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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Mannes, dem das Wohl seiner Nebenmenschen am Herzen liegt, und es wurde mir die Zweite preußische Kriegsdenkmünze zuerkannt. Da ich während der hundert Tage aus leicht begreiflichen Gründen verweigerte, als Chirurg in die preussische Armee zu treten, wurde ich als Kriegsgefangener in Berlin zurückgehalten. Ich hatte damals noch nicht das zwanzigste Jahr erreicht, besaß ein leidliches Aeußere und wußte mich durch die Gabe der Stimmtäuschung überall angenehm zu machen. Der damalige französische Gesandte am preußischen Hofe, Herr von Caraman, der mich lieb gewonnen hatte und, obgleich für die Bourbonen schwärmend, doch meinen Entschluß, keine preußischen Dienste anzunehmen, sehr billigte, sagte mir eines Tages, er sehe nicht ein, warum ich aus meinem Talente der sogenannten Bauchrednerkunst nicht einen Erwerbszweig mache.

,Trotzen Sie allen Vorurtheilen,‘ rief er, ,Sie werden es nicht bereuen?‘

Nun befand sich zu jener Zeit in Berlin eine französische Emigrantenfamilie, die gegen die bitterste Armuth kämpfte. Ich beschloß zum Besten derselben eine Vorstellung zu geben; diese glückte so sehr, daß ich sogleich die Familie als die meinige betrachtete und eine Kunstreise durch Deutschland machte, wo ich überall mit der größten Zuvorkommenheit behandelt wurde. In Deutschland begann ich auch die Sammlung meiner Autographen und Originalzeichnungen. Ich besitze jetzt an zehntausend Autographen,“ fuhr er fort, indem er auf die Mappen, Bündel und Hefte deutete, „und unter diesen sind fast sämmtliche Größen der deutschen Literatur vertreten.“

Er öffnete eine der Mappen, und ich sah sogleich folgende Zeilen von Goethe:

„Herrn Alexander wüßte nicht entschiedener meinen Beifall auszusprechen, als durch die Erklärung: daß ich allen denen ihm schon ertheilten Zeugnissen mit Vergnügen beistimme. Zu empfehlen weiß er sich selbst.

Diese Zeilen waren von Jena, 8. Juni 1818, datirt.

Ich bewunderte auf diesem Blatte den Abdruck eines Siegels, einen prachtvollen antiken Kopf darstellend.

„An dieses Siegel knüpft sich eine interessante Erinnerung,“ sagte Vattemare. „Man hat von vielen Seiten behauptet, Goethe sei kalt und steif gewesen. Es war natürlich, daß er sich gegen Diejenigen zugeknöpft zeigte, die ihn aus bloßer Neugierde besuchten. Gegen mich war er die Liebenswürdigkeit selbst. Ich hatte ihm einige Proben meines Talentes gegeben, und er schien mit mir sehr zufrieden. Als ich ihm meinen Wunsch zu erkennen gab, eine Handschrift von ihm zu besitzen, ging er sogleich an den Schreibtisch. Er hatte mir die Zeilen bereits eingehändigt, als er sie wieder zurückforderte und, das Siegel aus einer Schublade nehmend, sagte: ,Ich habe soeben dieses Siegel zum Geschenk erhalten, wir wollen nun sehen, wie sich der Abdruck auf dem Papier ausnimmt.’

Wir betrachteten Beide den Abdruck mit Wohlgefallen, und der alte Goethe wünschte mir dann mit einem Lächeln, das ich niemals vergessen werde, und in den liebenswürdigsten Ausdrücken viel Glück auf meinen Irrfahrten.“

„Sprach er Französisch mit Ihnen?“ fragte ich.

„Ja, und er drückte sich mit Bequemlichkeit im Französischen aus; er unterbrach jedoch mehrere Male das Französische durch deutsche Sätze, da er wußte, daß ich Deutsch ziemlich gut sprach und sehr gut verstand.

So oft ich später mit einer Berühmtheit zusammenkam,“ fuhr Vattemare fort, „mußte ich immer von meinem Besuche bei Goethe sprechen; am begierigsten, etwas über die Persönlichkeit des großen Dichters zu erfahren, zeigte sich Walter Scott, den ich im Frühling 1824 kennen lernte. Das war ein Mann! Eine biederere, schlichtere, wohlwollendere Natur läßt sich nicht leicht denken. Ich wurde von ihm und seiner vortrefflichen Gattin wie ein Sohn behandelt, und die heiteren Stunden, welche ich bei ihm in Abbotsford und in Edinburgh zubrachte, werden niemals aus meiner Erinnerung schwinden.“

Indem er diese Worte sprach, zeigte er mir eine sehr gelungene, in einer Messingkapsel befestigte Bronzemedaille, auf welcher der interessante Kopf Walter Scott’s vortrefflich geprägt war. Auf der Rückseite der Kapsel wären die Worte gravirt: „Mr. Alexandre with I ady Scott's best compliments. Edinburgh, 15. May 1824.

„Diese Medaille,“ sagte Vattemare, „sendete mir Lady Scott vor meiner Abreise von Schottland. Wie fast alle geniale und thätige Menschen, liebte Walter Scott einen guten Spaß. Eines Tages führte er mich bei einem Doctor Taylor in Edinburgh ein. Das war ein alles, kleines putziges Männchen mit einem fast fratzenhaften Gesichte. Nach einer kurzen Unterhaltung mit demselben empfahlen wir uns, und Walter Scott fragte mich, ob ich im Stande wäre, die Physiognomie dieses Doctors und sein Gebahren genau nachzuahmen. Ich antwortete ihm, daß mir dies nicht die mindeste Schwierigkeit verursachen würde. In der That hatte ich mir die sonderbare Gestalt des Doctors genau in’s Gedächtniß eingeprägt und konnte ihn auf’s Täuschendste nachahmen. Walter Scott war sehr zufrieden und führte mich, als ich mir einen Anzug verschafft, wie ihn der Doctor trug, und eine Perrücke aufgestülpt hatte, zu einem Bildhauer, der mich alsbald als den Doctor Taylor begrüßte und meinem Wunsche, in einer Büste von ihm portraitirt zu werden, gern entgegenkam. Der Bildhauer begab sich sogleich an’s Werk und modellirte tüchtig darauf los. In der vierten Sitzung sollte die in Thon modellirte Büste vollendet sein. Walter Sott wollte dieselbe in Gyps vervielfältigen lassen und dem Doctor selbst und dessen Bekannten eine Ueberraschung bereiten. Ich meinerseits wollte aber auch Walter Scott überraschen und bat ihn, der vierten Sitzung beizuwohnen. Er willigte gern ein. Wie in den früheren Sitzungen, sprach ich mit dem Bildhauer englisch und hüstelte und räusperte mich wie der Doctor. Nach einer Stunde sagte der Bildhauer, er betrachte die Arbeit als vollendet, worauf ich bemerkte, daß er an dem Schläfenhaar eine kleine Veränderung vornehmen müßte; während er aber dies that, warf ich rasch die Vermummung ab. Als sich nun der Künstler umdrehte und statt des kleinen, verhutzelten Männleins einen jungen, blonden, schlankgewachsenen Menschen sah, stand er einen Augenblick wie erstarrt, und um sein Erstaunen noch zu vermehren, sagte ich ihm in französischer Sprache: Ich danke Ihnen, mein Herr, für die prachtvolle Büste, die an Aehnlichkeit gewiß nichts zu wünschen übrig läßt und Ihrem Talent alle Ehre macht.‘ Walter Scott, der sich bisher in einer Ecke des Ateliers gehalten, strengte sich an, ernsthaft darein zu schauen, konnte aber doch, als er das verdutzte Gesicht des Künstlers sah, am Ende das Lachen nicht mehr zurückhalten. Wir klärten nun Beide den Künstler über den Scherz auf, den wir uns mit ihm erlaubt hatten; er ließ sich jedoch nicht früher überzeugen, als bis ich mich wieder in der früheren Vermummung vor ihm niedergesetzt hatte.

Dieser muthwillige Scherz,“ fuhr Vattemare fort, „wurde bald nicht nur in Schottland und England, sondern, ich darf es sagen, in ganz Europa bekannt, und als ich acht Jahre später München besuchte, schrieb mir König Ludwig, er wünschte den Namen des schottischen Doctors so wie des Bildhauers zu erfahren.“

Vattemare zeigte mir den Brief des Königs. In diesem Briefe kam die Phrase vor: „Quoique peu de temps à ma disposition, j'aime à écrire à un artiste si célèbre comme vous.“ Man sieht, König Ludwig schrieb Französisch, wie er Deutsch schrieb, nur daß er im Französischen, wie ich aus dem Briefe ersah, die derbsten grammatikalischen und orthographischen Schnitzer machte.

„Der König von Baiern,“ sagte Vattemare, „war die personificirte Neugierde. Als ich ihn besuchte, zog er sich mit mir in ein kleines Cabinet zurück und bestürmte mich mit unzähligen Fragen. Er sprach auch viel von Goethe, der einige Monate vorher mit Tod abgegangen war, und äußerte zu wiederholten Malen mit sichtbarem Stolze, daß er sich dessen Freundschaft erfreut habe.

Zur selben Zeit lernte ich sämmtliche große deutsche Dichter persönlich kennen, und sie gaben nur alle mit der größten Bereitwilligkeit einen Beitrag für mein Album, das bereits mehrere tausend Handschriften enthielt. Ich erinnere mich noch mit vielem Vergnügen Ludwig Tieck’s, der damals schon kränkelte und meiner Vorstellung, die ich in Dresden gab, nicht beiwohnen konnte. Ich bat ihn um einige Zeilen für meine Sammlung und erhielt von ihm folgenden Brief:

,Meine Krankheit ist mir oft hinderlich und raubt mir so manches Erfreuliche. So hat sie mich zu meinem großen Verdrusse gehindert, Ihr so allgemein bewundertes mimisches Talent

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