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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Und wie ein gescheuchtes Reh flog sie zurück, die Allee hinunter nach dein Tanzsaal hin.

Er folgte ihr langsam nach und murmelte: „Reizend ist sie und lieblich, eine wahre Rosenknospe. Gott sei dafür und stehe mir bei, daß ich tapfer bleibe und gut! Sie soll den Augenblick im Paradies nicht mit dem Tode, auch nicht mit Thränen zahlen.“

Er bat sie nachher nicht wieder, hinunter zu kommen in den Garten, aber er blieb an ihrer Seite die ganze Nacht hindurch, schwenkte sich mit ihr im Tanz, bediente sie, als wäre sie seine Herrin.

Und all’ die Meister und Gesellen und Meisterinnen und Meisterstöchter sahen es, bewunderten die Höflichkeit des fremden jungen Mannes und mußten auch gestehen, daß Cläre es gar sittsamlich und fein und bescheiden von ihm annahm.

Der Morgen dämmerte schon, als die Gäste auseinander gingen, und alle kamen sie zum reichen Mosje Ludwig Preuß und bedankten sich bei ihm mit zierlichen Knixen und freuten sich und fanden es gar hübsch, daß ein so reicher junger Mensch das Schlosserhandwerk lerne und Nägel mache, der es gewißlich gar nicht nöthig habe. Sein Wesen gefiel ihnen ausbündig und auf dem Heimwege sprachen sie Alle davon und die jungen Mädchen flüsterten miteinander und sagten: „So Einen kriegen wir nimmer, so Einer ist nimmer bei uns gesehen worden. Und er sieht gar nicht so aus, als wäre er ein richtiger Schlossergeselle. Wir glauben’s nicht, wir glauben’s nicht, – wer weiß, was das für Einer ist! Aber schön ist er und liebenswürdig, und hübsch wäre es, wenn es Viele gäbe wie er.“

Meister Kleemann und seine Alte gingen müde und matt die Straße hinunter nach ihrer Wohnung, die ein wenig entfernt war, nahe dem Hauptthor. Ihnen voran flatterten die beiden jungen Leute wie lustige Tauben vor dem Venuswagen, Seite an Seite, Arm in Arm.

„Und sagt mir, Cläre, seid Ihr zufrieden gewesen mit dem Fest? und freut’s Euch, daß wir miteinander tanzten?“

„Es war ein schönes Fest, und ich danke Euch.“

„Weißt doch, Cläre, daß ich’s für Dich allein gegeben habe? Nein, für Euch allein, wollt’ ich sagen, denn ich hab’s wohl gemerkt, daß Ihr’s nicht mögt, wenn ich Euch ,Du’ nenne, und ich will gehorsam sein, damit Ihr seht, wie viel mir daran gelegen ist, daß Ihr mir gut seid.“

Sie antwortete nicht und blickte ernst und ängstlich in die Nacht hinaus und hinaus zu dem Himmel, an dem die Sterne verblichen waren und der sich zu röthen begann von der ausgehenden Sonne.

„Ich habe Euch doch nichts zu leid gethan?“ fragte sie dann ganz leise und schüchtern.

„Mir was zu leid, Cläre? Wie solltet Ihr’s und warum meint Ihr das?“

„Ich weiß nicht,“ flüsterte sie, „es ist so etwas in Eurem Ton, was anders ist, als wie es vorher gewesen. Es klingt so herb und Ihr habt auch die letzten Stunden mich nicht so freundlich und so gut angesehen, wie Ihr es vorher gethan. Ich habe Euch doch nicht weh gethan und nicht beleidigt.“

„Und wenn es wäre,“ sagte er, „was fragt die Cläre danach? Die Cläre hat ein hartes Herz und wenig kümmert sie’s, ob sie Andern wehe thut, Andern, die ihr so unaussprechlich gut sind und ihr Leben für sie lassen möchten. Sie ist Niemandem gut und lacht dazu, wenn sie Andern wehe thut.“

„Nein, wahrlich, nein!“ sagte sie heftig, „es würde mir leid thun, herzlich leid, wenn ich Euch zu nahe getreten wäre.“

„Ich glaub’s nicht, Cläre. Ihr habt ohne Erbarmen dem Hans Werner wehe gethan und werdet es auch mir thun. Seht mich jetzt ein wenig freundlich an, und morgen oder übermorgen heißt es auch von mir: wir passen nicht zu einander. Geht nur, geht. Ich frage nichts nach Euch. Ist’s nicht so, Cläre?“

Sie schwieg, aber er hörte, wie ihr Athem keuchend aus ihrer Brust hervorging, und die Hand, welche auf seinem Arm ruhte, zitterte so heftig, als wäre es ein Fieber, das sie schüttelte.

„So sprecht doch, Cläre. Sagt’s mir nur aus einmal: Ihr fragt nichts nach mir und ich kann gehen. Nicht wahr?“

„Nein,“ sagte sie ganz leise, „ich werde nimmer so zu Euch sprechen.“

„Nimmer so zu mir, wie zu Hans Werner? Warum denn nicht, süß Clärchen?“

„Ich weiß es selbst nicht,“ sagte sie angstvoll und beklommen. „Ich bin dem Hans Werner ja recht gut, aber das ist ganz etwas Anderes, und wenn er mich nicht heirathen wollt’, dann hätt’ ich nimmer ihm so grob und böse geschrieben. Aber seht, heirathen kann ich ihn nicht, denn ich liebe ihn nicht.“

„Weiß wohl,“ sagte er lächelnd, „Ihr habt es ja dem Hans geschrieben: Heirathen ist ein gar schnurrig und curioses Ding, und Ihr hättet noch keine Lust dazu und wolltet warten, bis daß der kommt, der Euch Lust macht. Seht Ihr wohl, Cläre, ich weiß genau, was in Eurem Briefe steht.“

„Der Haus hat ihn Euch lesen lassen?“

„Ja, ich habe ihm den Brief vorgelesen, denn Ihr wißt ja, der arme Teufel kann nicht lesen. Ach, Cläre, wie beneide ich den Mann, der Euch Lust machen wird, ihn zu heirathen! Aber ich denke, es wird nimmer so einen geben, oder meint Ihr doch?“

Die Cläre schwieg wieder und ging still beklommen an seiner Seite hin. Und er selber schien beklommen und sprach nichts zu ihr, bis er auf einmal hörte, daß sie leise weinte.

Da blieb er stehen.

„Cläre, warum weint Ihr? Und was ist es, das Euch traurig macht?“

„Ich weiß es nicht,“ flüsterte sie. „Ich bin traurig, weil Ihr anders gegen mich seid, nicht mehr so gut und freundlich. Und warum nennt Ihr mich nicht ,Du’, wie Ihr es gestern und heut Abend zu Anfang gethan? Es klingt abscheulich, wenn Ihr so mit ‚Ihr’ mich anredet.“

„Cläre, süße Cläre! Ich nenne Dich ,Du’, wenn Du mich auch so nennst!“

Und da schlang er seinen Arm um sie. Es war gut, daß sie eben in den Garten eingetreten waren, – fern von der Straße – in den kleinen Hausgarten, den sie durchschreiten mußten, um nach dem Hause zu gelangen.

„O Cläre, willst mich auch ,Du’ nennen?“

Er preßte sie fest an sein Herz und kaum der Abendwind hörte es, wie sie ganz leise antwortete:

„Ja, ich will auch Dich ,Du’ nennen!“

„Und willst Ludwig zu mir sagen? lieber Ludwig?“

„Ja, lieber Ludwig!“

Da knarrte die Gartenthür und Meister Kleemann und seine Frau traten ein, und – husch waren die Beiden auseinander, die beiden Tauben, und in das Haus hinein flatterte die Cläre. Und den beiden Alten wünschte der Ludwig Preuß sittsamlich „Gute Nacht“ und ging langsam dann nach dein Wirthshaus zu, in welchem er Wohnung genommen.




5. Vernunft und Liebe.

Am Morgen später ging die Cläre wieder hinunter in den Garten. Der Meister und die Meisterin waren noch nicht aus ihrer Schlafstube heruntergekommen, aber in der Schmiede ging es schon lustig her, nur der Ludwig Preuß war noch nicht da.

Der Altgeselle stand vor seinem Ambos und hämmerte, daß die Funken stoben. Und die Gesellen standen hinter ihm, und während sie hämmerten und Nägel schmiedeten, sprachen sie von dem Ballfest heute Nacht und zerbrachen sich den Kopf, ob der Ludwig Preuß wohl ein richtiger Schlossergesell sei.

Die Cläre hörte es in der Ferne, als sie so sprachen, und ging in die Laube mit ihrem Nähzeug. Es war ein Stück von ihrer Aussteuer, denn die Mutter hatte gesagt, die Aussteuer müsse so nach und nach fertig genäht werden, und dann würde die Cläre sich schon fügen und den Hans Werner heirathen.

Sie war gar nicht zu Bett gegangen, ihr Herz hatte es nicht gelitten, denn es schlug gar so unruhig, und gar manche Gedanken waren ihr durch das kleine Köpfchen gegangen und gar wunderliche Stimmen hatten in ihrem Herzen gesungen und geklungen, hatten gesungen: ,Ich liebe ihn! ich liebe ihn! O, wenn der mich heirathen wollte, ach, dann wäre es eine selige Lust und nimmer würde ich Nein dazu sagen. Ich liebe ihn! ich liebe ihn!’ Aber dann hatte ihr Köpfchen dagegen gesprochen und hatte gesagt: ,Thörichtes Kind, wie kannst Du ihn lieben, kennst ihn ja gar nicht; es wird wohl so ein toller Bursche sein, der von weit her kommt und sich ein Späßchen macht, gleich viel, ob die Cläre nachher dasitzt und weint und an ihn denkt. Sei vernünftig, Cläre! sei vernünftig!’

Sie hatte sich das immer wiederholt: ,Sei vernünftig, Cläre!’ und so oft es in ihrem Herzen schrie und jauchzte und jubelte:

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