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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

der hochherzigen That ihre Theilnahme versagen, aber vereinzelt regte sich auch der Spott. Man zuckte die Achseln über eine Abenteuerlichkeit, die wohl den Zeiten eines Columbus anstand, die man auch heute allenfalls den Amerikanern verzeihen könnte, aber nicht vernünftigen, besonnenen Deutschen. Man spottete über das Ziel, das man hinreichend lächerlich zu machen dachte, wenn man es als den Pol, einen mathematischen Punkt bezeichnete. Man lachte über die Kärglichkeit der Mittel und vergaß, daß es nur die Schuld der deutschen Nation ist, wenn Größeres nicht zu Stande kam. Wir wollen diesen Spöttern verzeihen, die gewiß nichts gegen ein solches Unternehmen hätten, wenn noch eine Aussicht vorhanden wäre, über den Pol hin einen Seeweg nach Ostindien zu finden oder Gold und Handelswaaren zu erbeuten, die aber den Werth wissenschaftlicher Eroberungen nicht zu schätzen wissen. Deutschland wird einst stolz sein auf diese erste nationale That zur See, mit der es seinen lange vergessenen Beruf als seefahrende Nation wieder aufnimmt und in seiner neugewonnenen Größe in eine Jahrhunderte lange ruhmvolle Geschichte eintritt, welche England vor Allem groß gemacht hat.

Ein Unternehmen wie dieses sieht sich recht hübsch und wohl gar romantisch an, wenn es einmal in’s Werk gesetzt ist, wenn man das Schiff in See, den reisenden Forscher in seiner Wildniß weiß. Man sieht ihm dann die Mühe nicht an, die es kostete, die Schwierigkeiten, welche zu überwinden waren, um es möglich zu machen. Aber die Vorgeschichte ist oft nicht minder interessant, als das Unternehmen selbst, und es gehört häufig ein größerer Muth und eine heldenmüthigere Ausdauer dazu, die geistigen Kämpfe zu bestehen, welche sich den Anfängen des Unternehmens entgegenstellen, als nachher in der Ausführung die physischen Kämpfe mit den wilden Schrecknissen der Natur erfordern. Auch die deutsche Nordpolexpedition hat eine solche Vorgeschichte, und der Ruhm des Mannes, der sie in’s Werk setzte, ist nicht minder groß, als der den muthigen Führern dieser Expedition winkt.

Noch ist wohl Jedem die fieberhafte Aufregung in Erinnerung, in welcher ein ganzes Jahrzehnt hindurch die Gebildeten aller Nationen durch das furchtbare Schicksal der Franklin’schen Expedition und die Anstrengungen zu ihrer Rettung erhalten wurden. Eine der hoffnungsreichsten Expeditionen, von den bewährtesten Seehelden geführt, mit seltener Umsicht und Freigebigkeit ausgestattet, war durch eine entsetzliche Katastrophe vernichtet, hundertachtunddreißig tapfere Briten waren den arktischen Naturmächten zum Opfer gefallen. Es konnte nicht fehlen, daß eine solche Erfahrung vor weiteren Unternehmungen dieser Art zurückschreckte, daß man fast allgemein das große Buch arktischer Forschungen auf immer für geschlossen hielt. Aber schon damals, als M’Clintock von dem Schauplatz jener entsetzlichen Katastrophe zurückkehrte und in ihren Reliquien die unzweideutigsten Beweise des Untergangs der Franklin’schen Expedition vorlegte, schon damals sprach bei Gelegenheit eines Bankets, welches die zahlreichen Theilnehmer der Franklin-Expeditionen zu Ehren dieser letzten am 5. October 1859 veranstalteten, ein Deutscher, Berthold Seemann, der einzige Deutsche, der an jenen kühnen Rettungsfahrten Theil genommen, in prophetischen Worten die feste Zuversicht aus, daß das arktische Forschungswerk nicht aufgegeben, sondern zu glorreichem Ende geführt werden würde. Freilich ahnte er nicht, daß es gerade die deutsche Nation sein sollte, die das große Forschungswerk wieder aufnahm.

Wie groß die Entmuthigung und Einschüchterung in Folge jenes traurigen Ereignisses war, das zeigte sich am besten in Amerika, dessen, abenteuerlichen Charakter man so gern hervorhebt, das in der That in jener Zeit der Franklin Expeditionen die abenteuerlichsten Fahrten geliefert hatte und dem überdies Dr. Kane durch seine erfolgreiche Fahrt bis zum einundachtzigsten Breitengrade und seinen vielverheißenden Bericht von einem offenen Meere im Norden des Smithsundes die weitere Verfolgung dieses Weges gleichsam als Erbschaft hinterlassen hatte. Als Dr. Hayes, der Begleiter Kane’s, diese Erbschaft antreten wollte, fand er nur taube Ohren. Er selbst erzählt, welche jahrelangen Anstrengungen es ihn kostete, die öffentliche Meinung für sein Werk zu gewinnen, wie er von Ort zu Ort reiste und durch das ganze Land Curse populärer Vorlesungen einrichtete, wie er die Presse und die wissenschaftlichen Vereine zu gewinnen suchte, wie er selbst das Ausland in Anspruch nahm, um das Inland von der Bedeutung seines Unternehmens zu überzeugen. Schließlich sah er sich doch genöthigt, sein Unternehmen auf das Aeußerste zu beschränken, um es nur überhaupt ausführen zu können, und mit einem kleinen Segelfahrzeug von einhundert dreiunddreißig Tonnen, mit nur vierzehn Gefährten und kaum genügender Ausrüstung sein kühnes Wagniß in’s Werk zu setzen.

Die geringen Erfolge dieser Expedition sind bekannt. Wenn auch ihre Forschungen für unsere Kenntniß der arktischen Natur von außerordentlicher Bedeutung geworden sind, so gelang es ihr doch nur, wenige Meilen über das schon von Kane erreichte Ziel vorzudringen. Man kann sich darum auch nicht wundern, daß Sherard Osborn, als er im Jahre 1865 England zu einer neuen Expedition durch den Smithsund als die am sichersten zum Pole führende Gasse aufforderte, keinen rechten Anklang bei seinen Landsleuten fand und daß die Ausführung seines Planes trotz der warmen Empfehlung von Seiten der ersten wissenschaftlichen Körperschaften Englands von der Admiralität entschieden abgelehnt wurde. Um so mehr muß man erstaunen, daß ein deutscher Geograph es wagte, nicht nur diesem Osborn’schen Plane einen anderen nicht minder kühnen entgegenzustellen, sondern auch, als sich für die Ausführung desselben in England wenig Aussicht zeigte, seine Verwirklichung von der deutschen Nation zu verlangen. Dieser deutsche Geograph war der bekannte Dr. August Petermann in Gotha, dem die Stellung, die er in der geographischen Wissenschaft einnimmt, und der gute Klang, zu welchem er dem deutschen Namen auch auf diesem Felde verhelfen hatte, ein Recht dazu gab.

Mit der arktischen Frage war Petermann schon durch die berühmten Franklin Expeditionen in nähere Berührung gekommen. Für diese hatte er in London in anregendster Weise gewirkt und zur Wahl der geeigneten Wege zur Rettung der Vermißten Manches beigetragen, mehr als ein Mal sogar den sinkenden Muth Englands durch seine eindringenden Mahnungen neu belebt. Seitdem hat er diese Frage nie ganz aus dem Auge verloren, vielmehr durch gründliches Studium älterer Reiseberichte und der Aussagen erfahrener Walfischfänger sich eine genaue Kenntniß der Natur, insbesondere der Strömungen und Eisverhältnisse des hohen Nordens zu verschaffen gesucht. So hatte er sich ein Recht erworben, ein entscheidendes Wort zu sprechen, als durch Osborn die arktische Forschung auf’s Neue in Anregung gebracht wurde. Es war keine Ueberhebung, wenn er die Behauptung aufstellte, daß der von Kane und Hayes gewählte Weg niemals zum Pole führen werde, daß man überhaupt keinen unglücklicheren Ausgangspunkt für ein solches Forschungsunternehmen wählen könne, als jenes Labyrinth eiserfüllter Canäle, wie sie die arktische Inselwelt im Norden des amerikanischen Continents darbietet. Nur auf zwei Wegen glaubte Petermann ein glückliches Vordringen gegen den Nordpol in Aussicht stellen zu können; der eine war das Meer im Norden der Behringsstraße, der andere der breite Eingang durch das grönländisch-spitzbergische Meer. Jener Weg ist denn auch seitdem in Frankreich durch Gustav Lambert in Vorschlag gebracht worden, und es ist Aussicht vorhanden, daß öffentliche Subscriptionen die Mittel gewähren werden, ihn zu beschreiten. Für Petermann konnte er schon deshalb nicht in Betracht kommen, da die Weite des Weges bis zum eigentlichen Ausgangspunkte des Unternehmens eine Kostenhöhe bedingt, welche zu der Opferfähigkeit des deutschen Volkes in keinem Verhältniß steht. So blieb nur der Weg durch den nördlichen atlantischen Ocean übrig, sei es längs der Ostküste Grönlands, wo schon Hudson im Jahre 1707, wie man annimmt, bis zum zweiundachtigsten Breitegrade vordrang, sei es im Norden Spitzbergens, wo Parry im Jahre 1827 in einer Breite von zweiundachtzig Grad fünfundvierzig Minuten, der höchsten bisher überhaupt erreichten Breite, sich durch den Anblick eines offenen Meeres auf seiner berühmten Schlittenreise gehemmt sah.

Dieser letztere Weg war es, den Petermann zunächst für eine deutsche Nordpolexpedition in’s Auge faßte und so lange festhielt, als er die Hoffnung hegen konnte, daß deutsche Regierungen seinen Plan zur Ausführung bringen und eiserne Schraubendampfer dabei zur Verwendung kommen würden. In der That schien es eine Zeitlang, als ob diese Hoffnung sich erfüllen sollte. Petermann war es gelungen, die preußische Regierung lebhaft für seinen Plan zu interessiren, und schon glaubte man Schiffe und Führer der beabsichtigten Expedition mit einiger Sicherheit bezeichnen zu können. Da zerstörte der Ausbruch des deutschen Krieges im Jahre 1866 diese Hoffnung. Vielleicht hatten auch die leitenden Persönlichkeiten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_540.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)