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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

manchem Mädchen, es wird gepflückt zum Staat und gleich nachher unter die Füße getreten, daß nichts von all’ der Schönheit mehr übrig bleibt.

„Mir soll es nicht so gehen! Nein, mir nicht!“ rief sie keck. „Ich will mich nicht pflücken lassen einem Andern zum Plaisir, um dann weggeworfen zu werden!“

Wie kam sie nur zu der Betrachtung, und was ging ihr durch den Sinn, daß sie an so etwas nur denken mochte?

„Wie sind wir doch grausam, wir Menschen!“ sagte sie dann kopfschüttelnd und nahm das schöne Stiefmütterchen, das traurig das Köpfchen senkte, nahm’s und preßte es an ihre Lippen. „Du arme Blume, habe ich dir weh gethan?“

„O Jungfer Cläre, wie beneidenswerth ist die Blume, und ich möchte, ich könnte an ihrer Stelle sein!“

Sie zuckte zusammen und sah sich um. Da stand der Ludwig Preuß hinter ihr. Nicht im Schmiedeanzug heut’, denn es war Sonntag und Kirchenzeit; da wird nicht gearbeitet, das ist der Gottestag. Es war der Ludwig Preuß im Sonntagsrock, und prächtig sah er aus. Es war derselbe Anzug, in dem sie ihn zuerst gesehen und den sie nicht vergessen hatte.

„Gott grüß Euch, Jungfer Cläre.“

Sie nickte stumm und raffte hastig ihre Blumen zusammen. „Was wollt Ihr mit den häßlichen zertretenen Dingern, Jungfer Cläre?“ fragte er und trat vorwärts.

Sie stand am Eingang der Laube, und es machte sich nicht anders, sie mußte eintreten in dieselbe, denn er kam hinter ihr und drängte sie fast hinein. Es war ihr so schwach in den Füßen und nur darum setzte sie sich auf die Bank nieder, und gleich nahm er Platz dicht neben ihr.

„Mosje Ludwig Preuß,“ sagte sie, auf die zertretenen Blumen hinschauend, „ich will Euch etwas sagen: Es schickt sich nicht, daß Ihr Euch so neben mich setzt. Wenn Jemand draußen vorüberginge und es sähe –“

„Nun, was dann?“ fragte er, da sie verstummte. „Was meint Ihr, was der Jemand sagen würde? Meint Ihr nicht, daß der sagen würde: das ist ein Liebespaar, und die Jungfer Cläre, die sonst so spröde, so stolz und schnippisch ist, hat, wie es scheint, sich einen Liebsten angeschafft. Meint Ihr nicht, Jungfer Cläre, daß sie das sagen würden?“

Sie hatte gesenkten Blickes ihm zugehört und nun schwieg sie einen Moment.

„Ja,“ sagte sie dann rasch das Haupt erhebend, „ja, das würden sie sagen. Und das will ich nicht, und darum, Mosje Ludwig Preuß, setze Er sich drüben auf die Bank nieder.“

Er stand auf und that, wie sie es ihm befohlen, setzte sich ihr gegenüber auf die Bank, und der Tisch mit den verwelkten Blumen war zwischen ihnen. Und die nahm er auf, hielt sie in der Hand und ließ sie dann, eine nach der andern, auf den Tisch niederfallen.

„Möcht’ wissen, wer so grausam gewesen ist, die armen Dinger zu zertreten. Ich könnt’s nimmer thun, Jungfer Cläre, könnt’ niemals eine Blume, die ich gepflückt, so achtlos niederfallen lassen und unter meine Füße treten.“

Da zuckte die Cläre zusammen und die Gedanken fuhren ihr wieder durch den Sinn, die sie vorhin gehabt.

Hatte er die Gedanken auf ihrem Angesicht gelesen, und war es deshalb, daß die großen braunen Augen, die so funkelten wie Sterne und so leuchteten wie die Sonne, daß die auf sie gerichtet waren? und war es deshalb, daß er lächelte?

„Wer hat es gethan, Jungfer Cläre?“

„Ich habe es gethan,“ sagte sie barsch, „und es hat Niemand drüber zu reden, es sind just meine Blumen! Ich hatte sie gepflückt, und dann nachher hatte ich einen Schreck und ließ die Blumen fallen und trat auf sie, nicht um ihnen wehe zu thun, nur weil ich im Schreck nicht daran gedacht.“

„Und so stirbt manche Blume, Cläre,“ sagte er lächelnd.

„Kennst Du nicht das schöne Lied vom großen Meister Goethe? Das Lied vom zertretenen Veilchen?“

Sie schüttelte das Haupt und sah ihn an und fragte nach dem Lied.

„Soll ich’s Euch sagen, Jungfer Cläre?“

Sie bat darum. Wenn er es auswendig wüßte, möcht’ er’s sagen, sie höre gar zu gern hübsche Lieder.

Da nickte er, und mit halblauter Stimme begann er das schöne Lied vom zertretenen Veilchen:

Ein Veilchen auf der Wiese stand
In sich geblickt und unbekannt –
Es war ein herzig Veilchen etc. etc.

Sie schaute zu ihm hin mit den großen blauen Augen, athemlos, ganz gespannt auf seine Worte, schaute ihm tief in das Angesicht, tief in die braunen Augen. – Still war es um sie her, ganz still.

Die Blumen standen auf ihren Stielen hoch aufgerichtet, als horchten auch sie auf die herrlichen Worte, die noch nie in diesem Raum erklungen waren. Der Wind zog leise zuweilen über die Blüthen hin und kräuselte die Blättchen an der Laube. Zuweilen kam ein Schmetterling daher geflogen und setzte sich auf das Blattwerk, als horchte er. – Und athemlos und klopfenden Herzens schaute Cläre immer noch in das erglühende Gesicht und auf die Lippen, die zu ihr so schöne Worte sprachen.

Fern her von dem Kirchthurm begann jetzt auf einmal das Geläut der Glocken. Sie riefen die Gläubigen zur Kirche hin, zur Sonntagsfeier.

Nie hatte Cläre bis zum heutigen Tag bei dieser Feier gefehlt, nie die Kirchenstunde vergessen. Aber jetzt, wie sie so da saß in der Laube und auf die Worte horchte, die von des jungen Mannes Lippen tönten, und wie es so duftig und hell und sonnenscheinig um ihn her war, da schien es ihr, als beginge sie auch eine Gottesfeier, und die Glocken tönten tief in ihr Herz hinein und klängen laut und hell. – O, selig ist es in Gottes Schöpfung und selig ist es ein Mensch zu sein!

Ach, aber ach, das Mädchen kam
Und nicht in Acht das Veilchen nahm,
Zertrat das arme Veilchen.

Die Cläre zuckte zusammen und das Blut trat ihr aus den Wangen fort, und er selber, wie er so sprach, schien ganz bewegt davon und sah sie an mit großen feurigen Augen. Und er sprach doch weiter, declamirte weiter, ganz leise nun mit zitternder Stimme:

Und sterb’ ich denn,
So sterb’ ich doch
Durch sie zu ihren Füßen dort.

„O Cläre, es wäre selig so zu sterben zu Deinen Füßen!“

Ein leiser Schrei tönte von ihren Lippen, denn da lag er vor ihr auf den Knieen, die zertretenen Blumen um ihn her – und da faßte er ihre Hand und drückte sie an seine Lippen, und der Kuß fuhr ihr wie ein Blitz durch’s Herz und alle Adern hin und es benahm ihr fast die Sinne.

„Steht auf! – steht auf! – ich kann’s nicht dulden ! Steht auf, – Ludwig Preuß!“

„Nein, Cläre, ich stehe nicht auf, sieh’ mich an und sage mir, daß Du nicht böse auf mich bist.“

„Und weshalb sollte ich böse sein? Nein! Doch ich bitt’ Euch, steht auf!“

Er stand auf, und diesmal merkte sie es nicht, daß er sich dicht neben sie setzte, und merkte es nicht, daß er ihre Hand fest in der seinen hielt.

„O Cläre, wie freue ich mich auf heute Abend! Es wird ein prächtiges Fest sein, und Niemand kann es mir wehren, Dich heute Abend in meinen Armen zu halten, Du süße, holde Cläre! Darfst keinen andern Tänzer nehmen, als mich allein, meine Tänzerin bist Du für den ganzen Abend!“

„Nein, das geht nicht! Nein!“ murmelte sie. „Die Leute würden darüber reden. Und ich mag auch nicht, ich will nicht!“

Der alte kecke Sinn regte sich wieder in ihr, und sie stieß ihn zurück.

„Steht auf, Ludwig Preuß! – Hab’s Euch schon einmal gesagt: es ziemt sich nicht, so nahe bei einem ehrbaren Mädchen zu sitzen. Steht auf! Ich habe auch noch zu thun für heute Abend, ich habe mein Kleid noch herzurichten.“

„Hast Dein Kleid herzurichten? Ist der Ballstaat noch nicht fertig, Jungfer Cläre?“

Wie er sie so lächelnd und fragend ansah, da fuhr es ihr wieder durch den Sinn: er hat dir das Kleid geschickt! – Und da regte sich wieder der Stolz des reichen Bürgermädchens, und sie blickte ihn an, gerade in’s Gesicht.

„Mosje Ludwig Preuß! weiß Er vielleicht von dem weißen Kleide, das hier in der Laube gelegen?“

Er machte ein ganz ernsthaftes Gesicht und schüttelte das Haupt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_419.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)