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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Aber meine Mutter wird Sie nicht entbehren können.“

„Schwester Beate, welche die Frau Gräfin kennt und gern sieht, kann mich auf einige Tage vertreten. Meine Abwesenheit wird ihr um so weniger auffallen, da sie weiß, daß die Frau Oberin in Venedig nach mir verlangt. Sobald ich Robert gesprochen, kehre ich sogleich zurück, um unsere Kranke ferner zu pflegen.“

„Sie geben nur das Leben wieder,“ versetzte die Prinzessin. „Ich selbst will bei meiner Mutter wachen und Ihre Stelle zu vertreten suchen, so weit mir dies möglich ist. Aber wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn Sie noch zur bestimmten Frist in Venedig eintreffen und Robert wegen der unverschuldeten Verzögerung beruhigen wollen.“

So sehr auch Teresina ihre Reise beschleunigte, so sah sie sich doch noch genöthigt, einige Tage länger, als sie beabsichtigt hatte, in Florenz zu verweilen, da ihre Stellvertreterin durch anderweitige Beschäftigungen verhindert wurde, sie sogleich zu ersetzen.

Unterdeß erwartete Robert von Stunde zu Stunde mit steigender Ungeduld die Ankunft der Prinzessin. Anfänglich zerstreuten ihn die mannigfachen Vorbereitungen, die er zu ihrem Empfange traf. Sein Atelier in dein Palazzo Pisani hatte sich in den letzten Tagen in einen Blumengarten verwandelt, seine Wohnung in ein kleines Feenschloß. Laubgewinde und Guirlanden von immergrünen Zweigen bekleideten die Wände, zwischen denen seine Bilder, besonders die „Abfahrt der Fischer auf Chioggia“ aus den goldenen Rahmen hervorschauten.

„Was hat das Alles zu bedeuten?“ fragte verwundert der Bruder. „Willst Du ein Fest geben?“

„Ich erwarte Besuch.“

„Wenigstens eine Königin, nach Deinen Vorbereitungen zu schließen.“

„Du hast es errathen,“ versetzte Robert mit geheimnißvollem Lächeln.

Aber die Blumen verwelkten, die Kränze vertrockneten, und ein finsterer Schatten lagerte wieder auf der klaren Stirn des berühmten Malers. Von Neuem verfiel er in seine finstere Schwermuth, den leicht geweckten Zweifel, die angeborene Melancholie, der er sich gewaltsam zu entreißen suchte. Er konnte nicht glauben, daß die Geliebte ihn so grausam täuschen, daß sein Vertrauen ihn wiederum belügen sollte.

„Sie wird, sie muß kommen!“ sagte er sich wohl hundertmal des Tages, um die aufsteigenden Besorgnisse zu verscheuchen. – Den schwersten Stand hatte der Gondolier, der fortwährend auf dem Wege nach dem Kloster der barmherzigen Schwestern war und vom Morgen bis zum späten Abend keine Ruhe fand. So oft aber Robert auch nach Teresina fragte, schüttelte die alte Pförtnerin den Kopf. Weder eine Nachricht, noch ein Brief von ihr war der Oberin zugekommen, die selbst über das lange Ausbleiben der Nonne besorgt schien und sich den Mangel an jeglicher Nachricht aus Florenz nicht zu erklären vermochte.

„Ein Brief kann leicht verloren gehen,“ tröstete er sich selbst. Um sich zu zerstreuen, schlug er den Weg nach dein Marcusplatze ein, wo, wie er wußte, Aurel in dein bekannten „Café Floriani“ ihn erwartete. Nachdem er einige Worte mit dem Bruder gewechselt, griff er mechanisch nach der nächsten besten Zeitung, in die er flüchtig hineinblickte, weniger um zu lesen, als um seinen quälenden Gedanken zu entfliehen.

Plötzlich verfärbte sich sein Gesicht, mit einer heftigen Bewegung reichte er Aurel das Blatt hin, welches eine ebenso ungerechte, als verletzende Kritik seines letzten Gemäldes enthielt. Ein neidischer Italiener, den der Ruhm des fremden Malers verdroß, borgte die Figur eines venetianischen Gondoliers, dem er seinen Tadel über Robert’s Bild in den Mund legte, die Unnatur dieser Fischer von Chioggia ihm vorwerfend, welche in der Wirklichkeit nirgends existiren sollten.

In jeder anderen Zeit hätte Robert vielleicht selbst über die witzige Einkleidung gelacht, aber bei seiner jetzigen Reizbarkeit reichte der geringste Widerspruch hin, ihn aufzubringen.

„Welche Ungerechtigkeit!“ sagte er erzürnt. „Wenn ich die Natur darstellen sollte, wie ich sie finde, so würde ich noch heute meinen Pinsel fortwerfen, meine Palette zerbrechen.“

„Rege Dich nicht unnöthig auf! Man sieht es ja sofort der Kritik an, daß sie ein Italiener geschrieben hat, der sich über Deine großen Erfolge ärgert. Was er über Deine Fischer sagt, ist um so ungerechter, da er diese guten Leute von Chioggia gar nicht zu kennen scheint und sie ohne Zweifel mit dem elenden Gesindel verwechselt, das sich auf dem Marcusplatz und an der ,Riva degli Schiavoni’ herumtreibt. Kein Vernünftiger wird auf ein solches Gewäsche achten.“

„Am meisten betrübt es mich, daß er meinem Bilde politische Motive unterschiebt, daß er mir vorwirft, auf Kosten des Adels das Volk zu erheben und aus jedem gemeinen Herumtreiber einen Helden zu machen. Ich bin mir bewußt, daß ich nur gerecht gegen das Volk bin, wenn ich es so darstelle, wie es mein Künstlerauge erblickt.“

„Was kümmert Dich der einfältige Mensch, der allerdings besser zum Gondolier als zum Kritiker paßt? Dein Bild hat den Beifall aller Kenner und damit kannst Du zufrieden sein.“

„Wenn er aber doch Recht hätte!“ versetzte Robert nachgrübelnd, „wenn ich wirklich, wie er sagt, auf einem falschen Wege wäre, wenn ich, statt fortzuschreiten, Rückschritte machte! Ich fühle, wie meine Kraft abnimmt, wie meine Leistungen weit hinter meinen Idealen zurückbleiben. Dir allein darf ich es gestehen, daß ich an meinen Gestalten eine gewisse Härte des Ausdrucks, in meiner Farbe eine gewisse Trockenheit zu bemerken glaube. Wenn ich meine Bilder mit denen eines Tizian, eines Bellini oder Veronese vergleiche, so komme ich mir selbst wie ein elender Stümper vor. Ich fürchte, daß der Gondolier nur die Wahrheit sagt.“

„Nein, nein! Auch Deine Bilder werden unsterblich sein.“

„Wenigstens würde ich eine Niederlage nicht überleben,“ entgegnen Robert mit einer Anwandlung seiner früheren Schwermuth.

Vergebens suchte Aurel den Aufgeregten zu beruhigen. – Wenn der Becher voll ist, genügt ein Tropfen, um ihn zum Ueberlaufen zu bringen und der leiseste Luftzug reicht schon hin, um dem Verwundeten die furchtbarsten Schmerzen zu bereiten. So hing sich unsichtbar Kette an Kette, Gewicht an Gewicht, um den Unglücklichen zu Boden zu drücken, bis er der unerträglichen Last erliegen mußte.

Wieder regten sich die kaum eingeschlummerten Geister des Mißtrauens, obgleich er sie noch gewaltsam niederzukämpfen suchte; wieder erschien ihm im Traume die blutbefleckte Gestalt seines Bruders, unheimliche verlockende Worte flüsternd; wieder verlebte er die langen Tage in aufreibender Erwartung, die schlaflosen Nächte in namenloser Qual.

Bald glaubte er, daß ihn die Prinzessin von Neuem täuschen wollte, bald fürchtete er, daß ihr ein Unglück zugestoßen; fortwährend schwankte er zwischen belebender Hoffnung und düsterer Verzweiflung, ein Spielball seiner wechselnden Stimmung. Je näher die versprochene Ankunft der Prinzessin rückte, desto unruhiger, desto verstörter erschien er dem besorgten Bruder, der sich diesen plötzlichen Rückfall in die frühere Schwermuth nicht zu erklären vermochte.

Nur gezwungen folgte ihm Robert in das Haus des deutschen Arztes, wo er sonst ebenso gern verkehrte, wie er gern daselbst gesehen wurde. Die besonders musikalisch hoch gebildeten Damen, welche seine Vorliebe für classische Musik kannten, suchten ihn durch ihr Spiel und Gesang wie gewöhnlich zu erheitern, indem sie sich ganz seinen Wünschen fügten und ihm mit zuvorkommender Liebenswürdigkeit die Wahl der von ihnen vorzutragenden Compositionen überließen.

Er verlangte an diesem Abend Mozart’s Requiem, den Schwanengesang des großen Meisters, dessen düstere Todtenklage mit seinen Todesgedanken harmonirte. Plötzlich aber wechselte seine Traurigkeit mit einer überraschenden, fast krankhaften Heiterkeit, die um so mehr bei seinem ernsten Wesen befremden mußte. Gegen seine sonstige Gewohnheit blieb er in lebhafter Unterhaltung bis spät nach Mitternacht in der befreundeten Familie, von der er mit dem in seinem Munde bedeutungsvollen Zuruf Abschied nahm: „Auf Wiedersehen!“

Am andern Morgen fand ihn Aurel damit beschäftigt, den letzten Brief der Prinzessin, der vorn 8. März 1835 datirt war, zu verbrennen. In seinen Zügen verrieth sich die unheimliche Ruhe des festen Entschlusses, so daß der Bruder sich einer leisen Befürchtung nicht zu erwehren vermochte.

„Ich finde Dich,“ sagte er bekümmert, „seit einigen Tagen wieder leidend, gänzlich verändert. Ich glaube Dein Geheimniß zu kennen. Wie es scheint, trägt allein die Liebe Schuld an Deiner Verstimmung. Vertraue mir, was Dich quält.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_371.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)