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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 25.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Prinz oder Schlossergeselle.
Historische Novellette von Louise Mühlbach.


1.0 Langeweile

„So dehnt sich ein Tag wie der andere hin,“ seufzte Prinz Louis Ferdinand, „und so schleicht eine Woche nach der anderen hin in eben demselben Jammer und eben derselben Langeweile! Ich wollte, König Friedrich Wilhelm der Dritte, mein vielgeliebter König und Vetter, hätte mir keinen Pardon gegeben und wäre nicht so gnädig gewesen gegen mich! Ich wollte, er hätte mich auf die Festung geschickt und ich säße hier, weil ich ein Revolutionär und Empörer bin! Dann wüßt’ ich doch, warum ich litte und daß es für das Vaterland ist, daß ich mich so grenzenlos langweile. Ich hatte es doch wahrhaftig verdient, daß ich so behandelt wurde! Hatte mich hinreißen lassen von meinem Schmerz zu tollen Wuthausbrüchen damals im vorigen Jahre, als der unglückselige Friede bekannt ward.[1][WS 1] Bin aber ohne Strafe davon gekommen und bin jetzt General der Infanterie, d. h. bin so hoch gestiegen, wie ein unglückseliger, apanagirter Prinz dritter Linie steigen kann, und habe nun das ganze Leben vor mir wie eine Ebene, in welcher kein einziger Hügel ist, den ich mir erklimmen kann. Es ist ein erbärmliches Leben!“

Er sprang auf und rannte in wilden Sätzen im Zimmer umher so lange, bis er erschöpft und athemlos auf einen Divan niedersank.

„Dieses abscheuliche Garnisonleben! Weiß es Gott, ich wollte, ich wäre ein Handwerksbursch und dürfte auf der Landstraße umherziehen mit dem Ränzel auf dem Rücken. Warum hat mich das Schicksal zu so einem kleinen, jämmerlichen Prinzen gemacht, bei dem selbst der Ehrgeiz schon Hochverrath und die Thatenlust schon Empörung ist! Aber was hilft’s, darüber nachzudenken? Man muß ausharren in Geduld, wenn man sterben und wüthen möchte vor Langeweile!“

Er sprang wieder auf und ging heftig auf und ab, und allgemach ward der zornige Ausdruck seines Angesichts milder, und seine Augen blickten sanfter. Er trat heran zu dem Flügel, der immer geöffnet in seinem Zimmer stand, ließ sich nieder vor demselben und begann zu spielen. Stürmisch anfangs in wilden Phantasien, als ob der Schmerz, der in ihm tobte, sich ausklingen wollte in Tönen, dann allgemach wurden seine Phantasien milder, und es klagte und seufzte das Instrument unter seinen Fingern, und sein schönes Antlitz strahlte auf in tiefer Bewegung. Die Fenster des Gemaches waren offen, er hatte nicht darauf geachtet, er wußte es nicht, daß auf der stillen Straße die Vorübergehenden stehen geblieben waren, um zu lauschen auf diese wunderbare Musik und sich zu freuen über den lieben Prinzen Louis Ferdinand, der ein so großer Künstler sei.

Sie liebten ihn alle, die guten Einwohner von Magdeburg, sie freuten sich, wenn er auf der Straße erschien, und blieben stehen und grüßten ihn und schauten seiner stolzen Gestalt nach mit leuchtenden Blicken. Er war der Liebling von ganz Magdeburg, Soldaten, wie Bürger beteten ihn an, und seine tollen Streiche und die lustigen Gelage und die Ausschweifungen allerlei Art, welchen der Prinz mit seinen Freunden und Officieren sich ergeben, fanden bei den guten Bürgern Magdeburgs immer Entschuldigung und Nachsicht.

Es war ja so natürlich, daß ein junger Herr, schön und gefeiert wie der Prinz, nicht leben konnte wie andere Menschenkinder; natürlich, daß alle Weiber sich in ihn verliebten und danach strebten, dem Prinzen zu gefallen; natürlich, daß er das gute Glück annahm, welches von allen Seiten sich ihm darbot.

Man darf gegen einen so ausgezeichneten Helden nicht so strenge sein, wie gegen andere Menschenkinder.

Und dann andererseits wußte man so viel Gutes von ihm zu erzählen. Er war ein so milder herablassender Herr, er sprach mit dem gemeinen Soldaten so freundlich und gütevoll, er erwiderte so vertraulich die Grüße der Bürger, war so wohlthätig gegen die Armen, so gütig gegen Jedermann, der sich an ihn wendete und Hülfe von ihm begehrte.

Ja, er war der Liebling von ganz Magdeburg, und sie konnten wahrlich nicht dafür, daß er sich in der stillen Festung langweilte und daß sein glühender Feuergeist sich hinaussehnte aus diesen engen Räumen, aus diesem Garnisonleben, das gar keine Abwechselung, gar keine Erhebung darbot.

„Mich langweilt Alles, Alles,“ murmelte er vor sich hin, gleichsam als den Text zu den Phantasien, die er noch immer dem Flügel entlockte, „ich glaube an nichts mehr, ich hoffe auf nichts mehr. Das Leben liegt wie eine Oede vor mir, ach, und ich habe Alles versucht, dieses Leben mit neuen Blumen zu schmücken! Ich bin ein wilder Geselle geworden aus Ueberdruß am Leben. Ich habe mich betäuben wollen und zerstreuen. Habe es versucht mit

der Liebe und dein Spiel, mit Allem, was andere Menschenkinder

  1. Es war der Friede von Lunéville (1802). Prinz Louis Ferdinand, der Vetter des jungen Königs, hatte heftig gegen denselben geeifert und den König beschworen, diesen Frieden mit der Republik Frankreich nicht abzuschließen, sondern das Schwert zu erheben gegen Bonaparte, den ersten Consul. Als der König die Wünsche seines leicht erregten Vetters zurückwies, hatte dieser zu den leidenschaftlichsten Aeußerungen sich hinreißen lassen. Der König indessen hatte ihn nicht dafür zur Rechenschaft gezogen, sondern dem Prinzen befohlen, sich nach Magdeburg in seine Garnison zu begeben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Luneville
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_385.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2021)