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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 24.   1868.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Im Hause der Bonaparte.
Historische Erzählung von Max Ring.
(Schluß.)


9.

Seit einigen Tagen war die Prinzessin Charlotte von London, wo sie bisher bei ihrem Vater Joseph Bonaparte lebte, nach Florenz zurückgekehrt, um ihre unterdeß schwer erkrankte Mutter wiederzusehen. An dem Bette der Leidenden fand sie die Nonne, welche die Pflege der Gräfin von Survilliers auf deren ausdrücklichen Wunsch übernommen hatte, da Schwester Teresa’s Ruf bis zu ihr gedrungen war.

Auch die Prinzessin fühlte sich seltsam zu dem frommen Mädchen hingezogen, dessen freudige Hingebung, Geduld und Ausdauer sie bewundern lernte, während sie selbst mit ihr an dem Lager der geliebten Mutter wachte. Sie glaubte, schon früher dieses sanfte, verklärte Gesicht gesehen zu haben, obgleich sie vergebens ihr Gedächtniß anstrengte, wo sie diese sympathischen Züge einst erblickt.

„Ich muß Ihnen, Schwester Teresa, schon im Leben begegnet sein,“ sagte die Prinzessin in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft, als Beide an dem Bette der vor Ermattung eingeschlafenen Kranken saßen.

„Wohl möglich,“ flüsterte die Nonne, um die Gräfin nicht zu wecken. „Ich habe früher in Rom gelebt.“

„Je länger ich Sie betrachte, desto bekannter erscheinen Sie mir. Kommen Sie meinem schwachen Gedächtniß zu Hülfe. Der Gedanke quält und beschäftigt mich, wo ich Sie früher schon gesehen habe.“

„Vielleicht in dem Atelier des Malers Robert, mit dem ich damals bekannt war.“

„O,“ rief die Prinzessin überrascht, „ich wußte, daß ich mich nicht täuschte. Jetzt erinnere ich mich deutlich, Sie sind das Original zu seinem Mädchen von Sonnino, die schöne ernste Gestalt auf seinem herrlichen Bilde ‚die heimkehrenden Schnitter aus den pontinischen Sümpfen‘.“

„Das war ich einst,“ versetzte Teresina mit einem leisen Seufzer.

„Und jetzt sind Sie Nonne,“ entgegnete die Prinzessin nachdenklich.

Es folgte eine unwillkürliche Pause, nur unterbrochen von den ungleichen fieberhaften Athemzügen der kranken Gräfin, die jetzt zu träumen schien und im Schlafe unverständliche Worte, unzusammenhängende Reden murmelte. Erst nach längerer Zeit nahm die Prinzessin das abgebrochene Gespräch wieder auf, wobei sie ein lebhaftes Interesse verrieth.

„Wie ich höre, lebt Herr Robert augenblicklich in Venedig. Sollten Sie vielleicht zufällig ihn gesehen, oder von ihm gehört haben?“

„Ich habe ihn selbst gesprochen,“ erwiderte Teresina, ihre durchdringenden Augen auf die Prinzessin gerichtet, als wollte sie auf dem Grunde ihrer Seele lesen.

„Und wie geht es ihm, wie haben Sie ihn verlassen?“ fragte sie erröthend. „Er war oder ist vielmehr der beste Freund unserer Familie, den wir nie vergessen werden,“ setzte sie gleichsam entschuldigend hinzu.

„Ich weiß es.“

„Hat er von uns gesprochen, unsere Namen genannt?“ forschte sie mit sichtlicher Spannung.

Die Blicke beider Frauen begegneten sich und verriethen deutlicher, als Worte vermögen, das Geheimniß ihrer Herzen, die verborgensten Gedanken ihrer Seele. Sie hatten sich gegenseitig erkannt, in ihrer gemeinsamen Liebe gefunden, so daß jede Scheidewand zwischen ihnen geschwunden war.

„Ich darf Ihnen vertrauen,“ sagte die Prinzessin, während sie sich zu der Kranken niederbeugte, die noch immer zu schlummern schien.

„Wie dem Priester in der heiligen Beichte,“ flüsterte die Nonne.

„Auch ich habe eine schwere Sünde Ihnen zu gestehen, eine große Schuld an dem edlen Mann zu sühnen.“

„Er hat Ihnen verziehen, aber er leidet und stirbt an gebrochenem Herzen.“

„Was kann, was soll ich thun?“

„Ihn retten und dem Leben wiedergeben, ehe es zu spät ist.“

„Sie vergessen meine Lage, die unüberwindlichen Hindernisse, die mir überall, wohin ich mich wende, entgegentreten.“

„Die Liebe siegt über Alles. Kein Opfer darf ihr zu schwer fallen.“

„O, Sie wissen, was Liebe ist!“

„Jetzt gehört mein Herz nur Gott allein, meine Gedanken dem Himmel, mein Leben den Kranken und Hülfsbedürftigen. Auch Er ist krank, elend und darum muß ich an ihn denken.“

„Sie beschämen mich. Ich kann nur die Größe Ihres Opfers bewundern, aber mir fehlt der Muth und die Kraft, Ihrem Beispiele zu folgen.“

„Ein Wort von Ihnen genügt, den Unglücklichen aufzurichten. Wollen Sie den Durstenden verschmachten lassen, wenn ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_369.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)