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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Im Hause der Bonaparte.
Historische Erzählung von Max Ring.
(Fortsetzung.)
5.

Jahre waren seit jenen schmerzlichen Ereignissen verflossen, Jahre der schwersten Kämpfe, aus denen Robert endlich siegreich hervorgegangen war, so daß er es wagen durfte, nach Rom zurückzukehren und vor den alten Freunden zu erscheinen, nachdem er zuvor während seiner langen Abwesenheit neue Triumphe in Paris gefeiert und einige Zeit in dem Elternhause an dem Herzen seiner Mutter geruht hatte.

Bei seiner Wiederkehr kamen ihm der Prinz und seine hohe Gattin wohl mit der früheren Herzlichkeit entgegen, obgleich Beide eine gewisse Befangenheit und Unruhe dem aufmerksamen Beobachter nicht zu verbergen vermochten. Augenscheinlich befand sich die Familie der Napoleoniden in einer erklärlichen Aufregung, hervorgerufen durch die gleichzeitige Nachricht von der in Paris vollbrachten Julirevolution.

Das Beispiel des französischen Volkes, welches in drei heißen Tagen die verhaßte Regierung gestürzt und die Bourbonen verjagt, wirkte wie ein Feuerbrand auf die übrigen mehr oder minder geknechteten Nationen Europas, vor Allem auf die leicht entzündbaren Italiener. Das ganze Land stand in revolutionären Flammen, geschirrt von den geheimen Gesellschaften der Carbonari und dem Haß der Patrioten gegen die österreichische Fremdherrschaft.

Vermöge ihrer eigenthümlichen Stellung bildeten die Napoleoniden, die Verwandten und Erben des Kaisers, den Mittelpunkt einer weitverzweigten, über die ganze Halbinsel bis nach Frankreich sich erstreckenden Verschwörung. Es handelte sich zunächst um nichts Geringeres, als um die Einheit und die Freiheit Italiens, in zweiter Linie um den Thron des ersten Napoleon, um die Wiederherstellung der früheren Weltmacht, um die Verwirklichung der niemals aufgegebenen Pläne eines ehrgeizigen Geschlechtes.

Der Prinz selbst hatte von Paris und von Corsica her die Aufforderung erhalten, sich an die Spitze einer neuen Bewegung zu stellen. Wenn er noch zögerte, so geschah dies aus Rücksicht auf seine Mutter, die bekannte Königin Hortense, und aus Liebe für seine Gattin, welche von jedem gewagten Schritte abriethen. Um so mehr drangen die übrigen Glieder der Familie, vor allen sein jüngerer Bruder Louis, auf ihn ein, sich der täglich zu erwartenden Revolution anzuschließen.

Unter diesen völlig veränderten Verhältnissen sah jetzt Robert die befreundete Familie wieder; der stille Kreis hatte sich in einen politischen Club verwandelt, die durch Geist und Liebenswürdigkeit ausgezeichnete Gesellschaft in einen Cirkel verwegener Verschwörer. Verdächtige Elemente, fremde Emissäre und Agenten der geheimen Verbindungen, welche sich über das ganze Land ausbreiteten, kamen und verschwanden wieder. Statt der geistvollen Unterhaltung über Kunst und Wissenschaft, statt des heiter anregenden Verkehrs herrschte jetzt die patriotische Phrase oder das noch gefährlichere Flüstern und Brüten der Conspiration.

Nur die Prinzessin hielt sich von dem verdächtigen Treiben frei, das sie mit sichtlicher Trauer erfüllte, als ob sie ein nahes großes Unglück fürchtete. Mit dem früheren Vertrauen gestand sie Robert ihre Besorgnisse in einem jener jetzt seltenen Augenblicke, wo es ihr vergönnt war, ihn allein zu sprechen.

„Der gute Geist,“ sagte sie tief bewegt, „ist von uns gewichen, seitdem Sie uns verlassen haben. Unsere friedlichen Abende werden niemals wiederkehren. Sie sehen, wie sich Alles hier verändert hat. Napoleon denkt und träumt nur von Verschwörungen und Revolutionen. Er selbst ist nicht ehrgeizig, aber er wird von allen Seiten gedrängt. Ich zittere für sein Leben, für seine Sicherheit. Die Thoren werden ihn und sich verderben.“

„Und vermögen Sie nicht, ihn zurückzuhalten? Er wird gewiß auf Ihre warnende Stimme hören,“ tröstete Robert voll inniger Theilnahme.

„Ich bin nur eine arme Frau, die keine anderen Waffen hat, als ihre Bitten und Thränen. Er lächelt über meine Befürchtungen und spottet meiner Angst. In seinen Augen bin ich blos ein furchtsames Kind, vor dem er seine geheimen Pläne sorgfältig verbirgt. Ich besitze nicht mehr sein Vertrauen, er verachtet meine Warnungen, indem er sich von seinem Bruder beherrschen läßt, der ihn mit sich fort in den Abgrund reißt.“

„Ich glaube, daß Ihre Besorgnisse zu weit gehen. Wie ich den Prinzen kenne, halte ich ihn keiner solchen Thorheit fähig. Er ist zu besonnen, um sich in ein Unternehmen einzulassen, das so wenig Aussicht auf Erfolg hat.“

„Das ist auch meine Meinung, aber er hört nicht auf mich, sondern nur auf Louis, der eine dämonische Macht auf Napoleon übt. Ich zittere vor dem Augenblick, wo dieser mit seiner Mutter in Rom eintreffen wird. Wie ich sicher weiß, steht er mit den Häuptern der Carbonari, mit Orsini und Menotti, in Verbindung. Seine Ankunft wird das Signal zu einem Aufstande in Rom geben; zu gleicher Zeit soll die Revolution in Modena losbrechen. Alle Vorbereitungen sind getroffen. Nur Sie allein können mich und meinen Gatten retten.“

„Was vermag ich in dieser Angelegenheit zu thun, da ich diesem politischen Treiben fern stehe?“

„Napoleon ist Ihr Freund, er achtet und schätzt Ihre Einsicht, die Klarheit und Sicherheit Ihres Urtheils. Gerade weil Sie vollkommen unparteiisch die Verhältnisse betrachten, wird er auf Ihre Ansicht ein um so größeres Gewicht legen. Sie kommen aus Paris und kennen aus unmittelbarer Anschauung die Stimmung des Volkes, die Gesinnung der Führer. Wie ich aus den Zeitungen ersehe, hat Louis Philipp Sie ausgezeichnet und zu sich geladen. Sie haben ihn gesprochen, seine Umgebung beobachtet, mit den ersten Männern in Paris verkehrt und sich gewiß über die dortigen Zustände besser unterrichtet, als wir hier in Rom. Ich fürchte, daß Napoleon sich selbst täuscht und von seinen Freunden getäuscht wird. Sie allein können ihm den Wahn benehmen, seine Illusionen zerstören und durch die Darstellung der ungeschminkten Wahrheit ihm und mir den größten Dienst leisten.“

„Ich will es versuchen, selbst auf die Gefahr, den Prinzen durch meinen unberufenen Rath zu erzürnen,“ versetzte Robert, erfreut, der hohen Frau seine unveränderte Ergebenheit beweisen zu können.

Schon am nächsten Tage fand er die erwünschte Gelegenheit, dem Prinzen die nöthige Aufklärung über die französischen Zustände zu geben, die er aus eigener Beobachtung in Paris hinlänglich kennen gelernt hatte, wo er während seines Verweilens in den höchsten Kreisen und besonders in der Familie Orleans mit Auszeichnung empfangen wurde.

„Sie werden dem Freunde verzeihen,“ sagte Robert, „wenn ich Ihnen offen meine Besorgnisse über die eigenthümliche Lage ausspreche, in der ich Sie bei meiner Rückkehr wiedergefunden habe. Ich kann es wohl begreifen, daß die letzten großen Ereignisse auch Sie tief erschüttert und Ihr bisheriges Stillleben unterbrochen haben. Man ist nicht umsonst der Träger eines weltgeschichtlichen Namens, mit dem sich so viele und bedeutende Aussichten und Hoffnungen verbinden.“

„O! dieser Name,“ erwiderte der Prinz, „ist mein, ist unser Aller Unglück. Er legt uns Verpflichtungen auf, die mich in diesem Augenblick zu Boden drücken. Ganz Italien sieht auf uns und erwartet von mir das Zeichen seiner Befreiung. Darf ich die in mich gesetzten Hoffnungen täuschen? Ich bin der Erbe des Kaisers, seines Ruhms und seiner Größe, ein Napoleon und muß, wie er, dem Ruf des Volkes folgen.“

„Und glauben Sie wirklich, Prinz, daß das italienische Volk die Kraft besitzt, sich selbst zu befreien? Ich fürchte, daß Sie sich irren. Der beabsichtigte Aufstand wird wiederum an den österreichischen Bajonneten scheitern.“

„Hat Frankreich sich nicht gegen jede fremde Intervention im Voraus erklärt? Es wird nicht dulden, daß Oesterreich sich in unsere Angelegenheiten mischt.“

„Leider muß ich Ihnen diesen Wahn benehmen. So wie ich Louis Philipp und seine Minister kenne, wird er eher das Princip der Nichtintervention, als seinen Vortheil opfern. Er fürchtet sich mehr vor dem Schatten des Kaisers, als vor der öffentlichen Meinung. In dem Augenblick, wo ein Napoleon sich an die Spitze der italienischen Bewegung stellt, wird er Oesterreich


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