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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Im Gegentheil, Herr Geheimerath ich bin mir dessen vollkommen bewußt. Dieser Schurke, von dem ich sprach und spreche, hatte die Hand des treuen Herzens nur dadurch gewinnen können, daß er dieses Herz auf das Niederträchtigste betrog. Sie wissen es, Herr Geheimerath, wollen Sie es bestreiten?“

„Wenn ich es wüßte,“ erwiderte der Geheimerath, „warum soll ich es noch aus Ihrem Munde hören?“

„Sie werden es erfahren, wenn Sie mir ferneres Gehör schenken,“ sagte der Kleine und fuhr ohne Weiteres fort: „Die Unglückliche erfuhr, wie und von wem sie betrogen war. Ihr Herz war zerrissen, aber dieses Herz war edel und ihr Charakter war fest, eisern. Nie hat sie ihrem Manne nur ahnen lassen, daß sie seine Schurkerei kannte. Sie litt still, litt erhaben, vierzehn volle, lange Jahre. Da wurde ihr Mann vor wenigen Wochen hierher versetzt. Er fand hier einen hohen Posten, eine glänzende Stellung, sie eine vertraute Jugendfreundin wieder, die Majorin von Hake, und den Geliebten ihrer Jugend –“

„Den Lieutenant Hille?“ rief der Geheimerath.

„Ihn, Herr Geheimerath, und es ist Ihnen nicht entgangen, daß heute auf dem Kirchhofe zwei offene Gräber auf ihre Beute warteten und sie aufnahmen. Die zweite Leiche war die des Lieutenants Hille.“

Der Geheimerath mußte sich an die Lehne seines Stuhles zurücklegen.

„Ah, mein verehrter Herr Geheimerath,“ sagte der Buckelige, „es war doch besser, daß wir uns setzten.“

„Der Lieutenant Hille,“ erzählte der Buckelige ruhig weiter, „fand Ihre Frau Tochter indeß erst am vorigen Montage wieder. Ich bitte Sie, Herr Geheimerath, genau auf den Tag zu achten. Am vorigen Montage sah sie ihn zum ersten Male wieder, erfuhr sie überhaupt zuerst, daß er hier sei. Am Tage darauf, am Dienstag, fand die Arme ihren Tod. Lieutenant Hille war mein alter Freund; er war junger Officier, ich junger Referendarius, als wir uns kennen lernten. Er kam zu mir, als er nach jener Katastrophe seinen Abschied nahm, und wir trennten uns nicht wieder. Ich besitze hier, nicht weit von der Stadt, ein kleines Landhaus, das ich ihm einräumte. Er war menschenscheu geworden, er ging ungern in die Stadt. Dort hinten in der Sebastiansschlucht –“

Der Geheimerath fuhr bei dem Namen zusammen.

„Fällt das Wort Ihnen auf?“ fragte der Buckelige.

„Ich bitte, erzählen Sie weiter.“

„In der stillen, einsamen Schlucht,“ setzte der Advocat seine Mittheilungen fort, „lebte er ruhig, zufrieden. Er sah nur mich, und am Tage, am Abende, in der Stunde seines Todes die edle Geliebte, die –“

„Franziska?“ rief entsetzt der Geheimerath.

„Sie! Sein Herz hatte ihr immer seine Liebe bewahrt, auch als er noch nicht wußte, wie sie betrogen war. Daß man sie betrogen habe, hatte er geahnt. Er erhielt die Gewißheit von mir; ich hatte sie durch die Frau von Hake erfahren, die ich kenne, seitdem sie hier ist. In den Zeitungen las er dann, daß Herr von Römer hierher versetzt sei. Er sprach nichts darüber, denn er war schon krank. Seine Wunden – unter ihnen ist ein Schuß durch die Brust –, die frühen Kriegsstrapazen des fast noch knabenhaften Körpers, die späteren Seelenleiden des Mannes zehrten an seinen Körperkräften; ein schleichendes Fieber warf ihn auf das Krankenlager. Am Montag fühlte er das Herannahen seines Todes. Bis zum Abend könne er noch leben, hatte mir der Arzt gesagt. Da kam auf einmal ein wilder Gedanke über mich. Mein armer Freund mußte in den besten Jahren des Mannes ein Opfer des Todes werden, gemordet durch einen niederträchtigen Betrug. Und der Betrüger, der Mörder blieb straflos! Ich kannte das schlechte, feige Innere dieses Elenden, welcher zu jenen Menschen gehört, die zu eigentlichen, wirklichen Mördern prädestinirt sind; er durfte seinem Schicksale nicht entgehen.

‚Ich sterbe heute, ich fühle es,‘ hatte der Kranke zu mir gesagt.

‚Wir kennen,‘ erwiderte ich ihm, ,nicht den Willen des Himmels, nicht die geheimen Gesetze der Natur. Sagt Dir aber eine Stimme in Deinem Innern, daß dieser Tag Dein letzter sein werde, so bitte ich Dich, an ihm noch eine heilige Pflicht zu erfüllen. Laß Franziska von Deinen Lippen vernehmen, daß Du ihr verzeihest, daß Du ihr immer verziehen, ihr keinen Augenblick gegrollt hast.‘

Der Gedanke überraschte ihn, ergriff ihn dann.

,Sie weiß das, sie muß das wissen,‘ sagte er im ersten Augenblicke. Dann wurde er unruhig. ‚Freilich, sie hat mich nie wiedergesehen, vielleicht nicht einmal wieder etwas von mir erfahren. Aber würde sie zu mir kommen wollen? Hierher?‘

,Dafür werde ich sorgen,‘ erwiderte ich ihm.

,In welcher Weise?‘

,Laß mich machen.‘

Ich sah die helle Freude in seinem blassen, abgemagerten Gesicht glänzen und schrieb drei Zeilen an Frau von Hake. Gegen Abend kamen die beiden Damen tief verschleiert in der Sebastiansschlucht an. Ich war bei dem Kranken, der auf dem Sopha lag, sah durch das Fenster sie kommen und sagte es ihm.

,Sie wird mir die Augen zudrücken,‘ rief er. ,Welche Seligkeit des Himmels wird mir noch auf Erden!‘

Ich verließ ihn, um Franziska zu ihm eintreten zu lassen. Ich führte sie nicht zu ihm hinein. Die Beiden mußten ganz allein sein; es war ja eine heilige Stunde für sie Beide, die heiligste ihres Lebens. Da durfte kein Mensch in der Welt sie stören. Die Frau von Hake bat ich, in einem anderen Zimmer zu warten, und meinem alten Diener trug ich auf, die beiden Damen, wenn sie zurückkehren wollten, zur Stadt zu begleiten. Dann ging ich, Ihren Herrn Schwiegersohn herbeizuholen.“

Der Geheimerath unterbrach den Advocaten; er hatte ihm zuletzt nur mit einem Unwillen zuhören können, dem er endlich Worte geben mußte.

„Mein Herr, wie konnten Sie in solcher Weise die Ehre meiner Tochter compromittiren?“

„Die Ehre Ihrer Frau Tochter,“ erwiderte der Buckelige ruhig, „war nicht im Mindesten compromittirt, konnte gar nicht compromittirt werden. Nur drei Menschen wußten von der Sache, die Frau von Hake, die treueste Freundin Ihrer Tochter, mein alter Diener, der verschwiegener ist, als das Grab sein kann, und ich, dessen Lippen sich nur Ihnen und keinem Dritten gegenüber öffnen werden, wenn Sie, mein Herr Geheimerath, nicht selbst etwas Anderes von mir verlangen sollten.“

„Aber, mein Herr,“ rief der Geheimerath, „sind Sie nicht der Mörder meiner armen Tochter geworden? Mußten Sie sich nicht vorher sagen, daß der Schritt, zu dem Sie die Unglückliche verleiteten, von den unheilvollsten Folgen für sie sein müsse?“

Der buckelige Advocat blieb unerschütterlich ruhig.

„Mein Herr Geheimerath,“ antwortete er, „Ihr Herr Schwiegersohn durfte seinem Schicksale nicht entgehen, so hatte ich schon vorhin die Ehre, Ihnen zu sagen.“

„Mensch,“ fuhr der Greis auf, „Sie opferten mit vollem Bewußtsein, mit Absicht mein Kind? Um einen solchen Zweck zu erreichen? Vielleicht, um eine alte Rache zu befriedigen?“

„Alle Wetter,“ sagte der Advocat, „Sie kommen da nahe an eine Wahrheit heran. Aber verschieben Sie Ihr Urtheil, bis Sie mich zu Ende gehört haben.“

Der Geheimerath schwieg. Der Buckelige erzählte weiter:

„Ich verließ das Haus und ging auf die benachbarte Stadtpromenade. Ihr Schwiegersohn besuchte sie täglich zu einer bestimmten Stunde, die jetzt eben gekommen war. Ich traf ihn an der Stelle, an der ich ihn erwartet hatte, und führte ihn in die Sebastiansschlucht, zu meinem Landhause. Es war dunkel, als wir es erreichten. Das Zimmer, in dem der Kranke lag, war zu ebener Erde; es brannte ein Licht darin. Ich führte ihn an das Fenster. Auf dem Wege hatte ich ihm seine Geschichte erzählt, seine volle Niederträchtigkeit ihm vorgehalten. Ich hatte dazu das Recht und die Gewalt über ihn. Sie hatten soeben nicht Unrecht, ich hatte noch eine alte Angelegenheit mit ihm abzumachen. So hatte ich ihn bis an das Fenster geführt und forderte ihn nun auf, in das Zimmer zu blicken. Der Schein des Lichtes zeigte ihm wohl Alles, was sich darin befand und was sich darin begab. Mein armer Freund war nicht mehr unter den Lebenden; er mußte wenige Augenblicke vorher gestorben sein.

Franziska kniete vor ihm. Sie drückte ihm die Augen zu und hielt dann seine Hände, bis sie in den ihrigen erkalteten. Nachdem sie einen Kuß auf die todten Lippen gedrückt, erhob sie sich und verließ mit Frau von Hake und meinem alten Diener das Gemach, das Haus, die Schlucht. Als sie fort waren, ging ich in das Haus, bei dem todten Freunde Wache zu halten; Herrn von Römer ließ ich mit seinen Gedanken und Plänen

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