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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Tief bewegt verließen sie das Grab des Dichters, an dem sie unbewußt den geheimen Bund des Lebens und der Liebe geschlossen hatten. Kein Wort, kein Laut entweihte die gehobene und doch zugleich befangene Stimmung, als ahnten sie die neuen, sie bereits erwartenden Kämpfe mit der sie umgebenden Welt.

So traten sie den Rückweg nach dem alten Palaste an, wo sie zur gewohnten Stunde die bereits bekannte Gesellschaft erwartete, in der sich heute außer dem Herzog von St. Leu noch der Graf von Ganay, ein alter Freund der Familie und eifriger Verehrer der Kunst und der Literatur, befand.

Wie ich so eben gehört habe,“ sagte er, die Prinzessin begrüßend, „kommen Ihre Hoheit von dem Grabe Alfieri’s. Wenn ich nun Ihre Wallfahrt gewußt hätte, so würde ich mit Vergnügen mich Ihnen angeschlossen haben, da ich den Dichter und die Gräfin von Albany persönlich gekannt habe und vielfach mit Beiden in Berührung gekommen bin.“

„Es muß ein seltsames Paar gewesen sein,“ bemerkte der Herzog von St. Leu, der Schwiegervater der Prinzessin.

„Im höchsten Grade interessant,“ erwiderte der Graf. „Ich habe nie wieder zwei Menschen kennen gelernt, die so kühn sich über das Urtheil der Welt hinwegsetzten, so rücksichtslos alle Schranken der Gesellschaft durchbrachen.“

„Ich kann diese Extravaganzen nicht gut heißen,“ versetzte der strenge Herzog.

„Und am wenigsten kann ich einer Frau eine solche Verachtung der Sitte und des Anstandes verzeihen,“ fügte die Gräfin von Survilliers hinzu.

„Sie vergessen, gnädige Frau,“ entschuldigte der Graf, „daß die Gräfin von Albany Wittwe war, nachdem sie Jahre lang die unwürdigste Behandlung von ihrem brutalen Gatten erfahren hatte.“

„Aber dieser Gatte, wie er auch gewesen sein mochte, stammte von dem erlauchten Hause der Stuarts ab. Wenn auch nicht ihm, so war sie seinem Namen die höchste Achtung schuldig. Indem sie einem Dichter ihre Liebe schenkte, hat sie sich nach meiner Meinung tief erniedrigt, ist sie von ihrer Höhe herabgestiegen.“

„Das Herz fragt nicht nach Rang und Stand,“ entgegnete die geistvolle Juliette, indem sie ihrem Verlobten zulächelte.

„Solche Grundsätze liest man zwar in Romanen,“ sagte Frau von Villeneuve, „aber sie passen nicht für die Wirklichkeit. Unsere Geburt, unsere Stellung legt uns Verpflichtungen auf, die wir nicht ungestraft verletzen dürfen.“

„Sie haben mir ganz aus der Seele gesprochen,“ bekräftigte der Herzog. „Ich weiß am besten, wie der Kaiser in dieser Beziehung gedacht hat, und wenn ich auch sonst nicht immer mit seinen Ansichten übereinstimmen konnte, so muß ich ihm doch in diesem Punkte Recht geben.“

„Ich selbst,“ setzte die Gräfin von Survilliers hinzu, „habe am meisten von der Strenge des Kaisers leiden müssen. Er hat es Joseph nie verziehen, daß er gegen seinen Willen sich mit der Tochter des Seidenhändlers Clary aus Marseille vermählte. Aus eigner Erfahrung habe ich all’ die Kämpfe und Widerwärtigkeiten einer solchen Mesallianz kennen gelernt, weshalb ich sie meinen Kindern ersparen wollte.“

„Und was ist Deine Meinung, Charlotte?“ sagte das Fräulein von Villeneuve.

„O,“ stotterte die Prinzessin verlegen, wie aus einem tiefen Traum erwachend. „Ich weiß kaum, wovon gesprochen wird, da ich mich in der Kirche wahrscheinlich erkältet habe und jetzt die heftigsten Kopfschmerzen fühle.“

„Das kommt davon,“ scherzte Juliette, „wenn man das Grab eines Dichters besucht. Noch im Tode verwirren sie uns das Köpfchen.“

Der Witz des Fräulein von Villeneuve gab dem ernsten Gespräch eine unerwartet heitere Wendung, ohne jedoch gänzlich die dadurch hervorgerufene Mißstimmung zu verwischen, so daß die Gesellschaft sich zeitiger als gewöhnlich trennte.

Während Robert, von den mannigfachsten Gefühlen bestürmt, den Weg nach seiner Wohnung einschlug, suchte die Prinzessin vergebens den Schlummer, der heute ihre Augen floh. Vor ihrer Seele stand die bedeutungsreiche Scene in der Kirche Santa-Croce an dem Grabe Alfieri’s. Unwillkürlich dachte sie jetzt an das Schicksal der Gräfin Albany, die der Liebe zu einem Dichter Rang, Stand und selbst ihren Ruf geopfert hatte.

Die Prinzessin wußte erst seit wenigen Stunden, daß sie den Maler Robert liebte. Sein unerwartetes Geständnis? in der Kirche, und noch mehr das darauf folgende Gespräch ihrer Angehörigen hatte plötzlich die Binde von ihren Augen gerissen. Gleich einer Nachtwandlerin, wenn man ihren Namen ruft, war sie aus ihrem Traum geweckt worden, sah sie den Abgrund zu ihren Füßen.

Nach und nach hatte sich diese Neigung in ihr’ Herz geschlichen, unter der Maske der Freundschaft sie und ihn verlockt, schwesterliche Zärtlichkeit geheuchelt, um sie desto sicherer zu bestricken. War sie doch nur ein halbes Kind gewesen, als sie dem Prinzen ihre Hand reichte, weil ihre Familie es wünschte, weil sie ihn, als ihren nächsten Verwandten, zu lieben glaubte. Seine Gutmüthigkeit, seine geistigen Vorzüge, sein edler Charakter machten ihre Ehe zu einer glücklichen, so daß nicht der leiseste unerlaubte Wunsch ihre reine Seele befleckte.

Erst die Eifersucht auf den Einfluß ihres Schwagers und die heimliche Flucht des Prinzen trübten ihr bisheriges Glück und ließen sie schmerzlich den Mangel seines Vertrauens empfinden. Unwillkürlich blieb ein Mißton in ihrem Herzen zurück, der jedoch vor den nachfolgenden traurigen Ereignissen verschwinden mußte. Der große Versöhner Tod halte in ihren Augen die schwere Schuld gesühnt und das Bild des Prinzen von allen jenen Flecken gereinigt.

Sie betrauerte ihn aufrichtig und reiche Thränen flössen seinem Andenken, wobei ihr Robert als der treueste Freund mit seinem Trost zur Seite stand. In diesen schreckensvollen Tagen hatte er sich von Neuem ihr bewährt, mehr als je die Fülle seines reichen Gemüthes, die unerschöpflichen Tiefen seiner Seele, seines Herzens ihr erschlossen. Mit jedem Tage war er ihr theurer und unentbehrlicher geworden, so daß sie nicht mehr den Gedanken fassen konnte, sich jemals von ihm zu trennen.

Jetzt erst wußte sie, daß sie ihn liebte, die Tochter der Napoleoniden den zwar berühmten, aber ihr nicht ebenbürtigen Maler. Die plötzlich hereinbrechende Helle erschreckte sie und ließ ihr keinen Zweifel über die wahre Natur ihrer gegenseitigen Gefühle.

Zugleich erkannte sie die unübersteiglichen Hindernisse, die sich ihrer Neigung entgegenstellten. Hatte sie doch an dem heutigen Abend die Ansicht der Welt, das Urtheil der Gesellschaft, die Meinung ihrer nächsten Verwandten über jede derartige Verbindung wider Willen hören müssen. Wenn sie auch selbst erhaben über eine solche Beschränktheit stand und sich durch die Liebe eines edlen Mannes, eines großen Künstlers hoch geehrt fühlte, so konnte sie sich doch nicht die unausbleiblichen Folgen einer von allen Seilen angefeindeten Neigung verschweigen.

Sie selbst war ihrer Familie die gebotene Rücksicht schuldig. Durfte sie eine zärtlich geliebte, noch dazu durch das Geschick schwer gebeugte Mutter noch mehr betrüben, so nahe Verwandte durch einen so gewagten Schritt beleidigen, das Andenken ihres verstorbenen Gatten noch im Grabe durch eine neue Liebe beflecken, ihren bisher so reinen Ruf der böswilligen Verleumdung, dem Gespötte der Welt preisgeben?

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Rossini. Seit Rossini wieder in Paris lebt, ist er der Gegenstand eines wahren Cultus. Der Pariser sowohl als auch die vielen Fremden, welche die Hauptstadt Frankreichs besuchen, geben sich alle nur erdenkliche Mühe, um bei dem Compositeur des Barbiers von Sevilla eingeführt zu werden und ihm die Complimente zu machen, die er schon Millionen Male gehört hat. Der greise Maestro wohnt während des Winters in der Rue de la Chaussée d’Antin Nr. 2, an der Ecke des Boulevard des Italiens, und bringt die schöne Jahreszeit in seiner Villa zu, die er sich vor einigen Jahren in dem benachbarten Passy, hat bauen lassen. Es kommt kein ausgezeichneter Musiker nach Paris, ohne sich ihm vorzustellen und sich in seinen Salons hören zu lassen. Rossini giebt jeden Sonnabend eine Soirée, der ein Diner für die näheren Freunde vorausgeht. Bekanntlich ist Rossini ein großer Feinschmecker. Niemand ist in culinarischen Angelegenheiten besser bewandert als er. Er ist aber nicht nur ein Feinschmecker, sondern auch ein vortrefflicher Gastronom, der vielleicht mit größerer Begeisterung ein neues Gericht als eine Arie componirt. Er giebt sich sogar den Anschein, als ob er die Kochkunst höher als die Tonkunst schätze. Seine Lieblingsschüssel sind die Macaroni. Dieses italienische Nationalgericht fehlt niemals auf seinem Tische und Niemand verräth dabei einen solch’ vernichtenden Appetit wie er. Nach dem Diner stellen sich die Besuche ein, und bald

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_351.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)