Seite:Die Gartenlaube (1868) 291.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

daran denke, ich weiß nicht, ob ich lachen oder mit den Zähnen knirschen soll vor Scham und Aerger. Lieber Gott, wer war ich denn? Der jüngste Commis, ein Hans Habenichts, der von einer guten alten Tante sein Taschengeld bekam und ihr seine Schneiderrechnungen zuschicken durfte! Und darauf hin werben um das schönste und reichste Mädchen der Stadt, bei dem Manne, der mich nie für voll angesehen hatte, weil ich in seinem Hause in unbewachten Augenblicken den alten Kindskopf aufsetzte und dann und wann, wenn Bankiersdiner war, unten am Tische den Quatorzième machen durfte! Die Zunge hätte ich mir eher abbeißen sollen, als vor diesen Mann hintreten mit leeren Händen und vollem Herzen, während er unter Grafen und Baronen das Aussuchen hatte. Aber gestehe, Bäschen, ein Stück Verantwortung für diese haarsträubende Kinderei kommt auf Deine Rechnung. Erstens, warum trugst Du auf jenem Ball das bewußte meergrüne Kleid, von dem ich Dir schon einmal gesagt hatte, daß es mich um meine fünf Sinne brächte? Und zweitens, als ich Dir sagte, Du seiest so reizend, daß ich auf einen Wink Deines kleinen Fingers die halsbrechendsten Dinge unternehmen würde, warum fragtest Du da mit so ungläubigem Lachen: ,zum Exempel?’

Und als ich fortfuhr: zum Exempel konnte ich mir ein Herz fassen, morgen früh vor Deinen Vater hinzutreten und zu sagen: Machen Sie mich zu Ihrem Schwiegersohn und ich will Ihnen zweimal sieben Jahre dafür Comptoirfrohne thun, wie ein Neger im Zuckerrohr!’ – warum lachtest Du da noch ungläubiger und sagtest blos: ,Vetter, Du bist ein Narr!’? Du kanntest mich doch hinlänglich, Cornelie, um zu wissen, daß ich wirklich ein Narr war und ein Hitzkopf dazu, und daß der Schwur, den ich Dir auf Deinem Ballfächer leistete, morgen früh, sei’s lebend oder todt, zu Deinem Vater zu gehen, mir aus dem Herzen kam. Und doch lachtest Du nur immer unbarmherziger, als wenn es Dir eben recht wäre, mich den Hals brechen zu sehen. O Bäschen, wie ich dann am andern Tage, in ein wahres Nichts verflüchtigt durch drei kurze Worte meines gestrengen Chefs, die Treppe hinunterschlich, aus dem Haus und dem Geschäft weggewiesen wie ein Mensch, dem nach solcher Majestätsbeleidigung und Tempelschändung Alles zuzutrauen ist: da hätte ich gern vorher noch bei Dir angeklopft, um zu fragen, ob Du nun zufrieden seiest, oder ob ich noch ’was Dümmeres begehen solle, um Dir meine Ergebenheit auf Tod und Leben zu beweisen. Aber da kam mir Dein gottloses Lachen wieder in den Sinn, und zum ersten Mal blitzte mir der Gedanke durch den Kopf: Herrgott, sie hat am Ende gar kein Herz, wenigstens nicht für dich, und Alles, was du zu deinen Gunsten ausgelegt hast, war nur spitzbübische Schadenfreude, dich recht vernarrt zu machen, um dich dann auszulachen. Und da, Cornelie, ging der Hitzkopf wieder einmal mit mir durch. ,Gut,’ sagte ich, ,ich gehe; ich betrete dieses Haus nicht eher wieder, als bis ich ein gemachter Mann bin und mich der Herr Vater nicht mehr von oben bis unten mustern kann, um mir dann den Rath zu geben, ich möchte mich in eine Heilanstalt verfügen. Und bis ich so weit bin, will ich mir alle Gedanken an sie aus dem Sinn schlagen, und sie soll gar nicht mehr wissen, ob ich auf der Welt bin!’“

Er hatte die letzten Worte in so leidenschaftlichem Ton gesprochen, daß er jetzt plötzlich selbst vor dem Schall seiner Stimme erschrak.

„Da siehst Du nun,“ sagte er lächelnd, indem er sich wieder setzte und von Neuem die Stirn trocknete, „wie stürmisch es damals in meiner armen Seele zuging, daß die bloße Erinnerung mich wieder ganz rabiat macht. Und ich bin doch seitdem, Dank der Rabouge meiner guten Tante, ein ganz gesetzter Mensch geworden, mit einer wahren Lammesgeduld, der sich zu einem der musterhaftesten Hausväter und Ehemänner dieses Jahrhunderts qualificirt.“

Dabei sah er ihr gespannt in das zartgefärbte Gesicht, als erwarte er, daß nun sie das Wort ergreifen und seine lange Beichte mit einer ähnlichen Herzensergießung erwidern werde. Unbewußt drehte er dabei den Ring mit dem Smaragd um den Finger und athmete tief auf, als sei die Last, die er jahrelang getragen, jetzt von ihm abgefallen. Sie aber sah ihn nicht an, obwohl ihre schönen braunen Augen nahe genug an ihm vorbeistreiften, immer auf die Palme geheftet, die jetzt ganz im Schatten stand. Ihr Gesicht hatte einen seltsam düsteren Ausdruck, weit über ihre Jahre, und wäre er minder von seinen Hoffnungen verblendet gewesen, er hätte erschrecken müssen vor dem leidenschaftlichen Zucken ihres Mundes, als sie ihn jetzt öffnete, um ganz gelassen zu sagen:

„Ich gratulire Dir zu Deiner Geduld. Auch ich habe Gottlob in dritthalb Jahren Manches gelernt und bin mit Manchem fertig geworden, sogar mit mir selbst. Dazu lebt man ja.“

„Gewiß,“ erwiderte er, ohne recht zu wissen, was sie gesagt hatte, denn er sann im Stillen darüber nach, wie er nun vorbringen sollte, was er auf dem Herzen hatte. Plötzlich entschloß er sich, Alles von der heitersten Seite zu nehmen, und lachte mitten in seiner Beklommenheit. „Bäschen,“ sagte er, „das meergrüne Kleid ist wohl indessen grau geworden. Aber das thut nichts. Am Ende war’s doch wohl nicht das Kleid, was mir damals eine so wahnsinnige Courage machte. Wenigstens finde ich, das braune, das Du da anhast, könnte mich ebenso weit treiben, nur mit dem Unterschiede, daß das Wagestück heute nicht mehr so groß wäre, wie damals.“

„Findest Du?“ sagte sie und warf ihm einen raschen Blick zu, vor dem er die Augen niederschlug. „Du hast seltsame Begriffe, muß ich gestehen.“

„Nun,“ erwiderte er zögernder, „die Sachen haben sich doch stark geändert. Oder meinst Du nicht, Bäschen?“

„Ja wohl,“ sagte sie und nickte hastig mit dem Kopfe. „Es ist Alles sehr anders geworden.“

„Und darum, wenn ich morgen früh – oder warum könnte es nicht gleich heute Abend sein? – Deinem Vater wieder gegenüberträte und ganz dieselbe Rede an ihn hielte, die damals ein Narrenstreich, eine rechte Fanfaronade war, meinst Du nicht, daß er jetzt eine etwas höflichere Antwort darauf hätte?“

Sie stand auf, blieb aber, mit der Hand sich aus den Marmortisch stützend, am Divan stehen, zitternd am ganzen Leibe. „Das ist zu viel,“ sagte sie mit halb erstickter Stimme. „Es wäre besser, Gabriel, Du gingest, eh’ ich Worte finde, die Dich endlich darüber aufklären, wie ich von Deinem Betragen denke, gleichviel, was mein Vater für eine Antwort hätte.“

„Aber um Gotteswillen, Cornelie,“ rief er und sprang nun ebenfalls auf, ich begreife nicht –“

„Noch immer nicht?“ unterbrach sie ihn rasch, während ihr die Thränen in die Augen traten. „Muß ich es wirklich selbst sagen, wie unerhört ich es finde, daß Du nach dritthalb Jahren, wo ich für Dich nicht existirt habe, eben nur daran denkst, was mein Vater Dir antworten würde, als verstände sich’s ganz von selbst, daß die Tochter indessen keinen anderen Gedanken gehabt hätte, als wann der verehrte Herr Vetter sich einmal wieder melden würde? Das gute Kind hat sich vielleicht etwas gelangweilt in den Jahren, seit ihr Tänzer auf jenem Ball ihr allerlei närrische Dinge gesagt hat. Dafür wird sie nun königlich belohnt; er hat seine Tante beerbt, er ist eine gute Partie geworden, das Bäschen wird überglücklich sein, wenn er jetzt plötzlich wieder erscheint und um ihre Hand anhält. Denn er könnte ja auch die erste beste Andere heimführen, die ihm vielleicht inzwischen, bei seinem lustigen Leben in Berlin und Wien, weit besser gefallen hat; aber die Genugthuung kann er sich nicht versagen, nun als ein gemachter Mann vor seinen Schwiegervater hinzutreten und ihn zu beschämen durch die Mittheilung, daß er jetzt so viel Tausende jährlich einnimmt, wie damals Hunderte. Auf diesen Augenblick hat man sich ja so lange gefreut und, um die Wirkung noch brillanter zu machen, jahrelang sich um das Bäschen nicht von fern bekümmert, da dieses gute Wesen einem ja doch sicher war. Aber es thut mir leid, Vetter, daß ich es sagen muß: ich verdiene die gute Meinung nicht, die Du von mir gehabt hast. Ich bin nicht mit der Lammesgeduld begabt, wie Du sie mir ohne Zweifel zugetraut hast, und wie gesagt, wenn es damals ein dummer Streich war, aus einem Ballscherz Ernst zu machen, so würde ich es jetzt für eine Beleidigung halten, wenn Du meinem Vater die nämliche Rede hieltest, wie an jenem Morgen, und würde diesmal selbst antworten, wie er damals gethan, auf die Gefahr hin, daß Du wieder einige Jahre für uns verschollen wärst!“

Sie trat von ihm weg an das nächste Fenster und kehrte ihr Gesicht, das über und über glühte, von ihm ab, der in sprachloser Betäubung an dem Tische lehnte. „Steht es so?“ sagte er endlich dumpf vor sich hin; „das hab’ ich freilich nicht gedacht. Ich dachte, es könne sich auch hier nichts verändert haben, weil in mir Alles nur allzusehr beim Alten blieb. Nun freilich –“

„Und wie war es damals?“ unterbrach sie ihn, ohne sich umzuwenden. „Hast Du Dich schon damals viel darum bekümmert, wie es etwa in meinem Herzen aussah? Nahmst Du nicht immer stillschweigend an, daß ich Niemand anders je lieber haben könne, als Dich, und wenn ich Dich darüber auslachte und Dich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_291.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)