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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

einem Kunstzweige aus innerem Antriebe, aus reiner Begeisterung zuwenden. Im Bereiche der Schauspielkunst ist es nicht anders – ist es wohl gar noch schlimmer, wenn man auch beim Lesen der meisten Fachblätter das Gegentheil glauben und auf den Gedanken geführt werden könnte, die Bühnentalente kämen wie die Pilze über Nacht aus dem Boden geschossen und jedes noch so kleine Theaterchen besitze mindestens einen zweiten Seydelmann oder eine neue Sophie Schröder.

Wenn man aber auch im Hinblick auf unsere Zustände, in welchen die Zersplitterung vorherrscht, während die Kunst der Sammlung bedarf, um ans dem Ganzen und Vollen zu schaffen, die Seltenheit von wirklich bedeutenden neuen Talenten zugestehen muß, so ist es ein desto freudigerer Anblick, einem solchen, wo es erscheint, zu begegnen, und es ist Pflicht und Lust, davon zu erzählen, wie die Astronomen es verkünden, wenn sie einen neuen Asteroiden entdeckt, oder die Botaniker, wenn sie eine neue Pflanze zur Blüthe gebracht haben.

Wir wollen den Lesern der Gartenlaube von drei Abenden erzählen, an welchen der Erzähler die Begegnung mit einer Künstlerin erlebte, welche im Laufe weniger Jahre im Fache der tragischen Schauspielkunst sich mit Erfolg und Beruf an die Seite der ersten Künstlerinnen dieses Faches geschwungen hat und durch ihre Eigenart-Leistungen auch ohne Zweifel zu immer größerer, künstlerischer Bedeutsamkeit emporsteigen wird.

Es war vor etwa sieben Jahren, als die Aufführung der Schiller’schen Jungfrau von Orleans dem Münchner Hoftheater eine ungewöhnliche Menge von Zuschauern zuführte – eine Münchnerin sollte ihren ersten schauspielerischen Versuch als Johanna machen, und die Kreise, welche sich am Isarstrande für Bühnenkünste interessiren, waren in Bewegung und in lebhafte Parteiung gerathen. Die Einen, die Kunstfreundlichen und Enthusiasten, verkündeten das unerwartete Aufgehen eines Gestirns erster Größe und erregten die schönsten Hoffnungen, indem sie betonten, daß die junge Novizin den Unterricht des Hofschauspielers Adolph Christen empfangen habe, eines Künstlers, welchem in geistig frischer Auffassung seiner Kunst und gleichzeitig praktischer Durchdringung derselben nicht Viele an die Seite gestellt werden könnten. Anders sprachen die minder Günstigen, die bloßen Theatergänger, welche ihre Unterhaltung haben wollen und nicht verschmähen, sie durch ein Körnchen Klatsch noch würzreicher zu machen. Da zuckte man lächelnd die Achseln und meinte, man habe das unscheinbare hoch aufgeschossene Mädchen, das Färber-Töchterlein, noch kurz vorher und geraume Zeit hindurch wie andere Kinder mit Tasche und Tafel zur Schule wandern sehen und habe nicht das mindeste Besondere an ihm bemerken können. Wo solle da nun auf einmal das Talent herkommen! Wieder Andere waren noch bedenklicher und erinnerten gar daran, wie ihr Vater, der vor Jahren aus Berlin gekommen sei und so zu sagen die Schönfärberei erst in die bairische Hauptstadt eingeführt habe, ein heftiger, unruhiger Mann gewesen, der in den Jahren der Bewegung überall vorne dran gestanden und in politischen, zumal aber in religiösen Dingen zu denen gehörte, welche an dem lieben Alten kein gutes Haar gelassen! Was könne davon – was könne überhaupt von Nazareth Gutes kommen!

Und der Vorhang ging auf, die Debütantin stand vor dem dichtgedrängten Hause – eine jugendlich hagere, fast überschlanke Gestalt mit unvermeidlich eckigen Bewegungen und zum Theil noch unentwickelten Gesichtszügen, aber aus denselben sprach bereits ein Paar dunkler ausdrucksfähiger Augen, und in dem zumal bei so großer Jugend überraschend vollen, kräftigen und schönen Organ fühlte man den Anhauch einer selbst empfindenden eigenen Seele. Schon das Vorspiel reichte aus, um über den Erfolg zu entscheiden: nach dem ersten Monologe war es auch den Widerstrebenden klar, daß man einem vielverheißenden bedeutenden Talente gegenüber stand; die Rolle der heldenmüthigen gottbegeisterten Hirtin wurde mit seltenem Glanze durchgeführt, und mochte auch Vieles davon dem trefflichen Lehrer gehören, in manchen Zügen war das eigenartige Schaffen nicht zu verkennen.

Der Name Clara Ziegler war gültig eingetragen in das goldene Buch des Genius.

Wieder vergingen einige Jahre, bis ein zweiter Abend sie dem Erzähler ein anderes Mal in bedeutsamer Weise begegnen ließ: es war der Abend des 4. November 1865, das neue Volkstheater in München wurde an ihm eröffnet, eine nicht blos örtlich, sondern fast überall in deutschen Landen mit den schönsten Hoffnungen erwartete Anstalt, von welcher man sich die Verwirklichung eines echten künstlerisch geleiteten und doch volksthümlich gehaltenen Theaters und mit ihm die Wiederbelebung einer echten Volksdichtung versprach. Leider ist der Reif auf diese Blüthe gefallen und das auf unrichtigen wirthschaftlichen Voraussetzungen begründete Unternehmen ist zu einer positiven Verneinung der ursprünglichen Absicht heruntergesunken, aber das war damals nicht vorauszusehen, und jene Eröffnung war ein Fest, wie in der Geschichte der deutschen Bühnen nicht viele verzeichnet sind. Die Eröffnung geschah mit einem von Herman Schmid gedichteten Festspiele: „Was wir wollen!“ Das Münchner Kindlein, die Personification des im Stadtwappen befindlichen Mönchs, machte in dem Stück aus langer Weile eine nächtliche Promenade am Ufer des Flusses und kam in ein vertrauliches Zwiegespräch mit der einsam wachenden Isarnixe, welche dem klagenden Mönchlein als bestes Gegenmittel wider den beklagten Zustand die Aufnahme der vertriebenen flüchtig umherirrenden Volksdichtung empfahl, die dann auch mit allen ihren Angehörigen, vom duftigen Märchen an bis herab zum derben Schalksnarren, in München und dem neuerbauten Hause ihren festlichen Einzug hielt. Als die Bühne zum ersten Male sich öffnete, lag vor den Beschauern das wundervolle obere Isarthal mit Burg Schwaneck und der fern abschließenden Zugspitze, das wohl Jeder bewundert hat, der einmal einen Fuß nach München gesetzt, vom Monde beschienen, in seiner ganzen romantischen Schönheit da – im Vordergründe, an ein Felsstück gelehnt, stand eine hohe Frauengestalt im grünen schleierhaften Nixengewand, einen Kranz von Tannenzweigen im reichen dunklen Haar, das sie wie ein natürlicher Mantel umwallte. Clara Ziegler als Isarnixe war es, welche die ersten einweihenden Worte sprach, und als zum Schlüsse mit dem ganzen Voll- und Wohlklang ihres inzwischen vollständig ausgebildeten Organs und dem darin wehenden Hauche, der „zum Herzen geht, weil er vom Herzen kommt“, die Zauberformel erschollen war, unter welcher die ganze Bühne sich zu erheben begann und in ein ideales Reich der Freude verwandelte, da stand in Aller Herzen neben der Freude über das schön begonnene Werk auch die frohe Gewißheit fest, daß die junge Künstlerin auf dem schönsten Wege war, die von ihr gehegten Erwartungen im reichsten Maße zu erfüllen – die Blüthe begann aus der Knospe zu brechen.

Die unermüdet strebende Künstlerin hatte die dazwischen liegende Zeit bei verschiedenen kleinern Bühnen zugebracht, vielfach gewürdigt, aber doch im Ganzen unvermögend, sich als das geltend zu machen, was sie in sich trug. Die ernste Muse ist an den meisten Theatern dieser Art nur eine Art von mißliebiger und nur aus einem Ueberrest von Scheu geduldeter Respectsperson; ein Talent wie dieses bedurfte zu seiner Entfaltung größerer Maße und Verhältnisse, den Directoren jener kleinen Bühnen aber war nicht selten schon das Organ der Kunstnovizin zu mächtig, denn es stand außer Verhältniß zu Soffiten, Coulissen und Schauplatz, Ihre Erscheinung war zu bedeutsam, es hätte Noth gethan, in dem Pygmäengeschlecht Derer, welche meist die Liebhaber und Helden spielen, förmliche Musterung nach einer Männergestalt zu halten, die neben der Heroine nicht kleinlich und kindisch erschien. Das Verdienst, sie eigentlich erkannt und eingeführt zu haben, gebührt dem ersten Leiter des Münchener Volkstheaters, dem tüchtigen Director Engelken, von welchem Clara Ziegler für die damals von ihm geführte Bühne in Ulm gewonnen und, von ihm geschult und geleitet, an das neue Volkstheater gestellt worden war.

Von diesem Augenblick an gehörte sie zu den entschiedenen Lieblingen des Publicums, in dessen Achtung und Gunst sie sich immer mehr befestigte, je mehr ihr Gelegenheit gegeben war, sich in neuen ihr angemessenen Rollen zu vervollkommnen und zu bewähren. Dahin zählten vor allen Griseldis, Pietra, Bertha (in der Ahnfrau), im bürgerlichen Drama die Marianne (im Weib aus dem Volke), die Camelliendame u. a. Ihre Vielseitigkeit, so wie die Geschmeidigkeit und Verwendbarkeit ihrer Mittel bewährte sie nicht minder durch ihre Leistungen im Lustspiel (Donna Diana oder Katharina von Rosen oder Baronin Palmer im Gesandtschafts-Attaché) als durch jene auf dem Gebiete des eigentlichen Volks- oder Localstücks, und wer eines der kernhaften, echt naturgetreuen Bauernmädchen von ihr dargestellt sah, welche sie in den oberbairischen Volksdramen, wie „Almenrausch und Edelweiß“, oder

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