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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Traume den düstern Schreckensspruch: „Napoleon ist todt Arme Mutter! Napoleon ist todt!“

Ihr Herz, das Mutterherz zog’ sich krampfhaft zusammen und drohte bei dieser Trauerkunde still zu stehen.

Jetzt hatte sie Pesaro erreicht; der Wagen hielt vor dem Palast eines nahen Verwandten. Aus der Thür wankte ihr ein bleicher junger Mann entgegen, das starre Antlitz von Schmerz durchwühlt, die glanzlosen Augen von Thränen geröthet. Sie erkannte ihn und streckte ihm die zitternden Arme entgegen.

„Louis!“ rief die unglückliche Mutter. „Wo ist Dein Bruder?“

Weinend sank er an ihre Brust, ohne ihr zu antworten.

„Todt,“ murmelte sie, „und ich konnte nicht bei ihm sein, ihn nicht retten!“

Mit einem lauten Schrei stürzte sie ohnmächtig in die Arme ihres einzigen, ihres letzten Sohnes.




7.

In dem düstern Palaste, welchen der Herzog von St. Leu in Florenz bewohnte, saßen einige Wochen nach diesen schmerzlichen Ereignissen die trauernden Hinterbliebenen des unglücklichen Prinzen Napoleon, seine Gattin, ihre Mutter, die Gräfin von Survilliers, ihre Tante, Frau von Villeneuve, und deren Tochter, die einst so heitere Juliette mit ihrem Verlobten.

Die Damen in dunkler, schwarzer Tracht, welche besonders die edle Schönheit der Prinzessin hob, unterhielten sich leise, mit gedämpfter Stimme, während sie mit weiblichen Handarbeiten beschäftigt waren.

„Hast Du,“ fragte die Gräfin von Survilliers, „keine neuen Nachrichten von Hortense und ihrem Sohn?“

„Wie sie im letzten Brief mir schreibt, sind Beide glücklich in London angelangt,“ versetzte die Prinzessin, von ihrer Stickerei aufblickend.

„Ich bewundere den Muth der Herzogin,“ bemerkte die erst kürzlich angekommene Frau von Villeneuve. „Was muß die arme Mutter gelitten haben! Welch’ ein Herz, welch’ ein hoher Geist! Ich bin in der That begierig, Näheres von Dir über ihre Flucht zu hören.“

„Sobald meine Schwiegermutter,“ berichtete die Prinzessin tief bewegt, „sich von dem furchtbaren Schlage erholt hatte, der sie und mich getroffen, hatte sie nur den einen Gedanken, Louis zu retten, mit ihm über Frankreich nach London zu entfliehen.“

„Welche Kühnheit!“ rief die Tante voll Bewunderung. „Nach Frankreich zu gehen, wo sie Gefangenschaft, selbst der Tod. erwartete!“

„Kaum blieb ihr eine andere Wahl,“ fuhr die Prinzessin fort, „wenn sie nicht in die Hände der Oesterreicher fallen wollte, die ihr auf dem Fuße folgten. Zuerst eilte sie mit Louis nach Ancona, wo sie geflissentlich das Gerücht verbreitete, daß sie sich nach Corfu einschiffen wollte, während sie im Geheimen alle Vorbereitungen für ihre Reise nach Frankreich traf. Schon war die Stunde der Abreise bestimmt, als Louis plötzlich ebenfalls am Scharlach erkrankte, das er sich durch Ansteckung zugezogen hatte. Aber Hortense verlor nicht die Besinnung trotz dieses neuen Unglücks. Während sie an dem Bette ihres kranken Sohnes saß, ließ sie durch ihre Dienerschaft öffentlich ihr Gepäck, Koffer und Pakete, auf das nach Corfu bestimmte Schiff bringen, um die Welt in dem Glauben zu erhalten, als wollte der Prinz noch an demselben Tage nach Corfu entfliehen. Sie selbst aber gab sich für leidend aus, weshalb sie ihren Sohn nicht begleiten könne. Das geschickt ersonnene Märchen wurde allgemein für wahr gehalten und Niemand zweifelte in Ancona, daß Louis sich bereits auf dem Wege nach Corfu befinde.“

„Ich kenne keine zweite Frau,“ bemerkte die Gräfin von Survilliers, „die so vielen Geist, eine solche Willenskraft besitzt.“

„Unterdeß war die Avantgarde der Oesterreicher in Ancona eingerückt und der Zufall wollte, daß der Befehlshaber derselben, General Geppert, sich in demselben Palast einquartierte, den Hortense mit dein kranken Louis bewohnte.“

„O, ich wäre vor Angst gestorben!“ sagte Juliette.

„Zum Glück kannte Hortense den Adjutanten des Generals aus früheren Zeiten; durch ihn ließ sie den Baron Geppert ersuchen, in Rücksicht auf ihre Krankheit ihr die fernere Benutzung des von ihr bisher bewohnten Zimmers zu gestatten. Von Mitleid gerührt, ertheilte derselbe bereitwillig die erbetene Erlaubniß, um so leichter, da er, wie alle Welt, Louis auf dem Schiffe nicht fern mehr von Corfu glaubte, während dieser Wand an Wand unter demselben Dache mit seinen Verfolgern schlief. Er durfte nicht laut sprechen und sah sich öfters gezwungen, den quälenden Husten zu unterdrücken, um nicht seine Gegenwart zu verrathen.“

„Welche entsetzliche Marter!“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


„Sein Bild.“.

(Mit Abbildung s. S. 333.)

Komm’ an mein Herz, geliebter Sohn,
Heut’ ist zum zweiten Mal die Feier,
Die Du, so jung in Trauer schon,
Und ich begeh’ im Witwenschleier.

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Im Geiste geh’n wir Hand in Hand

Und bringen als Geburtstagsgabe
Dem Vater fern im Böhmenland
Heut’ Gruß und Kranz zu seinem Grabe

Doch hier, wo er so lieb und mild

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Gewaltet, und so fest und bieder,

Hier halten wir im Arm sein Bild,
Als läg’ er uns am Herzen wieder.

Hier sind wir wieder alle Drei
So still vereint, wie in den Stunden,

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Wo, war der Tag der Pflicht vorbei,

Er nur bei uns sein Glück gefunden.

Und wie er da in sel’ger Lust
Auf’s Knie Dich hob, in’s Aug’ Dir schaute,
So, Kind, geschmiegt an meine Brust,

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Vernimm, was mir sein Bild vertraute.


Sein Auge, sieh, es spricht zu Dir
So klar, daß ich mich jetzt noch freue:
Verehr’ als höchste Manneszier,
Mein Sohn, Wahrhaftigkeit und Treue!

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Wie reich in seines Herzens Grund

Der Schatz der Liebe ist gewesen, –
O, küsse Deines Vaters Mund,
In seinem Bild, ist’s noch zu lesen!

Auf seiner Stirn, auf der oft rann

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Die Perle schwerer Arbeitbürde,

Thront der Geist, der allein den Mann
Verkündet in der Hoheit Würde.

So war Dein Vater. Nicht das Schwert
Des Kriegers war allein sein Trachten:

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Der Menschheit Wohl war mehr ihm werth,

Als blutiger Triumph der Schlachten.

Er starb als Held, treu seiner Pflicht,
Und fern von uns deckt ihn die Erde, –
Doch was zu Dir sein Bild heut’ spricht,

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Dem strebe nach, mein Sohn, das werde!


Du bist sein Ebenbild! Sei’s ganz.
Wie Du der Trost bist meinen Tagen!
Dann kann ich einen Freudenkranz’
Auf meinem Witwenschleier tragen.

Fr. Hofmann.




E. Marlitt in Armerika. Nachdem wir unseren Lesern bereits von einer englischen Uebertragung von Marlitt’s „Goldelse“ berichten konnten, kommt uns soeben auch eine Uebersetzung vom „Geheimniß der alten Mamsell“ zu, welche die amerikanische Schriftstellerin Miß A. L. Wister in einer sehr eleganten Ausgabe in Philadelphia veröffentlicht hat. Gleichzeitig hat das deutsche Original selbst, trotz der erst vor Monatsfrist erschienenen sehr starken ersten Auflage, schon eine zweite erlebt – ein Erfolg, wie ihn die novellistische Literatur Deutschlands kaum jemals aufzuweisen hatte. Der energische Widerspruch gegen religiöse Verdumpfung und Heuchelei, welcher die Erzählungen Marlitt’s charakterisirt, ihre durchaus humane und lichtvolle Lebensanschauung hat unstreitig viel zu diesem Erfolge beigetragen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_336.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)