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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Empfinden, sein eigenes Ich fand er in der Gestalt des Dichters wieder, in der schönen, frischen Gestalt Egmont’s.

„Wer nur auch so ein Clärchen hätte! Ein holdes Lieb, das vertrauend sich in die Arme schmiegt und nichts verlangt und nichts begehrt als nur Liebe! O seliger, beneidenswerther Moment! Wer doch auch nur so ein Clärchen hätte!“

Er legte das Buch wieder hin und, das Haupt rückwärts gelehnt, schaute er zur Decke empor und träumte von der Vergangenheit und Zukunft, von Liebe und Glück.

Draußen auf der Straße war’s still und einsam, wie immer; nichts störte ihn in seinen Träumen und er erschrak fast vor seiner eigenen Stimme, als er jetzt laut wiederholte: „Wer doch auch so ein Clärchen hätte!“

Dann lachte er und sprang auf, trat an’s Fenster und schaute hinunter und sah der Schildwache zu, die langsam, in gleichmäßigem Schritt, vor seinem Hause auf und niederging. Wie eben der Soldat an dem zu ebener Erde gelegenen Zimmer, in welchem der Prinz sich befand, vorüber kam, begegnete zufällig der Blick des Prinzen den Augen des jungen Menschen, und er sah, daß diese trübe und vom Weinen geröthet waren.

„Hast geweint, Hans?“ fragte der Prinz den Soldaten.

Der aber schien’s nicht gehört zu haben und ging weiter im gleichmäßigen Schritt.

Als er wieder vorüber kam, fragte der Prinz zum zweiten Male:

„Hast geweint, Hans? Seh’ Dir’s ja an, drum leugne es nicht! Mach’ keine Umstände, gieb Antwort und setze Dein Gewehr ab!“

Der Soldat nahm das Gewehr bei Fuß und blieb nun vor dem offenen Fenster stehen, hinter welchem Prinz Louis Ferdinand stand.

„Nun, sag’ mir, Hans, hast sonst immer so fröhlich ausgesehen und warst ein so lustiger Bursche; was giebt’s denn jetzt, was trauerst Du?“

„Gnädigster Herr Prinz,“ sagte der Soldat, „kann nicht darüber reden, es thut mir im Herzen zu weh und weiß nicht, wie ich’s sagen soll.“

„Gieb Dir nur Mühe, Hans, es wird schon herauskommen. Was ist es, hast Schulden gemacht?“

„Schulden? Herr Gott behüt’ mich, mein Alter würd’ mich umbringen!“ rief der Soldat erschrocken. „Keine Schulden, Herr, und was würd’ der Herr Hauptmann dazu sagen?“

„Es ist wahr, ich vergaß,“ sagte der Prinz mit einem leisen Lächeln, „was ist’s denn sonst? Ist Dir Dein Liebchen untreu geworden? Nicht wahr, das ist’s? Bist ganz blaß geworden, Hans, nun sag’, hab’ ich’s errathen?“

Der Soldat nickte. „Ja, königliche Hoheit, zu Befehl, dem ist so, die Cläre will nichts mehr von mir wissen.“

„Wie? Cläre heißt sie?“ fragte der Prinz rasch, „und ist sie hübsch und jung?“

„Ja, gnädigster Herr Prinz, eine Alte würd’ ich nicht lieben, und hübsch ist sie auch, das schönste Mädchen in ganz Burg, alle Mannsleute laufen ihr nach, aber sie will von Keinem etwas wissen, ’s ist ein gar sprödes Mädel, aber gegen mich war sie doch immer gut und freundlich, und unsere beiden Alten hatten es so verabredet, daß wir uns heirathen sollten, und ’s war so ausgemacht, daß ich frei gekauft werden sollte vom Soldatendienst und dann die Bäckerei übernehmen sollte vom Alten und wir sollten uns heirathen.“

„Nun, das war ein ganz hübscher Plan, warum wird’s denn nun nichts?“ fragte der Prinz.

„Nun, weil die Cläre nicht will!“ rief der Soldat ungestüm; „hat mir geschrieben einen schändlichen Brief, möchte noch nicht heirathen und wir Beide paßten auch nicht für einander! Es thut wehe, und ich könnte heulen und schreien! O Herr Gott, da kommt der Hauptmann!“

Der Soldat nahm hastig sein Gewehr auf die Schulter und setzte seinen gleichmäßigen Gang mit ehrbarer Miene fort. Aber als der Hauptmann vorübergegangen und die Straße wieder leer war, rief der Prinz die Schildwache wieder an, wie sie jetzt vorüberkam am Fenster.

„Also Cläre heißt sie, Hans, und hübsch ist sie?“

„So schön, wie kein anderes Mädchen auf der Welt!“ betheuerte Hans, „und ich glaube, daß es auch kein einziges Mannsbild auf der ganzen Welt giebt, welches das nicht sagen muß – natürlich königliche Hoheit ausgenommen!“ verbesserte er sich dann erschrocken, „für so einen Prinzen ist das ganz etwas Anderes!“

„Wer weiß auch, wer weiß!“ lächelte der Prinz. „Trägst den Brief bei Dir von Deiner grausamen Cläre?“

Der Soldat nickte. „Trag’ ihn bei mir unter’m Rock, es brennt aber wie Nessel auf meinem Herzen!“

„So gieb ihn mir, laß mich lesen, Hans, vielleicht kann ich Dir helfen.“

Der Soldat fuhr rasch mit der Hand in den Uniformrock hinein und zog ein kleines, zusammengefaltetes Papier hervor, das er dem Prinzen durch das Fenster darreichte.

„Ich möcht’ Eure königliche Hoheit um eine einzige Gnade bitten,“ sagte der Soldat dann, zu dem Fenster hintretend und Gewehr bei Fuß setzend.

„Nun, was ist’s, Hans?“

„Ich bitte, daß königliche Hoheit die Gnade hätten, mir den Wisch noch einmal vorzulesen. Ich hab’s Lesen nicht gelernt und ich denke, es wäre möglich, daß der Feldwebel, der mir den Brief vorgelesen, es falsch gesehen hat, und wenn’s nicht allzu sehr gegen den Respect verstößt, so möcht’ ich bitten, daß Eure königliche Hoheit ihn lesen.“

„Will’s thun, Hans, hör’ zu!“

Der Prinz entfaltete das Papier, und zu dem Soldaten geneigt las er:

„Hör’, Hans, ich hab’ Dir heut’ ’was zu sagen, und will’s nicht thun mit vielen Redensarten und vielem Brimborium von Worten. Dein Vater und der meine haben gesagt, wir Zwei sollten Mann und Frau werden, aber uns haben sie nicht gefragt, und Du hast mich auch nicht gefragt, ob ich’s auch will und ob ich’s auch gern thue, daß ich Deine Frau werde. Und nun will ich Dir’s sagen ungefragt, ich habe Dich lieb von ganzem Herzen, als wärst mein eigener Bruder. Und wie kann’s auch anders sein! Wir Zwei sind ja zusammen aufgewachsen und kennen uns, so lange wir leben. Aber weißt Du, Heirathen ist ein gar schnurrig und curioses Ding, und ich meine, ich habe noch keine Lust dazu und will warten, bis Der kommt, der mir Lust macht. Du bist’s nicht. Nimm mir’s nicht übel und behalte lieb

Deine Freundin und Schwester
Cläre Kleemann.“          

„Er hat’s Alles richtig gelesen,“ murmelte der Soldat, indem er sich verstohlen und hastig eine Thräne aus dem Auge wischte.

„Weißt Du, Hans,“ sagte der Prinz, immer noch den Blick fest gewandt auf das Papier mit den großen, geschnörkelten Buchstaben, „weißt Du, Hans, Deine Cläre gefällt mir sehr. ’s muß ein prächtig Mädel sein!“

„Das ist sie auch, Herr,“ betheuerte Hans, „und darum kann ich’s gar nicht glauben, das ich sie aufgeben soll. Ich wollt’, Eure königliche Hoheit hätten sie einmal gesehen, dann würden Sie ’s wohl begreifen, daß ich so unglücklich bin!“

„Nun, wer weiß, vielleicht sehe ich sie einmal,“ sagte der Prinz gedankenvoll und lächelnd. „Wahrhaftig, ich bin neugierig, diese Cläre zu kennen! In Burg wohnt sie?“

„Ja, königliche Hoheit, in Burg. Ihr Vater ist der Schlossermeister, und mein Vater ist der Bäckermeister, die Häuser liegen eins dicht neben dem anderen, und im Garten haben wir zusammen gespielt als Kinder.“

Er konnte nicht weiter sprechen vor tiefer Wehmuth, nahm sein Gewehr auf und ging im tactmäßigen Schritte wieder dahin.

„Ich glaube,“ sagte der Prinz zu sich selber, „es giebt doch noch gute Geister und hülfreiche Genien. Sie haben vielleicht meinen Jammer gesehen, erbarmen sich meiner und senden mir das, wonach mein Herz sich seht! Senden mir ein Clärchen! Zum Mindesten eine Zerstreuung!“ -

Am andern Morgen flog eine Neuigkeit durch ganz Magdeburg. Prinz Louis Ferdinand war fort! – Die Einen sagten, er sei nach Berlin gegangen; die Andern erzählten, er mache einen Ausflug nach Hamburg und er werde wohl in einigen Tagen schon wieder zurückkommen.

Sein Adjutant erzählte, er habe von dem Prinzen in der Frühe die Anzeige bekommen, daß er mit Bewilligung des Königs auf einige Wochen Magdeburg verlasse. Aber er hatte nicht gesagt, wohin.

Die ganze schöne Welt von Magdeburg war beunruhigt

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