Seite:Die Gartenlaube (1868) 487.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Man schloß aus den beschriebenen Versuchen, mit Recht, Schwefel sei ein Bestandtheil des Bleiglanzes und des Schwefelkieses, und kam auf die Vermuthung, die bald zur festen Ueberzeugung wurde, Schwefel sei ein Bestandtheil aller Metalle; gelänge es nur aus dem Bleiglanze und dem Schwefelkiese mehr Schwefel auszutreiben, so würde man mehr Silber, mehr Gold daraus erhalten, und wenn es gelänge, aus den unedlen Metallen allen Schwefel auszutreiben, so würden sie zu edlen verwandelt werden. Das Quecksilber, Mercurius, verfliegt im Feuer, die Verkalkung der unedlen Metalle im Feuer, z. B. des Bleies etc., erklärte man sich daraus, daß Mercur aus den Metallen verflüchtigt werde. Mercur galt als ein zweiter Bestandtheil der Metalle, und während es beim Schwefel darauf ankam, ihn zu vertreiben, so galt es beim Mercur, die Entweichung desselben zu verhindern, ihn fest zu machen oder nach dem Kunstausdrucke ihn zu fixiren. Dieses Fixiren des Mercurs spielt eine große Rolle in der Alchemie. Ueberall fand man Beweise für die Möglichkeit einer Bildung, einer Umwandlung von Metallen. Lehm mit Kohle geglüht gab Eisen. Eisen in gewisse Wässer, die sogenannten Cementwässer in Ungarn, oder was dasselbe ist, in eine wässerige Auflösung von blauem Vitriol getaucht, verwandelt sich in Kupfer (Cementkupfer); Kupfer mit dem Pulver eines grauen Steines, des Galmei, und Kohle zusammengeglüht, giebt ein gelbes, goldähnliches Metall. Wir können uns gewiß nicht wundern, wenn solche und ähnliche Erscheinungen den Gedanken zur Gewißheit machten, daß durch Zuführung oder Wegnahme gewisser Stoffe die Umwandlung in Metalle erfolgen könne. Erst sehr viel später hat man erkannt, daß alle diese scheinbaren Umwandlungen nur auf Ausscheidungen von Metallen aus den angewendeten Materialien oder auf Bildung von chemischen Verbindungen der Metalle unter sich und aus anderen Stoffen beruhen.

Die ersten Anfänge der alchemistischen Bestrebungen fallen in eine sehr frühe Zeit. Mit Sicherheit können wir sagen, daß schon im vierten Jahrhunderte Alchemie getrieben wurde, und da griechische Schriftsteller dieser Zeit von ihr als von etwas Bekanntem sprechen, so mag sie Wohl viel älter sein. Ihren Ursprung hat sie, nach der übereinstimmenden Meinung der ältesten alchemistischen Schriftsteller, jedenfalls in Aegypten genommen und als ihren ersten Vorgänger erkennen die Alchemisten einstimmig einen Hermes Trismegistos an, von dem viel Wunderbares erzählt wird. Er soll ein ägyptischer König gewesen sein, aber die Regierungsgeschäfte scheinen ihn nicht sehr gedrückt zu haben, da er 25,000 Bände über die allgemeinen Principien geschrieben haben soll, nach anderen eben so glaubhaften Nachrichten sogar 36,525 Bände über alle Wissenschaften! Alexander der Große soll auf einem Zuge nach Aegypten das Grab des wunderbaren Mannes haben öffnen lassen, wobei man die bei den späteren Alchemisten hochberühmte tabula smaragdina, eine smaragdene Tafel, auffand, die eine Inschrift trug, worin der große Meister das Geheimniß der Alchemie niedergelegt haben soll. Diese kostbare Tafel existirt zwar nicht mehr, aber der Inhalt der Inschrift ist uns erhalten. Wie viel Wahres an der Geschichte dieser smaragdenen Tafel ist, wissen wir nicht, unsere Nachrichten über die Auffindung derselben stammen erst aus dem dreizehnten Jahrhunderte. Smaragd war das Material derselben schwerlich, da Smaragde von der Größe, daß man so lange Inschriften darauf schreiben könnte, wohl niemals existirt haben. Der uns überlieferte Text ist lateinisch, wahrscheinlich jedoch eine Uebersetzung aus dem Griechischen, wie mehrere darin vorkommende Gräcismen beweisen. Es ist sehr dunkel, und viele Commentare sind zur Erläuterung desselben geschrieben worden. Man könnte zweifeln, ob überhaupt von Alchemie darin die Rede sei, aber die Alchemisten aller Zeiten behaupten es und sind überzeugt, daß man den Text nur recht verstehen müsse, um darin das Geheimniß der Alchemie zu finden. Die dunkle Schreibart ist das Muster für alle Alchemisten geworden, ihre Schriften sind uns kaum verständlich. Jedenfalls ist die smaragdene Tafel eine der ältesten alchemistischen Urkunden, und so mag dieselbe als die Probe alchemistischen Styles in wortgetreuer Uebersetzung hier folgen:

„Es ist wahr, ohne Lüge und ganz gewiß: das Untere ist wie das Obere und das Obere ist wie das Untere, zur Vollbringung eines Wunderwerkes. Und so wie alle Dinge von Einem und seinem Gedanken kommen, so entstanden sie alle aus diesem einen Dinge, durch Anneigung (adaptio). Der Vater des Dinges ist die Sonne, der Mond ist seine Mutter. Der Wind hat es in seinem Bauche getragen und die Erde hat es ernährt. Es ist die Ursache aller Vollendung in der Welt. Seine Kraft ist völlig, wenn es zur Erde wird. Scheide die Erde vom Feuer und das Feine vom Groben gemächlich und kunstreich. Es steigt von der Erde zum Himmel empor, und es steigt wiederum zur Erde hinab und empfängt die Kraft des Oberen wie des Unteren. So hast du das Herrlichste der Welt, und alles Dunkel wird von dir weichen. Es ist das Allerstärkste, was alle Stoffe bewältigen, alle Körper durchdringen mag. So ist die Welt geschaffen durch solche Anneigungen. Darum nennt man mich Hermes den Dreimalgroßen, der drei Theile alles Wissens hat. Obiges ist das ganze Werk der Sonne.“

In dieser dunklen Schrift, die man als die Apokalypse der Alchemie bezeichnen kann, hat man bald diesen, bald jenen Sinn gefunden. Eine ziemlich nüchterne Ansicht aus neuerer Zeit deutet sie auf die Destillation, die vielleicht schon den ägyptischen Priestern bekannt war und sicher von den alexandrinischen Griechen geübt wurde, welche sie von den Aegyptern gelernt haben konnten. Allein früher fand man viel mehr darin, unter der Vollendung (telesmos) verstand man die Vollendung, d. h. die Veredlung, der Metalle, unter dem Allerstärksten aber, das alle Körper durchdringt, ein allgemeines Auflösungsmittel, den Alkahest der Araber. Dieses wurde eifrig gesucht von den Alchemisten; man suchte es durch Destillation zu gewinnen und gelangte dabei zur Entdeckung der Säuren. Das Werk der Sonne übersetzte man durch Bereitung des Goldes, denn Sonne, sol, hieß bei den Alchemisten das Gold, Mond, luna, aber das Silber.

Im achten Jahrhundert blühte die Alchemie vorzüglich bei den Arabern und von ihnen stammt der Name Alchemie, d. h. die Chemie, denn al ist nur der arabische Artikel. Die Araber brachten sie nach Spanien, von wo sie sich über alle europäischen Nationen verbreitete. Im Laufe der Zeit waren die alchemistischen Ansichten in ein gewisses System gebracht worden, welches um das zehnte bis eilfte Jahrhundert ziemlich abgeschlossen war.

Die Kunst der Alchemisten hieß bald die ägyptische, bald die hermetische, die spagirische oder auch wohl die heilige, die göttliche Kunst. Die Bezeichnungen Goldmacherkunst oder Goldmacherei werden erst in sehr später Zeit und mehr in tadelndem oder spöttischem Sinne gebraucht. Die sich mit der Kunst beschäftigten, hießen Alchemisten oder Philosophen. Die vollkommenen Meister, welche das Geheimniß wirklich erlangt hatten, wurden Adepten genannt. Daß es solche Glückliche gebe oder gegeben habe, war der allgemeine Glaube bis in sehr späte Zeit. Selbst der Verfasser einer 1832 erschienenen Geschichte der Alchemie – freilich kein Chemiker - ist noch der Ueberzeugung, daß es wenigstens fünf Adepten wirklich gegeben habe.

Die Lehren der Alchemie, wie sie in der späteren Blüthezeit derselben, im dreizehnten bis sechszehnten Jahrhunderte, sich ausgebildet hatten, lassen sich in drei Sätze zusammenfassen:

  1. Es ist möglich, aus Dingen, die kein Gold enthalten, durch Kunst Gold darzustellen. Das Mittel dazu ist ein Präparat der Kunst. Dieses wird genannt der Stein der Weisen, oder das große Elixir, das große Magisterium oder die rothe Tinctur.
  2. Es ist möglich, aus Körpern, welche kein Silber enthalten, durch Kunst Silber darzustellen. Das Mittel dazu ist der Stein zweiter Ordnung, das kleine Elixir, das kleine Magisterium oder die weiße Tinctur.

3. Dasselbe Präparat, welches die Metalle veredelt und das Gold erzeugt, ist zugleich eine wunderbare Arznei!

Hiernach verdient es der Stein der Weisen gewiß, daß wir uns etwas näher mit ihm bekannt machen. Er vermag alle Metelle in Gold zu verwandeln. Die Umwandlung (Transmutation) erfolgt gewöhnlich durch Aufwerfen auf das geschmolzene Metall – die Projection. Er kann in verschiedener Stärke bereitet werden. Ein Theil desselben, von der besten Qualität, soll mehrere Billionen Gewichtstheile unedles Metall in Gold verwandeln und dabei noch das Gewicht des Metalls vermehren, also Gold aus Nichts schaffen können. Raymundus Lullus sagt, er wolle das Meer in Gold verwandeln, wenn es Quecksilber wäre. Andere sind aber viel bescheidener; so versicherte James Price, der letzte anerkannte Adept in England, 1782, er habe eine Tinctur gehabt, die ihr dreißig bis sechszigfaches Gewicht Quecksilber in Gold verwandelte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_487.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)