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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

um seinen dicken Haarbusch von der Stirn zurückzubändigen, und musterte sich dabei in dem hohen Spiegel neben den Blumen, der seine kraftvolle Gestalt vortheilhaft genug darstellte, um ihm alle Geisterhülfe bei seinem Vorhaben entbehrlich erscheinen zu lassen.

Er war, außer dem lichtgrauen Rock, ganz weiß gekleidet, das schwarzseidene Halstuch in einen flotten Knoten geschlungen, Alles in Allem eine schmucke Erscheinung, die sich selbst in diesem mit dem üppigsten Geschmack ausgestatteten Hause wohl sehen lassen durfte.

Eben wollte er die letzte Stufe ersteigen, als er aus der Thür, die in den Salon führte, eine Mädchengestalt treten sah, in Hut und Mantille, zum Ausgehen gerüstet. Das Gesicht sah er nicht sogleich, da die schöne Schlanke den Kopf zurückgewendet hatte, um einer Zofe einen Auftrag zu hinterlassen. Aber hätte er auch die Stimme nicht gehört, schon der Schatten dieser Gestalt hätte ihm verrathen, daß es die war, die er suchte. Mit einem Sprung war er oben. „Bäschen,“ rief er, „kennst Du mich noch?“

Sie wandte sich nach ihm um. „Mein Gott!“ sagte sie und trat, wie vor einem Gespenst erschreckend, einen Schritt zurück – „Du bist’s?“

„Kein Schlechterer, als meine arme Wenigkeit,“ versetzte er und versuchte zu lachen. Aber die Heiterkeit verging ihm schnell. Denn obwohl nur ein falber Rest von Tageslicht in dem Treppenflur herrschte, konnte er doch sehen, wie todtenblaß sie geworden war und in wie heftiger Bewegung sie an dem Pfosten der hohen Flügelthür einen Halt suchte.

Ein paar Minuten standen sie so einander gegenüber, jedes suchte nach einem gleichgültigen Wort, das den jahrelang zerrissenen Faden wieder anknüpfen sollte.

„Bäschen,“ sagte er endlich, „ist Dir nicht wohl? Ich habe Dich erschreckt, nicht wahr? Es war recht ungeschickt von mir, so aus dem Hinterhalt aufzutauchen. Ich hätte mich sollen ordentlich anmelden lassen; dachte freilich nicht, daß das Wiedersehen Dich so unliebsam überraschen könnte.“

„Es ist schon vorbei,“ sagte sie mit mühsam gewonnenem Athem. „Ich war allerdings nicht darauf gefaßt – es ist schon lange her – und ich dachte eben an ganz andere Dinge – auch bin ich etwas nervös geworden, mußt Du wissen, seit dem Einbruch hier im Hause, von dem Du vielleicht in der Zeitung gelesen hast. Verzeih’ mir, Vetter, daß ich Dich nicht besser empfangen habe. Es ist ja recht hübsch von Dir, Dich einmal wieder sehen zu lassen.“

Sie schwieg wieder und athmete tief. Er wartete vergebens, daß sie ihm eine Hand reichen würde. „Cornelie,“ sagte er, „Du hast ausgehen wollen. Laß Dich nicht stören. Ich komme ein ander Mal wieder.“

Schon verneigte er sich und setzte den Fuß auf die Treppe, als sie plötzlich ihrer Stimmung Herr geworden schien und eine kleine zierliche Hand im Handschuh ihm entgegenstreckte. „Wo denkst Du hin?“ sagte sie. „Du willst doch nicht im Ernst wieder fort, ohne die Eltern gesehen zu haben? Sie sind gerade ausgefahren, müssen aber jeden Augenblick zurückkommen. Und mit meinem Ausgang hat es nicht die mindeste Eile. Ich wollte nur über die Straße in die Musikalienhandlung, mir neue Noten zu holen. Komm, Vetter. Es ist ja eine halbe Ewigkeit, daß man nicht mehr die Ehre gehabt hat –“

Sie trat in den Salon zurück, und obwohl er ihre Hand nur flüchtig gedrückt hatte, zog es ihn doch willenlos wie in früherer Zeit ihr nach. Da war noch Alles, wie damals, der große Flügel mitten im Zimmer, die zwei hohen Palmen zur Seite der Balconthür, der Papagei auf seinem blanken Kletterbaum, der noch immer gurgelte: „Ach Gott, wird’s heute regnen?“ und über dem seidenen Divan die große spinatgrüne Alpenlandschaft mit der Schafheerde und der abendröthlichen Jungfrau im Hintergründe, in der seine Augen so oft spazieren gegangen waren, wenn große Gesellschaft war und das Bäschen sang. Alles noch auf dem alten Fleck, und nur die Hauptsache verrückt und verschoben. Denn war die ernsthafte junge Dame, die jetzt ihm gegenüber auf dem Divan saß, in Hut und Mantille, und mit der Spitze ihres Sonnenschirmchens das Teppichmuster nachzeichnete, war das sein Bäschen, mit dem er so oft in diesem Gemach die tollsten Kinderein getrieben hatte, daß die Palmenzweige von der Erschütterung der Luft durch ihr helles Gelächter erbebten und der Papagei immer ängstlicher dazwischenkreischte? Freilich, sie war indessen in die Zwanzig gekommen, und wer weiß, was sie Alles erlebt haben mochte, seit er sie nicht gesehen! Nachdenklich hätte sie immerhin sein dürfen. Aber warum so fremd und kühl, daß die eisgepanzerte Jungfrau auf der Landschaft, zumal in ihrem Alpenglühen, ihm wärmer vorkam als die Stirn des schönen Mädchens ihm gegenüber?

Er wußte auch wirklich anfangs nichts Anderes vorzubringen, als die landläufigsten Fragen nach ihrer Gesundheit und der ihrer lieben Eltern, und ob sie im Sommer verreist gewesen sei und noch fleißig Musik treibe, und wie Blanche, ihr kleines Windspiel, sich befinde, ob es noch so gern Biscuit esse. Auf all’ diese Fragen antwortete sie mit der freundlichsten Gleichgültigkeit und erkundigte sich ebenso ihrerseits nach der letzten Krankheit seiner guten Tante, die vor drei Monaten gestorben. Er hatte es ihr und den Ihrigen durch einen lithographirten schwarzgeränderten Brief angezeigt. Da erzählte er nun, während er den Flor seines Strohhutes glatt zupfte, wie schwere Zeit er mit der guten, fast tauben Alten durchgemacht habe, die ihn das letzte Jahr nicht einen Tag habe entbehren wollen. Er wurde bei aller aufrichtigen Trauer um seine Wohlthäterin ganz humoristisch, als er ihr Zusammenleben auf dem Weingut beschrieb, die allabendliche Rabouge, die er mit ihr spielen mußte, ihre Leidenschaft, die unerhörtesten neuen Gerichte zu erfinden, die sie dann trotz seines Protestes vorzüglich fand und in einem Kochbuch, an dem sie arbeitete, ausführlich beschrieb; ihre Wohlthätigkeit gegen das durchtriebenste Gesindel, das richtig immer die Stunde abzupassen wußte, wo der Herr Neffe nicht zu Hause war, endlich ihre wahrhaften Verdienste um den Weinbau, worin sie es mit dem kundigsten und geschultesten Manne aufnahm.

„So schwach sie sonst gegen mich war,“ schloß er seinen Nachruf, „in dem Punkte verstand sie keinen Spaß. Ein ganzes Jahr lang hat sie mich Chemie studiren lassen, um die Sache rationell und aus dem Grunde zu betreiben, und wie sie mich dann zu sich berief, um unter ihrer Leitung die Weinberge zu übernehmen, habe ich ein Examen bestehen müssen, – ich versichere Dich, Cornelie, mancher Professor wäre dabei in die Enge gerathen. Die Gute! Sie hat den heurigen Jahrgang nur noch in der Blüthe miterlebt. Aber fast ihre letzten Worte waren die Prophezeiung: ,Du sollst sehen, Gabriel, er wird alle Kometenweine übertreffen.’ Und das war ihre letzte Freude. Denn auf die Kometen war sie schlecht zu sprechen und hielt sie für himmlische Schwindler, die nicht das Geringste von der Weincultur verständen. Ich hätte ihr die Genugthuung wohl gegönnt, ihre Voraussage so glänzend bestätigt zu sehen!“

Darauf schwieg er und das Mädchen schien durchaus nicht geneigt, ihn seinen wehmüthigen Gedanken zu entreißen. Nur der Papagei[WS 1] krächzte ein paar Mal sein trockenes: „Ach Gott, wird's heute regnen?“ und nebenan hörte man die Zofe hantieren.

Er stand endlich auf, fuhr sich mit dem Taschentuch die Stirn, auf der trotz der Abendkühle, welche durch den offenen Balcon hereindrang, der Schweiß stand, und ging einmal durch den Salon, ehe er sich wieder dem Divan näherte.

„Bäschen,“ sagte er, mit einem plötzlichen Aufschwung all' seines Muthes, „man soll freilich Tod und Leben nicht so in einem Athem besprechen, aber es hilft nichts, ich merke schon, es kommt kein ordentliches Gespräch zwischen uns zu Stande, eh' ich nicht von der Hauptsache gesprochen habe. Sage einmal aufrichtig: Du bist mir bös, nicht wahr?“

„Ich?“ sagte sie mit mühsamer Stimme, während sie mechanisch eine Visitenkarte, die auf dem Tische lag, zwischen ihren Fingern auf und zu rollte. „Warum sollte ich Dir böse sein? Was hättest Du mir zu Leide gethan?“

„Ist das wahr?“ sagte er und trat ihr mit hastiger Freude näher. „Kann ich mich darauf verlassen, daß Alles noch so ist zwischen uns wie damals?“

„Und wie war es denn damals,“ erwiderte sie mit bebender Stimme, „daß es nicht mehr so sein sollte? Du hast einige Zeit nichts von Dir hören lassen; je nun, Du hattest andere Dinge zu thun. Menschen können nicht immer beisammen bleiben. Nun bist Du wieder da, dann ist ja Alles in Ordnung.“

„Nein, Bäschen,“ rief er und fuhr sich lebhaft in die Haare, „so ganz in Ordnung doch nicht. Gestehen wir es uns nur aufrichtig: ich hätte nicht leicht einen dümmeren Streich machen können, als daß ich damals am Morgen nach jenem Ball zu Deinem

Vater ging und um Deine Hand bei ihm anhielt. Wenn ich jetzt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Pagagei
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_290.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)