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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Ich weiß, was mit der Sehnsucht Schall
Im Dickicht klagt die Nachtigall,
Und was die Falter flüstern sacht,

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Wenn aus den Kelchen um Mitternacht

      Entsteigt der Blumen Seele.
Denn merke, wenn Du’s noch nicht weißt:
In jedem Blümchen steckt ein Geist –
      Der steht mir zu Befehle.

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Der Stift, den ich als Zauberstab

Hier in dem kleinen Büchlein hab’,
Ist an geheimen Kräften reich;
Er öffnet mir den Berg sogleich
      Und kann den Felsen brechen.

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Er flößt dem Todten Leben ein,

Und wenn ich will, muß dieser Stein
      Vertraulich mit mir sprechen!

Was in des Windes Säuseln rauscht –
Nur ich versteh’s, ich hab’s erlauscht!

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Und wenn aus mondbeglänztem See

Sich hebt die bleiche Wasserfee,
      Umtanzt von den Libellen,
Dann hör’ ich, was von Lieb’ und Leid
Und von smaragdner Herrlichkeit

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      Erzählen rings die Wellen.


Ich höre, wenn am Himmel fern
Erglänzen heimlich Stern um Stern,
Manch’ still Gebet’ die Luft durchzieh’n;
Mir ward von Gott die Kunst verlieh’n,

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      Die Herzen zu ergründen.

Und was da lebt an Leid und Lust
Und Hoffnung in der Menschenbrust –
      Ich weiß es Dir zu künden!“

Der erste Zaubrer nun begann:

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„Reich’ mir die Hand! Du bist mein Mann!

Komm, laß uns wandern jetzt selband!
Ich fange für Dich in jedem Land
      Das Schönste mit meinem Stabe;
Doch Du lehrst mich der Stimmen Schall

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Und lehrst erkennen mich das All

      Mit Deiner Wundergabe!“

Als sie nun zogen durch den Tann,
Da kam ein dritter Wandersmann.
An seinem Arm ein hölzern Ding,

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Bespannt mit blanken Saiten hing,

      Und auf dem Hütlein droben
Ein frisches Sträußlein saß gar kühn,
Aus Maßlieb und aus Immergrün
      Von schöner Hand gewoben.

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„Grüß Gott, Ihr Herr’n! Gebt nur Bescheid,

Ob Ihr die großen Zaub’rer seid,
Bekannt im Volke rings umher,
Genannt mit hoher Scheu und Ehr’,
      Der seltnen Wunder wegen?

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Ihr seid’s! Gesegnet sei die Stund’!

Nehmt mich als Dritten auf im Bund
      Ich grüß’ Euch als Collegen!

Kennt Ihr mich nicht? – Mit meinem Stab
Hol’ ich der Sphären Klang herab,

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Und trag’ in frommer Menschen Chor

Zum Himmel wieder ihn empor,
      In Tönen rein und helle,
Geb’ Flügel auch dem Menschenwort:
Es fliegt zum Lichte fort und fort,

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      Gewiegt aus luft’ger Welle.


Was dort am Rad die Spinn’rin singt,
Was an des Kindleins Wieg’ erklingt,
Was klagend tönt aus Thales Grund,
Und was in froher Zecher Rund’

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      Ertönt beim Saft der Trauben,

Und was beim gold’nen Erntekranz
Die Schnitter ruft zum lust’gen Tanz –
      Mein Werk ist’s, könnt’ mir’s glauben!“

Der zweite Zaub’rer spricht: „Ist’s wahr?

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Ein Zaub’rer Ihr? – ’s wär’ wunderbar!

Noch nie gescheh’n ist sicherlich,
Daß drei gewalt’ge Zaub’rer sich
      Getroffen so auf Reisen!
Erlaubt mir nur die Frag’, ich bitt’,

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Wenn Ihr ein Zaub’rer seid – womit

      Wollt Ihr uns das beweisen?“

„Womit? Dein Zweifel macht mir Spaß.
Womit? Nichts leichter doch als das! –
      Will Euch, Ihr Herren, mit Vergunst

180
Sogleich ein Pröbchen meiner Kunst

      Und meiner Wunder zeigen!
Gieb mir das Lied, das Du erdacht
Zum Himmel soll’s sogleich mit Macht
      Gleich einem Vöglein steigen!“

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Und seht! er rührt der Cither Gold –

Da steigt ein Liedlein, wunderhold,
Empor, als wär’s ein Vögelein,
Und singt frisch in die Welt hinein
      Bald mächtig laut, bald leise.

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Zu gold’nen Tönen schwillt der Text –

Die Zaub’rer selbst steh’n wie behext
      Und lauschen der Sangesweise.

Und endlich singen alle Drei
Entzückt die liebliche Melodei,

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Und Alles lauschet – Baum und Bach,

Der Felsen lauscht und singt es nach
      Das Liedlein frisch und heiter,
Die Vöglein lauschen im Neste all’
Und tragen den wonnigen Wiederhall

200
      Von Gipfel zu Gipfel weiter. –


Wo mögen wohl – so fragt Ihr nun –
Die Zaub’rer solche Wunder thun? –
Habt Acht! ich mach’ es Euch bekannt!
Der Erste malt sie auf Leinewand,

205
      Der Zweite schreibt Gedichte,

Der Dritte ist ein Musicus!
Mein Liedlein aber ist am Schluß – –
      Das ist die Zaubergeschichte.




Dichter und Agitator.

Von Ludmilla Assing.

Der noch vor wenigen Jahren namentlich in Deutschland vielfach verbreitete Irrthum, daß Italien nur ein Land der Vergangenheit, ein „Land der Todten“ sei, beginnt nachgerade zu schwinden; die Ereignisse der letztern Zeit haben uns überzeugt, daß jenseits der Alpen noch frisches Leben pulsirt und daß man auf allen Gebieten des menschlichen Strebens sich dort wacker regt und fortschreitet. So besonders auch auf dem Felde der nationalen Dichtung, aus welchem wir Namen begegnen, deren Ruhm längst die Alpen überschritten hat. Einer der ausgezeichnetsten und geschätztesten dieser Poeten des jungen Italiens ist Francesco dall’ Ongaro; er ist auch in Deutschland bereits bekannt und viele seiner Lieder sind in fremde Sprachen übersetzt worden. So wird es vielleicht den deutschen Lesern nicht unwillkommen sein, in Nachfolgendem eine Lebensskizze des Dichters zu empfangen, die aus verschiedenen Quellen und aus mündlichen Mittheilungen dall’ Ongaro’s selbst zusammengestellt ist.

Von unbemittelten Eltern in den Bergen des Friaul 1808 geboren ward Francesco dall’ Ongaro, der frühzeitig einen aufgeweckten Sinn und eine hervorragende Begabung zeigte, für die Kirche bestimmt. Als er elf Jahre alt war, zogen seine Eltern mit ihm nach Venedig, und dort wurde er in dem Seminar der Madonna della Salute zum geistlichen Stand erzogen. Das Studium der Literatur und Philosophie, das sich ihm dort darbot, zog ihn an, aber im Uebrigen paßte gewiß Niemand weniger in jene kalten, feuchten Mauern, in welche selten ein Sonnenstrahl eindringt als er, dessen heller, lichtverbreitender Geist sich früh schon nach anderen Bahnen sehnte. Von dem Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit erfüllt, mußte er sich unglücklich fühlen unter dem Druck einer strengen Disciplin, eines freudlosen Daseins. Aber einen Sonnenstrahl konnten seine frommen Vorgesetzten ihm nicht rauben, den Sonnenstrahl der Poesie! Er machte Verse für die jugendlichen Straßensänger, die mit der Guitarre im Arm vor den Kaffeehäusern und auf der Piazzetta von Venedig ihre Lieder vortragen. So wurden seine ersten Dichtungen schon durch den Mund des Volkes gesungen und verbreitet. Damals ahnten die strengen Vater der Anstalt nicht, daß sie in ihrem eigenen Schooße, unter der Schaar jener schwarzgekleideten, trübsinnigen Zöglinge, welche das Volk in Venedig die „Raben“ zu nennen pflegt, sich einen zukünftigen unerbittlichen Gegner aufzogen.

Dall’ Ongaro war dreizehn Jahre alt, als auf der Piazzetta von Venedig dem unglücklichen Silvio Pellico und seinen Gefährten das Todesurtheil vorgelesen wurde, das die österreichische Regierung dann in lebenslängliches Gefängniß auf dem Spielberg umwandelte. Unzweifelhaft ist, daß diese Scene auf den jungen Francesco einen tiefen Eindruck machte und mit dazu beitrug, jenen begeisterten Patriotismus in ihm zu entzünden, den er sein ganzes späteres Leben hindurch bewährte.

Später auf die Universität Padua geschickt, begann er durch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_297.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)