskinder kommen! Hast Du mir noch etwas zu sagen, Freund Römer?“

Der Präsident hatte schon lange während der boshaften, wie freilich auch überzeugenden Worte des buckeligen Advocaten sich setzen müssen, und er saß mit einem nicht blos verstörten, sondern mit einem völlig vernichteten Gesichte da. Jedes der Worte, die er anhören mußte, war für ihn ein Dolchstoß der Wahrheit und der Verurtheilung geworden.

„Bleibe noch,“ stöhnte er.

Auf den boshaften Lippen des Advocaten schwebte die höhnische Frage: „Willst Du mir Dein Geständniß ablegen?“ Aber er unterdrückte sie. „Man muß dem Feinde manchmal goldene Brücken bauen,“ sagte er für sich.

„Ich werde Dich nicht verrathen,“ sprach er dann laut, „Du kennst mich. Auch Frau von Hake wird es nicht; ich stehe für sie ein. Nur wir Zwei sind die Zeugen gegen Dich, Herr Amberg für sich allein kommt nicht in Betracht. Aber Dein Geständniß muß ich nun einmal haben. Du kennst den Teufel auch darin.“

„Satan!“ fluchte der Präsident, aber er murmelte es leise; dann nahm er sich zusammen, in seiner Ohnmacht. „Nun ja! Du hast es.“

„Was habe ich?“ fragte listig der Buckelige.

„Mein Geständniß.“

„Du bist also der Mörder Deiner Frau?“

„Ja!“

Das Ja war kaum hörbar. Der buckelige Advocat hatte es gehört. Er war damit befriedigt.

„Adieu!“ sagte er.

„Du giebst mir Dein Ehrenwort?“ rief ihm der Präsident noch nach.

„Zum Teufel, ja!“ rief der Buckelige zurück. Und lachend verließ er das Zimmer. „Der Narr!“ lachte er noch draußen für sich dann kehrte er zu dem Geheimenrath von Wangen zurück.

„Herr Geheimerath, ich komme von Ihrem Schwiegersohn. Er ist unschuldig.“

„Ihr Blick sagt das Gegentheil,“ versetzte der Geheimerath.

„Herr Geheimerath, mein Blick bricht nicht mein Ehrenwort.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Was ich nicht sagen darf. Genug, Herr Geheimerath, Ihr großväterliches Herz darf sich beruhigen. Ihre Enkel können den Vater ansehen, ohne an Mord und Mörder zu denken. In Ihrem Hause darf man von Gattenmord sprechen, ohne das Sprüchwort in Gefahr zu bringen, daß man im Hause des Gehenkten nicht vom Stricke reden darf. Ihr Herr Schwiegersohn kann Minister werden. Er wird es werden, denn er ist von dem Holze, aus dem manchmal Minister geschnitten werden, wenigstens geschnitten werden können. Und nun noch Eins, Herr Geheimerath, Ihre Augen sprechen eine Frage aus, die Sie schon einmal an mich richteten: wozu das Alles, das Verbrechen, das Andere? Sie wissen wohl nicht, daß ich auf der Universität schon von meinen Freunden den Beinamen ‚der Teufel‘ erhielt. Der Teufel aber säet nach der Bibel Unkraut unter die Menschen, und nach der Volkssage hilft er zuweilen dem lieben Gott, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Ich empfehle mich Ihnen, Herr Geheimerath!“

J. D. H. Temme.




Blätter und Blüthen.


Auswanderung nach Araucanien. Nachdem meine letzte „Warnung für Auswanderer“ in Betreff Araucaniens in der Gartenlaube erschienen, kam mir der Brief eines Deutschen zu Händen, der selber lange Jahre in Chile gelebt hat und sich nicht allein mit der Warnung vollkommen einverstanden erklärt, sondern mir auch die neuesten Berichte über Araucanien, sowie zwei neuere chilenische Zeitungen, den Mercurio vom Mai und Juni dieses Jahres, sandte. Nach diesen stellt sich die Warnung nicht allem als vollständig begründet heraus, sondern die Gefahr für die Auswanderer tritt noch viel deutlicher und entschiedener hervor.

Chile befindet sieh danach keineswegs im Besitz des ganzen Araucaniens, sondern hat nur in letzter Zeit wieder neue Einfälle in das indianische Gebiet der Araucaner gemacht, einen Theil im Norden erobert und zerstreute Militärposten darin angelegt, die aber einer vorgeschobenen Ansiedlung nie im Leben Schutz gegen die kriegerischen Indianer bieten könnten.

Dem veröffentlichten officiellen Decret nach hat Herr Alfred L. Poppe in Valparaiso, als Repräsentant des Handlungshauses J. C. Godefroy und Sohn in Hamburg, den schon angezeigten Contract abgeschlossen, für die Provinz Nacimiento in Araucanien eine bestimmte Anzahl von Familien nach Chile zu schaffen, die im Hafen von Lota ausgeschifft werden sollen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_559.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2023)