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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

3. Das weiße Kleid.

Die Nacht vor dem Balle hatte die Cläre gar nicht geschlafen. Warum nicht? Sie konnte es nicht sagen und wußte es selber nicht. Es war nur die Freude und Erwartung, denn gewiß wird’s ein prächtiges Fest, und sie erröthete, als sie das dachte; – und der hübsche Schlossergesell, der Ludwig Preuß, wird gewiß mit ihr tanzen, mehr als einmal vielleicht. Der Vater ist ja ganz entzückt von ihm; nie hat’s einen prächtigeren Menschen gegeben und ein pfiffigeres Blut, als wie der gewesen ist gestern Abend auf dem Schmaus.

„Die Zunftmeister sind alle entzückt von ihm, und die Gesellen glotzen ganz wüthig hinter ihm her,“ hat der Vater gesagt, „denn sie wissen, daß es keiner mit ihm aufnehmen kann.“

„Nein, wirklich keiner,“ sagte die Cläre leise zu sich selber, und dann lachte sie, als sie an den Hans dachte, der sich einbilden konnte, sie heirathen zu wollen – sie! – „Ja, wenn er wäre wie der Ludwig Preuß. Aber es giebt nicht viele wie der, und der – nun, der wird schon längst ein Liebchen haben. Ist so reich, und Schlosser ist er ja auch nur zum Vergnügen. Wie lange wird’s dauern, und dann kann er einen Brettnagel schmieden. Adieu, adieu dann! – ’s wird Niemand ihm nachweinen. Ich nicht!“ sagte Cläre ganz laut und sprang aus dem Bett, um sich anzukleiden.

Sie wollte das buntgeblümte Zitzkleid noch plätten und die Schleifen recht schön daransetzen zur Verzierung. Und eigentlich wäre es hübsch, wenn man zwischen die Schleifen immer ein paar Blumen setzte. Natürliche Blumen, – so ein paar Veilchen und Stiefmütterchen, wie sie unten im Garten auf ihrem Beet hat.

Sie ging hinunter und theilte ihrer Mutter mit ehrbarer Miene diesen Gedanken mit. Und die nickte und gab ihre Einwilligung dazu. Und Cläre trank nun hastig zum Morgenimbiß ein Glas Milch, und dann ging’s hinaus in den Garten.

Die Sonne schien prächtig und ließ die Thautropfen in allen Blumen wie Brillanten erglänzen.

„Ja, wenn die Brillanten sich halten wollten bis zum Abend, das würde prächtig aussehen, diese Blumen mit den Brillanten.“ Und doch that es der Cläre leid, wie sie sich nun neigte und die schönen Stiefmütterchen, die so ernst und kokett sie anschauten, von ihren Stengeln brach. „Aber es muß sein, Cläre muß heute Abend schön aussehen!“

Die Blumen sammelte sie in ihrer Schürze, legte sie sorgfältig eine auf die andere, als würde sie ihnen wehe thun, wenn sie so durcheinander geworfen würden, und dann trippelte sie, die Zipfel der Schürze vorsichtig haltend, in die Laube hinein.

Und nun auf einmal schrie sie laut auf und ließ vor Erstaunen die Zipfel fallen, daß alle Blumen aus derselben vor ihren Füßen niederfielen.

„O je, – o Gott, – was war denn das?“

Da lag auf der Bank, wo sie immer zu sitzen Pflegte, ausgebreitet ein weißes Kleid mit Rosenbouquets unten am Saum verziert und dazu eine lange, rothe Schleife mit einem Gürtel daran. „O je, wem könnte das Kleid gehören?“

Ein Zettel stak daran, und um ihn zu lesen, schritt Cläre, nicht achtend der Blumen, die zu ihren Füßen lagen, über sie hin, und zertrat sie alle, die schönen, armen Blumen. Den Zettel, den vor allen Dingen mußte sie lesen.

Und als sie es that, da ward ihr Antlitz ganz dunkelroth und dann erblaßten die Wangen wieder und ein Zittern durchflog ihre Gestalt.

Auf dem Zettel stand: „An Jungfer Cläre. Zum Ballfest heut’ Abend.“

Von wem konnte das Kleid kommen? Wer hat daran gedacht, es ihr zu geben, wer hat ihr diese Freude bereitet – wer? Sollte es der Vater gewesen sein? Nein, Väter denken nicht an so etwas und machen keine Ueberraschungen. Die Mutter sicherlich auch nicht, denn die meinte ja, das Zitzkleid wäre so schön, und ganz unnöthig wäre es, ein neues anzuschaffen. Wer kann es gegeben haben? So fragte sie mit den Lippen, aber in ihrem Herzen tönte es laut und freudig: Er hat es gethan – er! –

Sie stieß das Kleid zurück. „Ich will’s nicht tragen, nein! Meister Kleemann ist reich genug, um seiner Tochter ein neues Kleid zu schenken, wenn’s nöthig ist. Es braucht’s nicht, daß ein fremder Mann hierher kommt und Meister Kleemann’s Tochter Kleider schenkt. Sie kennt ihn ja gar nicht, will’s nicht annehmen von ihm.“

Aber hübsch war es doch, das Kleid, von geblümtem Mull, und unten die Rosenbouquets so allerliebst. Kein Mädchen wird auf dem Ball sein mit solch’ einem Kleide, und sie werden sie Alle beneiden, Alle. Wie schade, daß gerade der fremde Mosje es ihr gegeben hat! Es ist unmöglich, sie kann’s nicht annehmen und sie will’s auch nicht.

Keinen Blick mehr warf sie auf das Kleid, sprang, ohne die Blumen zu beachten, aus dem Garten fort und hin zu ihrer Mutter und erzählte ihr die seltsame Mähr. Und dann gingen sie Beide zum Vater, der in der Schmiede war, und sagten es ihm auch.

Und der sagte: „Ich habe es wahrhaftig nicht gethan, da drauf kannst Du Dich verlassen, Cläre.“

„Und wer kann es denn sonst gethan haben?“ fragte die Mutter. „Wem kann’s einfallen, ein so prächtig Kleid der Cläre zu schenken? Wir wollen es doch ansehen, Vater.“

Er legte den Hammer hin, und die beiden Alten gingen in die Laube, und Cläre hüpfte ihnen voran und holte das Kleid hervor und hielt es triumphirend in die Höhe.

„Seht nur, seht, wie prächtig das ist!“

Die Mutter schrie laut auf vor Entzücken und hockte sich nieder neben dem Kleid, das Cläre hoch in die Luft hielt, und betrachtete es aufmerksam und ganz andächtig. Und der Vater stemmte die Hände in die Seiten, sah es auch an und schüttelte das ehrwürdige Haupt.

„Es sieht aus wie ein Brautkleid, Cläre, und weißt Du, was ich mir denke: Hans hat es geschickt aus Magdeburg. So ein Ding wie das da ist nicht hier in Burg gemacht; es wird es Jeder wissen, daß es von auswärts gekommen, und darum behaupte ich, der Hans hat es Dir aus Magdeburg geschickt.“

„Nein, das ist nicht wahr!“

Und bei dem Gedanken schon ließ sie das Kleid los, und es wäre zur Erde gefallen, wenn die Mutter es nicht sorgsam festgehalten hätte.

„Das ist nicht wahr! Hans denkt nicht daran, mir ein solches Kleid zu schenken, und wenn er es gethan hat, nehme ich es nicht an, ich mag’s nicht!“

„Was das nun für dumme Gedanken sind: Wenn er es gethan hat, nehme ich es nicht an! Der Hans ist Dein Bräutigam!“

„Nein, Vater, das ist er nicht, und Geschenke nehme ich nicht von ihm an!“

„Er ist Dein Bräutigam!“ rief der Alte heftig.

Aber die Mutter legte ihm die Hand auf die Schultern und flüsterte ihm zu: „Laß sein, Alter. Du weißt, sie ist störrisch. Es wird sich schon geben, wenn die Wohnung hergerichtet ist und Alles vorbereitet. Dann werden wir sie schon zur Raison bringen; laß sie nur.“

„Glaubst Du es auch, Mutter?“ fragte Cläre. „Glaubst Du es auch, daß mir Hans das Kleid geschickt hat?“

Sie nickte. „Bin überzeugt davon. Es wird sich sonst auch Keiner unterstehen und herausnehmen, Dir ein Kleid zu schicken. Hans hat es gethan.“

„Dann thut es mir leid,“ sagte Cläre achselzuckend, „ich ziehe das Kleid nicht an, und übrigens gefällt es mir auch gar nicht! Mein Zitzkleid mit den Blumenbuquets ist viel hübscher als das. Ich habe es von dem Vater, und was mir der Vater schenkt, ist mir lieber, als was mir Hans schenkt. Ich ziehe mein Zitzkleid heute Abend an und putze es schön aus mit Blumen.

O je, die schönen Blumen! Seht, Mutter, da liegen sie an der Erde! Ich hatte sie mir gepflückt, und vor Schreck habe ich sie fallen lassen und habe darauf getreten. Arme, kleine Blumen, ihr wäret so schön und sahet so lustig drein!“

Sie kniete nieder neben den Blumen und hob sie auf mit so trauriger Miene, als wenn es Leichen wären und sie über Todte jammerte. Sie blieb neben ihnen sitzen und legte sie dann auf den Tisch, um noch von ihnen ein paar herauszusuchen, die nicht gar zu schlimm zertreten waren.

„Wie leid es mir thut!“ sagte sie vor sich hin und merkte es gar nicht, daß die Alten fortgegangen wären, wieder in’s Haus hinein, und daß die Mutter das schöne Kleid mit fortgenommen hatte. Sie dachte nur an ihre Blumen, und Manches ging ihr dabei durch den Sinn. Und an sich selber dachte sie. So geht’s wohl

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