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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 34.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Die Brüder.
Von Adolf Wilbrandt.
(Fortsetzung.)


Das Geräusch eines Wagens, der auf der Vorderseite des Hauses anzufahren schien, klang Karl dumpf im Ohr, ohne ihn aufzustören; nur sein Windspiel, das ihm bis an den Sessel nachgeschlichen war und wieder still zu seinen Füßen lag, hob den Kopf in die Höhe. Im Hause, auf dem Flur schien es unruhig zu werden. Caro sprang auf, näherte sich der Thür und kam dann wieder zurück, um seinen scheinbar entschlafenen Herrn durch ein leises Bellen zu wecken.

Eben richtete er sich in die Höhe und suchte für das, was seiner harren mochte, Fassung zu gewinnen, als die Thür sich schon aufthat und eine hohe, rasche Gestalt in ihr erschien. Wilhelm’s leuchtende Auge spähten neugierig herein, und sein treuherziges Lächeln folgte ihnen. Er hatte den Hut noch auf dem Kopfe, den braunen, nassen Mantel hoch herauf geknöpft, sein Haar war dennoch durchfeuchtet, und selbst aus seinen Augenbrauen schien der Regen zu tropfen.

„Muß man Dich aufsuchen, Karl!“ sagte er mit hastiger, aber nicht unfreundlicher Stimme. „Bei diesem Wetter, das zum Ofenhocken gemacht ist, muß ich selber herauskutschiren, um mir von meinem einzigen Bruder meine Glückwünsche einzufordern! Da sitzt er, wie ein Canzleidirector in der Registratur, und denkt darüber nach, wie man seine Felder und seine Finanzen verbessert.

Und während ich vor Glück nicht mehr seh’ und höre und nur immer horche und harre, ob nun nicht endlich dieser Mensch da kommen wird, damit ich mich in sein Bruderherz ausschütten kann, – währenddessen vergräbt er sich in die gleichgültigsten Schreibereien und thut, wie wenn es keine Brüder und keine glücklichen Menschen mehr gäbe!“

„Lieber Wilhelm,“ erwiderte Karl mit der herzlichsten Miene, deren er fähig war, und drückte ihm die Hand, „ich war – – Hab’ ich Dir nicht auf Deinen Verlobungsbrief meine Glückwünsche geschrieben?“

„Geschrieben! – Wenn ich dieser andere Bruder gewesen wäre, von Paris wär’ ich herbeigereist, um Dir in meiner Mitfreude um den Hals zu fallen. Aber ihr kalten, chronischen Menschen! Ihr Vernunftmenschen! Bei ,kalt’ fällt mir ein, daß heut’ ein recht schöner Wintertag ist, Karl, heut’, am dritten Juni! Ein nichtswürdiger Regen! Aber es ließ mir in der Stadt keine Ruhe mehr, ich mußte Dich sehen. Ich mußte Dir persönlich sagen, daß ich Dich für einen schlechten Menschen halte. Warum siehst Du so übel aus, Karl? Dein Verwalter behauptete eben, als ich aus dem Wagen stieg, daß Du nicht wohl seiest. Davon hast Du ja nichts geschrieben! Weißt Du denn nicht, daß ich trotz aller Bräutigamsherrlichkeit auf der Stelle herausgeritten wäre, um mich nach meinem Patienten umzusehen und ihm Gesellschaft zu leisten?“

„Ich danke Dir, Liebster,“ erwiderte Karl gerührt und gequält. „Es ist nur so ein Unwohlsein, von dem man nicht spricht; eine Erkältung, ein wenig Fieber. Aber es war mir besser, mich damit einzusperren und mit all’ den verschleppten Arbeiten etwas aufzuräumen, als – als ein paar selige Brautleute in ihrem Duett zu stören.“

„Zu stören! – Was das nun wieder ist! – Und wenn jeder Mensch auf der Welt uns stören würde, – Du doch nicht? Aber blaß bist Du, Karl. Du hast ja Ringe um die Augen wie Brillen! Nimmst Du etwas ein? Du hast Dir doch den Doctor kommen lassen? – Was ich noch sagen wollte: meine kleine Braut“ – Karl zuckte zusammen – „die ist auch nicht die Beste. Sie sieht recht jämmerlich aus; seit jenem Ballabend hat sie noch keinen guten Tag gehabt, es sind ihre alten Kopfschmerzen. O Karl, wenn wir die erst hier draußen auf dem Lande haben! Da soll sie aufleben, da soll sie alle die städtischen Nerven mit der Wurzel ausrotten!“

Er sah zum Fenster hinaus, nach seinem Landsitz hinüber, schob dann die Bücherhaufen von der nächsten Tischecke zurück und setzte sich auf den Tisch. „Ich habe schon große Pläne gemacht, Karl,“ fuhr er mit seinem herzlichsten Lächeln fort, „wie wir Drei miteinander leben wollen! Alles gemeinsam! Du sollst sehen, sie versteht sich darauf, mit uns zu leben! Wie sie sich in Alles hineinzufügen weiß, wie sanft sie ist – und wie Alle im Hause sie vergöttern! Ihr Papa will sie gar nicht hergeben, sagt er, – ein lustiger, guter, alter Herr. Annette ist sein Augapfel. Aber ich will sie glücklich machen, Karl,“ rief er mit lebhafterer Empfindung aus und sprang wieder auf. „Glaube mir, Herzenskarl, ich mache sie glücklich!“

Er hatte seines Bruders Hand ergriffen und sah ihm mit einem vollen Blick in’s Gesicht. Karl, in tiefster Pein, erwiderte den Blick mit einem mühsamen Lächeln, und um in diese treuherzigen Augen nicht länger starren zu müssen, schloß er ihn heftig in die Arme. Wilhelm umfaßte ihn gleichfalls und hielt ihn voll der freudigsten Bewegung umschlungen. „Ach, Karl!“ sagte er gerührt, „wenn meine Liebe Deinen Beifall nicht hätte, was hätte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_529.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)