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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Mantel wieder an, und er bestieg die Bühne von Neuem. Als nun die Reihe an den Landschreiber kam, wiederholte sich der nämliche Vorgang. Der Landschreiber und der Landweibel sind die einzigen wirklich, das heißt, so besoldeten Beamten des Ländchens, daß sie von ihrem Amte leben können; diese beiden Stellen allein sind nicht bloße Ehren-, sondern auch Brodämter. Es war daher früher üblich, daß bei Erledigung derselben durch Tod, Resignation oder dergleichen die Bewerber auf die Bühne traten und das Volk um ihre Ernennung bitten durften. Dabei fielen denn oft recht klägliche und entwürdigende Scenen vor.

Der Verfasser dieser Zeilen sah selbst vor mehreren Jahren einen solchen Candidaten, dem nach Uebung zu diesem Zwecke der schwarzweiße Weibelmantel umgehängt worden, auf der Bühne auf die Kniee fallen und das Volk um Gnade für seine armen „ungezogenen“ (statt „unerzogenen“) Kinder bitten. Man erzählt übrigens auch Witze, die bei solchen Gelegenheiten vorkamen. Jemand soll einem Weibelcandidaten zugerufen haben, er sei zu klein und schmächtig, um einen Dieb abzufassen. Dieser aber, nicht verlegen, entgegnete mit echt appenzellischer Schlagfertigkeit: „Es ged (es giebt) nüd luter dera großa wie Du bist.“ Alle naturwüchsigen Innerroder dutzen sich nämlich und erlauben sich dies, jedoch immer seltener, bisweilen auch gegen Fremde. Ob solche Scenen sich wieder ereignen könnten, wissen wir natürlich nicht. An der heutigen Landsgemeinde kamen die beiden Stellen nicht in Frage und ihre beiden Inhaber wurden wieder gewählt, wofür sie mit ruhigen, würdigen Worten, ohne alle Kriecherei, dankten.

Gerade das Gegentheil von Bewerbung findet bisweilen bei den unbesoldeten Aemtern statt. Jeder Landmann ist nämlich verpflichtet, ihm von der Landesgemeinde übertragene Aemter anzunehmen. Es giebt kein Mittel, ihnen zu entgehen, als die Auswanderung. So hatte gerade heute ein solcher seine Demission mit der Bemerkung anzeigen lassen, er habe, um eine Wiederwahl zu verhindern, sein Haus verkauft und das Land verlassen, und so mußte er ersetzt werden. Es dauerte lange, bis die für ein so kleines Gebiet sehr große Anzahl von elf Regierungsgliedern gewählt war, die alle ihre charakteristischen Titel führen. Es sind: die beiden Landammänner, der Landesstatthalter, der Landseckelmeister (Finanzminister), der Landeshauptmann (Kriegsminister), der Landesbauherr (Director der Bauten), der Landesfähnrich, der Armenleutenseckelmeister, der Armenleutenpfleger, der Landeszeugherr und der – Reichsvogt! Sonderbar, aber wahr: in Appenzell-Innerroden besteht das heilige römische Reich deutscher Nation dem Namen nach immer noch. Der Reichsvogt führt die Aussicht bei – Hinrichtungen, welche bekanntlich im ehemaligen Reiche nicht ohne kaiserliche Autorität vollzogen werden durften. Es kommen solche übrigens selten mehr vor.

Endlich war die Wahlfolter beendigt und das Hauptgeschäft des Tages, die Revision, kam an die Tagesordnung. Der Landammann eröffnete über dieselbe die Discussion. Bange Erwartung lag über der Versammlung und den Zuhörern. Der Himmel hatte sich verdüstert, durch die dunkeln Heere seiner Wolken den letzten Sonnenstrahl verdrängt und einzelne Regentropfen begannen zu fallen. Aber die Mannen der Berge ließen sich hierdurch nicht irren und harrten mit entblößten Häuptern auf dem Platze aus.

Nur ein Mann übernahm die undankbare Aufgabe, gegen den Fortschritt zu sprechen; es war der College des Vorstandes der Versammlung, der „stillstehende Landammann“, Herr Broger. Aber auch er wagte es nicht, die Nothwendigkeit einer Reform zu leugnen; er wollte blos Verschiebung. Seine Gründe widerlegte bündig der Rathsherr Julius Dörig (dieser Familie gehören sämmtliche Berg-Gastwirthe des Appenzellerlandes und die besten Fremdenführer an), und den Ausschlag gab eine kräftige Philippika des Landammanns Rechsteiner gegen den Schlendrian. Mit Jubel flogen sämmtliche Hände für Vornahme einer Revision in die Höhe, keine einzige dagegen, und Bravos erschallten aus dem Munde der zuhörenden Nichtappenzeller. Und nun folgte noch die langwierige Wahl einer Revisions-Commission von sieben Mitgliedern; sie fiel außer dem genannten Broger auf lauter Reformfreunde. Dieser Zahl fügte dann noch jede Rode, deren Mitglieder sich nach der Landsgemeinde noch besonders versammelten, zwei weitere Mitglieder bei, so daß Innerroden einen Verfassungsrath von vierundzwanzig Mitgliedern besitzt. Die Landsgemeinde aber schloß nach alter Uebung mit dem feierlichen Eide, den sämmtliche Landleute, die Hände gen Himmel erhoben, mit lauter Stimme nachsprachen und in welchem sie gelobten, dem Lande und seinen Gesetzen treu zu sein. Es sind dies Momente, in denen ein unwillkürlicher Schauer das Herz des Vaterlandsfreundes hebt.

Hoffen wir nun, es werde mit dem Werke der Reform erfreulicher gehen, als im Jahre 1853. Damals wurde ebenfalls die Revision beschlossen, der fertige Entwurf aber im nächsten Jahre von der Landsgemeinde verworfen. Wird die Arbeit des Verfassungsrathes eine rationelle, volkstümliche, Freiheit und Fortschritt begünstigende und stimmt ihr die nächste Landsgemeinde bei, dann werden die beiden letzten Aprilsonntage von 1868 und 1869 in der Geschichte der Schweiz als Ehrentage von Appenzell-Innerroden glänzen.

Otto Henne-Am Rhyn.




Die Johannisfeier im heiligen Köln.

Mit wie berechtigten, Stolze wir auch der Vorzüge unserer Zeit gegenüber einer vorangegangenen uns rühmen, so giebt es doch auch so Manches, bei dessen Vergegenwärtigung wir Grund genug haben, den Blick recht demüthig zu Boden zu schlagen und die Ueberlegenheit unserer Vorfahren anzuerkennen.

Sonst war es jedem Privatmann, der über die Mittel verfügen konnte, Bedürfniß, das Einerlei des Alltäglichen durch die Pflege, das Nothwendige durch die Weihe der Kunst zu verschönen. Brunnen, Bauten, Wandmalereien und Alltagsgeräth erzählen uns davon, wie man es verstanden, den Funken der Göttlichkeit auch da hinein leuchten zu lassen, wo uns heute die nackteste Alltäglichkeit, der roheste Materialismus ohne jede verschönernde Hülle entgegentreten. Nur erst in der neuesten Zeit hat man angefangen, einen Schritt zum Besseren zu thun und in: Allgemeinen zu begreifen, daß der Künstler nicht ein überflüssiges Glied der großen Kette ist und daß er seine hohe Mission empfangen hat, ebensowohl wie der Lehrer der Religion und Moral, daß der monumentalen Kunst eine Aufgabe zugefallen, die durch nichts Anderes gelöst werden kann. Wo kein Wort mehr Boden findet, vermag oft ein Stein, ein Bild oder ein Tonwerk vielleicht ein gedeihliches Korn zu pflanzen, und wir dürfen uns dessen dankbar erinnern, daß die sächsische Kammer vor Jahren den Beschluß faßte, eine Summe für monumentalen Schmuck öffentlicher Gebäude etc. zu bestimmen.

Leider ist auch der kindliche Sinn, der in staunender Hochachtung das Kunstwerk nur auf sein Gemüth wirken ließ, die Unbefangenheit, die dazu gehört, sich am Schönen wahrhaft zu erfreuen, verloren gegangen; der Geist der Zeit betrachtet in der Regel alles derart Gebotene nur als dazu vorhanden, das Licht seiner reifen oder unreifen Beurtheilung darüber leuchten zu lassen, und der Genuß, von Anderen, wie er sich einbildet, für einen Kunstverständigen gehalten zu werden, ist sehr häufig die einzige Wirkung, die ein solches Kind unserer Zeit davon trägt. Doch wird auch diese Durchgangsperiode überwunden werden und einer besseren Platz machen.

Unter diejenigen Städte nun, die angefangen haben, in der Weise ihrer Väter die Kunst zu pflegen, gehört auch Köln, und abgesehen von den durch Privatleute hervorgerufenen nicht unbedeutenden Meisterwerken, hat die Stadt in der Ausschmückung des kleinen Gürzenichsaales einen Anfang gemacht, der freilich so sehr bedauern läßt, daß es eben nur ein Anfang geblieben, daß der Genuß des Gebotenen wesentlich dadurch beeinträchtigt erscheint. Die Verstimmung über die Engherzigkeit, die nach einem solchen Anfang auf die Fortsetzung verzichten konnte, verbittert ganz wesentlich die Freude an dem Vorhandenen. Dies Gefühl wirkt schon störend bei Besichtigung des kleinen Saales, steigert sich aber bei Betrachtung des großen, dem jeder Bilderschmuck fehlt, so sehr, daß die Empfänglichkeit für die sonstigen Schönheiten desselben fast

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