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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


„Was willst Du von mir?“ fragte er.

„Mit Dir von vergangenen Zeiten sprechen. Weiter nichts.“

„Kannst Du es nicht auf dem Rückwege zur Stadt?“

„Nicht eigentlich!“

„Wohin führst Du mich denn?“

„Spazieren.“

Herr von Römer hatte sich etwas besorgt umgesehen. Sie hatten den Kamm der Anhöhe schon vor einiger Zeit erreicht und gingen jetzt auf deren anderer Seite in eine enge Schlucht hinunter. Der Bucklige hatte mit seinem Begleiter einen schmalen Fußpfad eingeschlagen, der in gerader Richtung in die Tiefe der Schlucht führte, in welcher es schon zu dunkeln begonnen hatte. Die Sonne war untergegangen, als die beiden Spaziergänger noch nicht den Kamm der Anhöhe erreicht hatten.

In die dunkele Tiefe der Schlucht schaute bedenklich der Consistorialpräsident, aber er folgte schweigend seinem Führer; er wollte oder durfte keine Furcht zeigen. Der Kleine schritt ruhig in dem schmalen Pfade der Tiefe zu, im Gehen wieder sprechend:

„Also zurück zu den vergangenen Zeiten! Erinnerst Du Dich noch des Lieutenant Hille?“

Herr von Römer schwieg.

„Du mußt Dich seiner erinnern,“ fuhr der Bucklige fort. „Er stand bei den braunen Husaren. Er war der große, schöne blasse, melancholische junge Mann, der wildeste Reiter im Regiment, der tapferste Officier in der Armee und der Geliebte Deiner Frau.“

Der Präsident fuhr nicht wieder auf; in seinem Inneren mochte, mußte es wüthen, rasen, wohl schon lange. Aeußerlich war er vollkommen ruhig geworden, denn ein Mann wie er mußte sein Aeußeres beherrschen können und kann es. Mit dieser Selbstbeherrschung sagte er:

„Mensch, Du bist der größte Bösewicht, den die Sonne bescheint.“

Der Bucklige sagte mit derselben Ruhe, mit der sein Begleiter gesprochen hatte:

„Ihr nanntet mich ja schon auf der Universität den Teufel, und Dein Teufel will ich werden, bin ich schon.“ Dann fuhr er fort: „Er, nämlich der Lieutenant Hille, war der Liebling aller Damen, und es war kein Frauenherz, das nicht rascher, nicht höher geschlagen hätte, wenn er auf seinem schlanken, langgestreckten, stolzen und wilden braunen Araber vorüberflog, oder wenn das Pferd sich bäumte, fast kerzengerade auf den Hinterfüßen stand, den Leib schüttelte, den schnaubenden Kopf und den Nacken zurückwarf, um den Reiter herabzuschleudern, und der blasse stolze Officier so ruhig da saß, als wenn er irgendwo angenehm geschaukelt werde. Er hörte nicht das Schnauben, fühlte nicht das Schütteln, das Stoßen, das Herumwerfen, wußte von keiner Gefahr, er schaute mit den melancholischen Augen nur in sein Inneres, in das wunde Herz in der mit Narben bedeckten Brust. Sie mußten sich dann erzählen, wie er als Knabe von vierzehn Jahren sich bei dem nächsten Officier seines Heimathdorfes gemeldet und gebeten hatte, den Krieg gegen die Franzosen mitmachen zu dürfen. Es war im Jahre 1813. Die Franzosen waren aus Rußland verjagt und die Deutschen wollten sie auch aus Deutschland hinausjagen. Der Knabe wurde angenommen; es war unmöglich, ihn mit seinen dringenden Bitten zurückzuweisen. Schon in der Schlacht bei Leipzig erwarb er sich das eiserne Kreuz, bei Laon ernannte ihn Blücher auf dem Schlachtfelde zum Officier, und bei Waterloo erhielt er den Orden pour le mérite. Und er war nicht einmal von Adel. Aber er war, wo es Muth und Unerschrockenheit galt, immer der Erste und der Kaltblütigste gewesen, und sein Körper trug fast unzählige Wunden, die das bezeugten. Und für Wunden, für Muth, für Orden und Uniformen und wilde Pferde und unerschrockene Reiter haben Frauenherzen ein Faible. Und dabei erzählten sie sich denn gar weiter, wie ihm auch das Herz so wund sei, ein paar glühende, dunkelschwarze französische Augen hätten es ihm angethan.

Bei Waterloo war er verwundet worden. Er hatte nicht darauf geachtet, und war mit der Armee weiter gezogen auf Paris zu. An der Seine hatte es ihn aber niedergeworfen, und man hatte ihn zurücklassen müssen, in einem stolzen alten Schlosse, wo eine mitleidige junge Dame den Kranken gepflegt hatte, um ihn mit ihren Augen und ihrer Liebe auf den Tod zu verwunden. Die stolzen Eltern hatten sie entfernt, aber sein Regiment gehörte zu denen, die noch ein paar Jahre in dem besiegten Frankreich Quartier machen mußten. Im Jahre 1817 führte ein Zufall ihn mit der Geliebten wieder zusammen; sie lebten Beide wieder auf, um nach wenigen Tagen in den Herzenstod der ewigen Trennung zu gehen. Er mußte mit seinem Regiment nach der deutschen Heimath zurückkehren; sie mußte in Paris irgend einem Marquis oder Vicomte ihre Hand reichen. Das war seine Herzenswunde, seine Melancholie, sein Schmerz. Und wo wäre eine Frau, die sich nicht berufen fühlte, eine solche Herzenswunde zu heilen, den Schmerz in laute, helle Liebeswonne umzuwandeln? Freilich kann es nur ein Engel. Aber ein Engel war Franziska von Wangen, und er erkannte den Engel mit dem reinsten, dem edelsten Herzen, und sie heilte sein verwundetes, und wenn er Rittmeister wurde, wollten sie heirathen. Premierlieutenant war er schon lange, der älteste im Regiment, allein er war bürgerlich, gar eines Bauern Sohn und nur auf dem Schlachtfelde zum Officier gemacht. Da konnte er kein Rittmeister im Regimente werden, überhaupt nicht in der Armee. In der Gensd’armerie boten sie es ihm an, aber das wollte er nicht, denn Gensd’arm ist nicht Jedermann gern. Als Lieutenant konnte er nicht heirathen; er war arm, hatte nur seine Lieutenants-Gage und Franziska von Wangen war arm wie er; ihr Vater, allerdings ein höherer Beamter, hatte gleichfalls nur seinen Gehalt und viele Kinder. Auf Eins rechneten sie noch. Der alte Blücher war zwar todt, aber Gneisenau lebte noch und Nostiz, und sie kannten den Muth und die Verdienste des Lieutenants Hille. Sie verwendeten sich auch für ihn, allein an maßgebender Stelle zuckte man über die alten Herren die Achseln und sprach mit Friedrich dem Großen: ,Ces anciens militaires finissent par radoter! (Diese alten Militärs werden schließlich albern.) Sind die Herren verrückt? Sprechen von Dankbarkeit für in schweren Zeiten geleistete Dienste! Von Pflichten! Wollen gar verlangen, daß in einem Husarenregimente ein bürgerlicher Campagne-Officier eine Schwadron bekomme, in der nur adelige Lieutenants stehen!‘

So standen die Sachen zu der Zeit, da mein braver Freund Georg von Römer als Regierungsrath in die Stadt versetzt wurde, in welcher das Regiment Hille’s in Garnison lag. Seine lebhaften, für alles Schöne empfänglichen Augen sahen Franziska von Wangen, das schönste Mädchen, das sie je erschaut hatten. Sein Herz, oder was man so nennt, war voll Gluth und Verlangen, sie mußte sein werden. Er machte ihr den Hof; er schmeichelte ihrem Vater und wußte sich Eingang in das Haus zu verschaffen. Er wurde ihr Anbeter, ohne den man sie nicht mehr sah. Er konnte es so werden, da Hille und Franziska, denen jede Aussicht zum baldigen Heirathen fehlte, nur heimlich verlobt waren, sich öffentlich nur selten und nur als fremde Personen sahen. Das Fräulein wies den überflüssigen Anbeter zwar zurück, kalt, frostig, stolz, doch es half nichts. Sie behandelten ihn dann mit der übermüthigsten Laune, und er kam immer wieder, nach den schwersten Demüthigungen. Er war reich, aus vornehmer Familie, sich der höchsten Laufbahn im Staatsdienste bewußt, und er hatte die Gunst des Vaters. Mein Freund Georg von Römer kam zu seinem Ziele. ‚Geht’s mit dem Himmel nicht, geht’s mit der Hölle!‘ sprach er mit dem Dichter.“


(Fortsetzung folgt.)


F. Stolle’s Frühling auf dem Lande. Dieses von der Kritik einstimmig mit großem Beifall begrüßte und auch von uns warm empfohlene reizende Idyll, „ein vom Dufte und Hauche des Lenzes umsponnenes Frühlingsgedicht, so rein und thaufrisch einer seelenvollen Innerlichkeit entsprossen, in welches das deutsche Gemüth und deutscher Humor eine köstliche Landpartie unternehmen, ein echt deutsches Buch“, hat in dem Feuilleton der Essener Zeitung einen anderweiten Abdruck gefunden. Selbstverständlich, daß Herr Bädeker, der Herausgeber der genannten Zeitung, sich zuvor mit Verfasser und Verleger über den Abdruck geeinigt.


Kleiner Briefkasten.


M. S… . r in Reichenberg. Wir bedauern, wenn Sie sich um Ihre Gedichte so große Sorgen machen; dieselben liegen „in guter Ruh“ – im Papierkorbe.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_480.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2020)